Podiumsdiskussion im DOG

Bad Mergentheim: Umgang mit Rechtsextremismus sorgt für kontroverse Debatte

Im ländlichen Raum und auch bei jungen Leuten erzielt die AfD hohe Zustimmungswerte. Zu den Gründen und dem Umgang damit gab es eine lebhafte Debatte.

Von 
Simon Retzbach
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Von links: Cornelius Kückelhaus (Landeszentrale für Politische Bildung), Klaus Huth (Lehrer an der Kaufmännischen Schule Bad Mergentheim), Andreas Baier (Schüler am DOG), Clara Widmayer (Abiturientin), Thomas Schnabel (Historiker) und Moderatorin Beatrice Faßbender diskutierten über den Umgang mit Rechtsextremismus im ländlichen Raum. © Retzbach

Bad Mergentheim. „Kurstadt, bürgerliches Milieu, alles gut?“ – mit diesen Fragen leitete Dr. Steffen Schürrle die Podiumsdiskussion am Deutschorden-Gymnasium (DOG) ein. Die Antwort gab sich der Lehrer im Anschluss gleich selbst. In einer Probewahl zur Bundestagswahl im Frühjahr erhielt die AfD unter Zehntklässern demnach mehr als 20 Prozent der Stimmen und ein Projekt zum Holocaust in den neunten Klassen offenbarte laut Schürrle deutliche Wissenslücken.

Grund genug für das Netzwerk gegen Rechts Main-Tauber, in Verbindung mit einer Erinnerung an Hartwig Behr über „die großen und grundsätzlichen Fragen des Erinnerns“ zu sprechen. Die Verbindung zwischen Historiker Behr und dem Thema des Abends liegt dabei auf der Hand, war ihm doch „die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Region sehr wichtig“.

Dem Historiker und Lehrer Hartwig Behr war die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Region ein Herzensanliegen. © Ulrich Rüdenauer

Warum das auch heute noch wichtig ist? „Es betrifft die eigene Umgebung und die eigenen Vorfahren, da wird Geschichte konkret greifbar“, erklärte Historiker Thomas Schnabel. Die Nazis seien 1933 „nicht vom Himmel gefallen“ und 1945 „nicht in der Hälle verschwunden“. Meint konkret: Der Nationalsozialismus war eine Bewegung, die schrittweise aus der Bevölkerung entstand und von dieser auch getragen wurde. Mit Kriegsende verschwand er zudem nicht vollständig, sondern höchstens unter einer bürgerlichen Oberfläche.

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Der Bogen zur Gegenwart und zur Podiumsdiskussion ist damit schnell geschlagen. Zahlreiche Parallelen werden sichtbar, vergleicht man heutige Entwicklungen und den Aufstieg rechter Kräfte mit der deutschen Geschichte. So seien die Nazis damals eine „junge, moderne Bewegung“ gewesen, die mit neuen Medien wie dem Radio und Massenveranstaltungen erfolgreich war. Schon ein oberflächlicher Blick in die sozialen Medien der Neuzeit und auf entsprechende Umfragen reicht, um festzustellen: Diese Strategie funktioniert auch Jahrzehnte später.

Die Podiumsdiskussion am DOG wurde durch die Besetzung zu einem facettenreichen Blick auf den Rechtsextremismus in der Region und den Umgang damit. Neben Historiker Thomas Schnabel war mit Cornelius Kückelhaus auch ein Vertreter der Landeszentrale für Politische Bildung vertreten, mit Geschichtslehrer Klaus Huth und den Schülern Clara Widmayer und Andreas Baier zudem gewissermaßen beide Seiten des Schulsystems.

Wurde die AfD aus Spaß gewählt?

Neben allgemeineren Botschaften („Wir müssen etwas tun und mutiger werden, wir sind mehr!“) wurde es vor allem dort spannend, wo es um den Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus in der Schule ging. Denn an jenem Abend wurde eben nicht – wie es öfter mal passiert – bloß über Schüler gesprochen, sondern auch mit ihnen.

