Prozess am Amtsgericht

Bad Mergentheim: Wie der Griechenland-Aufenthalt die Haft verhinderte

Den Problemen wortwörtlich entflogen ist ein Angeklagter, der deshalb erst sechs Jahre nach der Tat vor Gericht stand. Das bewahrte ihn wohl vor Schlimmerem.

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Simon Retzbach
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Ein Fahrzeuglenker bei der Alkoholkontrolle (Symbolbild). Rund um mehrere Trunkenheitsfahrten entwickelte sich am Amtsgericht Bad Mergentheim ein kurioser Prozess. © picture alliance/dpa

Bad Mergentheim. Dass Gerichtsverfahren lange dauern können, ist mitunter nichts Neues. Was Juristen unter einem kurzen Zeitraum verstehen, ist für den Normalbürger gerne mal eine gefühlte Ewigkeit. Doch im jüngsten Verfahren geht es um Zeiträume, die selbst für Fachleute ungewöhnlich lange sein dürften.

Zwischen Juni und September 2019 soll der B. gleich mehrfach in Bad Mergentheim alkoholisiert Auto gefahren sein. Doch nicht nur der Alkohol wurde zum Problem: Er hatte seit 2014 schlicht keine Fahrerlaubnis mehr, wie sich nach einer ersten Kontrolle herausstellte. Das schien den Mann jedoch in zumindest drei Fällen nicht davon abzuhalten, sich hinters Steuer zu setzen und loszufahren. Fiel er den Beamten anfangs aufgrund eines österreichischen Kennzeichens auf, verzichtete er irgendwann gleich ganz auf ein Kennzeichen.

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Mehrfach wurde er nach der ersten Kontrolle wieder von der Polizei angehalten, die Alkoholwerte waren dabei zwischen 1,5 und knapp 2 Promille jeweils recht hoch. Um diesen Wert genau zu ermitteln, brachten die Beamten den Mann ins Caritas-Krankenhaus. Wo sich prompt das nächste strafbare Verhalten anschloss. Denn der alkoholisierte Verkehrssünder war kaum zu beruhigen, beleidigte und bedrohte die Beamten massiv, ehe er wild um sich trat und dabei sogar einen der Polizisten verletzte. Vier Beamte schafften es schließlich mit „Müh und Not“, den Mann unter Kontrolle zu kriegen. Als „unterste Schublade“ bezeichnete ein Polizist das Verhalten des Mannes vor Gericht.

„Der Arzt wollte Ihnen kein Blut abnehmen, weil er sich so sehr von Ihnen bedroht fühlte. Und die Ärzte in der Notaufnahme sind eigentlich keine Sensibelchen“, hielt Richterin Susanne Friedl dem 37-jährigen Angeklagten vor. Ein Beamter schilderte vor Gericht eine weitere kuriose Anekdote: „Wir mussten den Arzt zum Abnehmen der Blutprobe überreden. Er hat dann extra noch sein Namensschild entfernt, der hatte Angst.“

Auffällig ist auch die Häufung der Fälle. Denn nachdem er einmal kontrolliert wurde, setzte er sich am nächsten Tag direkt wieder betrunken ans Steuer, beleidigte bei einer weiteren Kontrolle dann die Beamten und leistete den massiven Widerstand. Nach einer Nacht auf der Polizeiwache holte ihn sein Bruder ab – und prompt setzte sich der Mann wieder ans Steuer. Hier wurde er erneut von der Polizei angehalten und kontrolliert.

„Betrunken noch eine Stadtrunde gedreht“

Unterm Strich stehen also mehrere Fälle von Fahren ohne Fahrerlaubnis, teilweise unter Alkoholeinfluss, dazu Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung. Dem hatte der 37-Jährige wenig entgegenzusetzen: „Ich bin in allen Punkten schuldig. Nach einem Streit mit meiner Frau habe ich betrunken noch eine Stadtrunde gedreht.“ An viele Dinge habe er keine Erinnerung mehr.

Doch zurück zu der Frage der enorm langen Verfahrensdauer. Warum werden Taten aus 2019 erst im Spätsommer 2025 verhandelt? Weil der Angeklagte kurz nach den Taten erstmal mit seiner Familie nach Griechenland zog, wo seine Frau Arbeit fand. Für die Justiz war der Mann dann nicht mehr auffindbar – nicht zum ersten Mal im Übrigen. 2023 haben die Ermittler dann Glück, der Mann kam wieder nach Deutschland, um als Kellner bei seinem Bruder auszuhelfen. Doch nach kurzer Zeit verschwand er erneut nach Griechenland. Erst seit einem halben Jahr ist der Angeklagte nun wieder da – und endlich auch für eine Gerichtsverhandlung zu erreichen.

Während der Griechenland-Aufenthalt für die Justiz eine ärgerliche Verzögerung darstellte, schien er dem Angeklagten hingegen gut bekommen zu haben. Der früher „erhebliche Drogenkonsum“ gehört laut seinen Angaben seit mehreren Jahren der Vergangenheit an. Er arbeite und schicke Geld für den Unterhalt seiner Tochter nach Griechenland, wo diese mit seiner jetzt Ex-Frau lebt.

Ein klarer Fall – aber schon verjährt?

Für die Staatsanwaltschaft ein klarer Fall. Mehrere Fälle „im engen zeitlichen Rahmen“, durch Alkohol habe der Mann die von ihm ausgehende Gefahr noch gesteigert. Zehn Monate Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung forderte der Staatsanwalt. Alleine neun Monate macht dabei der Angriff auf die Polizisten aus, wenngleich dabei nur eine leichte Verletzung entstand. Verteidiger Andreas Stößer regte eine „milde Strafe“ an, da sein Mandant sein Leben geändert habe. Die Taten bedauere er.

Ein anderer Hinweis dürfte allerdings relevanter gewesen sein. Ob nicht mittlerweile eine Verjährung eingetreten sei, wollte der Verteidiger ebenfalls zu bedenken geben. Die von Friedl angekündigten fünf Minuten wurden wohl auch deshalb noch deutlich überschritten. Irgendwann dann aber doch das Urteil: 10 Monate Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Keine Selbstverständlichkeit, wie die Richterin verdeutlicht: „2019 wären Sie in den Knast gegangen. Durch den Drogenkonsum gab es damals keine positive Sozialprognose.“ Zudem sind mehrere Vorstrafen aktenkundig. Jetzt sei der Angeklagte jedoch ein anderer Mensch, der Verantwortung für seine Tochter übernehme. Dennoch: „So etwas erlebe ich auch selten, dass innerhalb eines Tages mehrere Trunkenheitsfahrten begangen werden. Normalerweise ist nach einer Fahrt Schluss“.

Da bewahrte der Griechenland-Aufenthalt den Mann also vor einer deutlich schärferen Strafe. Auch deshalb, weil eine der vorgeworfenen Alkoholfahrten durch die lange Zeit tatsächlich verjährt war. So entflog der Mann wortwörtlich seinen Problemen – zumindest teilweise mit Erfolg. Nochmal darf er sich das allerdings nicht erlauben. „Nehmen Sie die Bewährung jetzt ernst. Wenn Sie nochmal ohne genaues Ziel ausreisen, widerrufe ich die Bewährung und sie werden bei erneuter Einreise verhaftet“, warnte Friedl.

Redaktion

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