Medizinische Versorgung in der Kurstadt

Bad Mergentheim: Wer hat den hausärztlichen „Scherbenhaufen“ zu verantworten?

Durch die plötzliche Schließung von drei Hausarztpraxen im Januar wurde viel Vertrauen zerstört. Die Ärzteschaft sprach von einem „Scherbenhaufen“. Die Praxen sind noch immer zu. Wer ist für all das verantwortlich?

Von 
Sascha Bickel
Lesedauer: 
Ein Scherbenhaufen liegt hier auf dem Boden. In Bad Mergentheim sprach die Kreisärzteschaft Ende Januar im Hinblick auf die gleichzeitige Schließung von gleich drei Hausarztpraxen auch von einem „Scherbenhaufen“. Über die Verantwortlichkeiten dafür wird gestritten. Eine erste Ersatzlösung wurde nun am Mittwoch präsentiert. © dpa

Bad Mergentheim/Mannheim. Zwei Ärztinnen haben sich dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) am Caritas-Krankenhaus angeschlossen (unsere Zeitung berichtete). Derweil sind die drei Hausarztpraxen, ehemals Stahnke, Träger und Stüber-Brückner, immer noch geschlossen. Am Montag gibt es einen Termin am Arbeitsgericht und parallel viel Ärger vor und hinter den Kulissen über die Entwicklungen in Bad Mergentheim.

Von einer unbefriedigenden und schwierigen Situation für die Patienten in der Kurstadt spricht Oberbürgermeister Udo Glatthaar, wenngleich er den Einstieg von immerhin zwei Hausärztinnen am MVZ des Caritas als ersten Lösungsschritt sehr begrüßt und trotzdem den Verlust von drei Hausarztpraxen in der Kernstadt auf einen Schlag bedauert. Die Stadt engagiere sich, soweit sie könne und bedanke sich noch einmal bei allen übrigen Hausarztpraxen für deren besonderen Einsatz gerade in den vergangenen vier Wochen.

Mehr zum Thema

Hausärzte

Bad Mergentheim: Neues Angebot für unversorgte Hausarztpatienten

Veröffentlicht
Von
Sascha Bickel
Mehr erfahren
Hausarztversorgung

Bad Mergentheim: Firma „Medicas“ weist Vorwürfe zurück

Veröffentlicht
Von
Sascha Bickel
Mehr erfahren
Gesundheit

Bad Mergentheim: Notfallplan für Hausarzt-Patienten

Veröffentlicht
Von
Sascha Bickel
Mehr erfahren

„Was das gescheiterte ,Medicas’-Projekt angeht, hält sich die Stadt mit einer Bewertung zurück“, betont OB Glatthaar, „zumal sich hier verschiedene Seiten Vorwürfe machen, die teils justiziabel sind.“ Weiter sagt der Rathaus-Chef, dass „man die Mitarbeitenden nicht vor den Kopf hätte stoßen dürfen – mit all den gravierenden Folgen auch für die Patienten. Ein so sensibler und wichtiger Bereich wie die hausärztliche Medizin braucht ein Höchstmaß an Verantwortung und Vertrauen. Die weitere Aufarbeitung wird zeigen, ob hier mit Medicas auf den falschen Partner gesetzt wurde.“

Sieht der OB die Zunahme nicht-ärztlicher Dienstleister im Bereich der hausärztlichen Versorgung insgesamt kritisch? Dazu sagt Glatthaar: „Bei einer schwierigen Versorgungslage im ländlichen Raum wird man sich neuen Ansätzen nicht grundsätzlich verweigern können. Ob sich auf Dauer nicht-ärztliche Dienstleister etablieren oder von Ärzten geführte Medizinische Versorgungszentren eine führende Rolle als Anlaufstellen für unsere Patienten übernehmen, wird sich zeigen. Ich bin aber überzeugt, dass auch die selbstständige Hausarztpraxis weiter Bestand haben wird, weil es weiterhin Ärzte gibt, die die Unabhängigkeit bevorzugen und bereit sind, das unternehmerische Risiko zu tragen.“