Clara Widmayer und Andreas Baier sind trotz ihres jungen Alters politisch engagiert. Beide sitzen im Jugendgemeinderat, Widmayer initiierte die Demonstration „Hand in Hand für Menschenrechte“. Sie sind angesichts der hohen Wahlanteile für die AfD besorgt und nennen dafür ganz unterschiedliche Erklärungen. Viele hätten die Partei „aus Spaß“ gewählt, berichtete Abiturientin Clara Widmayer aus Gesprächen mit ihren Mitschülern. Ob es bei einer Wahl nach den eigenen Überzeugungen ähnlich ausgegangen wäre, bezweifelte sie. Andreas Baier hält das hingegen für möglich, sieht die Zustimungswerte als Ergebnis einer Prägung aus dem Elternhaus. Die Theorie, wonach eine Wahl der AfD lediglich eine Art jugendlicher Provokation sein könne, weist er zurück: „Wenn es um Politik geht, ist genug Ernsthaftigkeit da, das macht das Ergebnis noch erschreckender.“

Schule kommt nicht gut weg – Lehrer greift ein

Die Schule kommt hier bei beiden nicht gut weg. „Guten Geschichtsunterricht gibt es bis zur Römerzeit, danach wird es schwierig“, zog Baier ein ernüchterndes Fazit. Exkursionen in die Stadt, um dort an konkreten Beispielen Geschichte greifbar zu machen, habe es in ihrer Schulzeit nicht gegeben. „Höchstens mal zur Eisdiele“, so Widmayer. Dabei waren sich Historiker Schnabel und der Lehrer Klaus Huth einig, dass solche lokal greifbaren Elemente für die Aufarbeitung des Themas enorm wichtig sind. Huth zeigte allerdings auch auf, wo die Grenzen des Geschichtsunterrichts liegen. „Wir haben an der Kaufmännischen Schule je eine Stund Geschichte und eine Stunde Politik pro Woche, dazu viele Ausfälle. Das Fach ‚Privates Vermögensmanagement‘ wird zweistündig unterrichtet, das ist eine Frage der Prioritätensetzung“, erklärte er.

Doch wenn man Andreas Baier und Clara Widmaer zuhörte, gewann man den Eindruck, dass das Problem im Umgang mit Rechtsextremismus nicht nur an Lehrplänen liegt, sondern an einer gewissen Passivität. So fänden sich etliche Symbole wie Hakenkreuze auf Tische geschmiert, ohne dass etwas dagegen unternommen werde.

An dieser Stelle wurde es Steffen Schürrle zu viel. „Das ist kein Konsens an unserer Schule“, schaltete er sich überraschend und hörbar erregt in die Debatte ein. Man sei Schule gegen Rassismus, führe entsprechende Projekte durch und Schmierereien seien „inakzeptabel“. Er sieht die Schüler in der Verantwortung: „Wir haben fast nur tolle Schüler. Sie sind aber durch ihr Elternhaus geprägt und dort hat Geschichte im Vergleich zu Wirtschaft einen geringeren Stellenwert. Das ist eine Art Nützlichkeitsdenken“, beschrieb er die Entwicklung aus seiner Sicht.

An dieser Stelle zeigte sich, dass in der Debatte zu einem solchen Thema selbst bei grundsätzlicher Einigkeit Meinungsverschiedenheiten entstehen können. So ärgerte sich Klaus Huth darüber, dass die Schüler nach dem Eingreifen Schürrles zumindest in Teilen entschärften. „Ihr müsst euch für nichts entschuldigen“, ermutigte er die beiden. Und auch aus dem Publikum kam Unterstützung: Eine junge Frau berichtete, dass es an ihrer Schule (Gymnasium Weikersheim) „exakt genauso“ sei, sie habe ähnliches erlebt.

Einigkeit herrschte dann wieder bei Ansätzen zu besserem Umgang mit dem Themenkomplex. „Den Umgang mit sozialen Medien lernen“, „Mehr Angebote für Jugendliche im ländlichen Raum, damit diese sich nicht abgehängt fühlen“ oder auch „gleiche Bedingungen für alle Schulen, damit zum Beispiel der Besuch einer Gedenkstätte für alle möglich ist“. Für letzteres muss man im Übrigen keine weiten Fahrten auf sich nehmen: Ganz im Sinne Hartwig Behrs gibt es auch in der Region Orte wie etwa die Synagoge in Wenkheim, an denen sich die Geschichte entdecken lässt.

Viele Wortmeldungen aus dem recht großen Publikum zeigten jedenfalls, dass das Thema aktuell einen Nerv trifft. Dass es in der Debatte nicht nur Einigkeit gab, sah Moderatorin Beatrice Faßbender positiv: „Hartwig Behr hätte es gefallen, wenn lebhaft diskutiert wird.“

Redaktion

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