Fragen an Medicas

Mit mehreren Fragen wandte sich die Redaktion auch wieder an das Mannheimer Unternehmen Medicas. Mitgründer und Geschäftsführer Steffen Raetzer bestätigte unserer Zeitung, dass „derzeit die Praxen geschlossen sind und alle Beteiligten intensiv an Lösungen arbeiten“. Weiter erklärt Raetzer: „Aktuell können wir leider noch keine konkreten Zeitpunkte nennen, wann die Praxis-Türen wieder aufgehen. Es werden verschiedene Optionen geprüft. Wir arbeiten an einer langfristigen Lösung, um möglichst zeitnah die Versorgung der Patienten vor Ort wieder sicherzustellen.“

„Dazu äußern wir uns nicht“

Ob es richtig ist, dass sowohl medizinisches als auch ärztliches Personal die Zusammenarbeit mit Medicas beendet hat, wollte die Redaktion wissen. Dazu sagt Raetzer: „Zu Personalangelegenheiten können wir uns derzeit nicht äußern. Selbstverständlich bedarf es für den Betrieb von Praxen entsprechend qualifizierten Personals, was bei den zu erarbeitenden Lösungen zu berücksichtigen ist.“

Angesprochen auf den aktuellen Wechsel von Silke Stahnke und Dr. Isabella Fini ans MVZ des Caritas antwortet Raetzer: „Zu Personalangelegenheiten äußern wir uns derzeit nicht.“

Deutlicher wird dagegen Silke Stahnke. Sie hatte nach eigenen Angaben bis zur Schließung der drei Praxen die ärztliche Standortleitung inne: „Aufgrund der rechtlichen Auseinandersetzungen mit Medicas sind alle Praxen immer noch zu und die Standorte blockiert“, meint Stahnke und betont nochmals im Gespräch mit unserer Zeitung, „dass Medicas die Mitarbeiter angestellt hatte“, damit der Arbeitgeber gewesen und die offenen Löhne entsprechend schuldig sei. Medicas bestreitet dies und teilte bereits Anfang Februar – wie berichtet – mit, dass verantwortlich für die Zahlung von Löhnen und Gehältern der Arbeitgeber sei, „dies ist die Praxisinhaberin, Frau Stahnke. Wir haben Frau Stahnke nach besten Kräften bei den nicht-medizinischen Aufgaben unterstützt“, so Steffen Raetzer damals.

Gerichtstermin

Am Montag gibt es einen Termin vor der Kammer Crailsheim des Arbeitsgerichts Heilbronn. Mehrere ehemalige Angestellte der Arztpraxen verklagen Stahnke aufgrund ausstehender Löhne. Dazu sagt Silke Stahnke: „Ich bin der falsche Adressat. Sie müssen sich an Medicas halten.“

Zum „Scherbenhaufen“ in Bad Mergentheim und dem verstärkten Einstieg des MVZ am Caritas in die hausärztliche Versorgung merkt Dr. Jochen Selbach, der Vorsitzende der Kreisärzteschaft, an, „dass jede seriöse Lösung der Dilemmas mit Akteuren vor Ort zu begrüßen ist“.

Zum Thema, was falsch gelaufen ist in der Kurstadt, äußert sich die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) ausdrücklich nicht. Deren Leiter der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Kai Sonntag, teilte auf FN-Anfrage nur mit, was die KVBW zur Zunahme nicht-ärztlicher Dienstleister im Bereich der hausärztlichen Versorgung sagt: „Wir sehen die Zunahme nicht-ärztlicher Beteiligter insgesamt in der Versorgung mit Sorge. Das Problem ist, dass damit Interessen in die Versorgung kommen, die wir nicht mehr unbedingt einschätzen können. Es werden damit auch die Gewinne aus der Versorgung abgezogen.“

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten