Bad Mergentheim. „Die Welt hat sich verändert, wir müssen mehr tun“, lauteten Zwischenrufe in der Gemeinderatssitzung am vergangenen Donnerstagabend in Richtung CDU-Fraktion. Diese stemmte sich mit aller Kraft, aber nicht mit geschlossenen Reihen, gegen das aus ihrer Sicht drohende „Unheil“ – gegen die Aufweichung des strengen Kriterienkatalogs zu Freiflächen-Photovoltaikanlagen im Stadtgebiet, der noch im Mai unter ihrer „Führung“ durchgeboxt wurde. Doch diesmal sagten Grüne, Freie Wähler, SPD und FDP wo es lang geht.
Die Debatte wurde emotional geführt und dauerte entsprechend auch. Den Anstoß hatten die Grünen mit einem Rückholungsantrag – nach sechs Monaten Wartezeit – gegeben. Die Stadtverwaltung sollte laut Grünen beauftragt werden, den Kriterienkatalog (vom Mai) anzupassen und mehr sowie größere Projekte zu ermöglichen. Begründung: die Energie- und Klimakrise sowie neue Vorgaben des Landes Baden-Württemberg.
Thomas Tuschhoff (Grüne) beklagte, dass kein einziger Antrag für eine Freiflächen-Photovoltaikanlage im Mergentheimer Stadtgebiet „alle Kriterien, die im Mai aufgestellt wurden, erfüllt“. Es gebe keinen Fortschritt. Die Kriterien seien viel zu restriktiv.
Es lägen elf Vorhaben auf dem Tisch und diese würden zusammengerechnet 72 Hektar an Fläche benötigen, sagte Karl Kuhn (CDU) und verteidigte den bestehenden Kriterienkatalog: „Denn wir wollen bei den Bürgern eine optimale Akzeptanz der Projekte.“ Jordan Murphy (SPD) stellte sich dagegen mit seiner Fraktion auf die Seite der Grünen. Auch er monierte, dass sich nichts bewege und der bisherige Rahmen zu eng sei. In der Region um die Kurstadt sei man schon viel weiter.
CDU-Fraktionschef Andreas Lehr warb für einen Ausbau mit Augenmaß und warnte vor zu viel Preisgabe landwirtschaftlicher Flächen. Er deutete aber auch einen Kompromiss – in der Befürchtung einer drohenden Abstimmungsniederlage – an und stellte Änderungsanträge: Bis zu zehn Hektar pro Anlage ohne Speicher, aber weiter nur fünf Projekte in fünf Jahren. Sein Fraktionskollege Hariolf Scherer warb mit zitierten Hinweisen des Umweltbundesamtes für eine Beibehaltung der Regulierung und Wolfgang Herz (CDU) fragte gar: „Welche Verlässlichkeit haben unsere Beschlüsse, wenn wir sie nach sechs Monaten wieder abändern? Was sollen Investoren, Planer, die Bürger und die Verwaltung davon halten?“ CDU-Stadtrat Ulrich Gebert sah bereits großen Ärger in den Stadtteilen heraufziehen, auch aus Neidgründen, und sein Fraktionskollege Hanspeter Fernkorn kritisierte die zu erwartende Überlastung des Bauamtes durch immer mehr Bebauungspläne und städtebauliche Verträge mit den Investoren.
Thomas Tuschhoff wischte all diese Bedenken beiseite und stellte klar: „Der Gemeinderat hat immer das letzte Wort! Bei allen Projekten!“ Er regte ebenso an, auch mehr Dachflächen in der Innenstadt für Photovoltaikanlagen freizugeben (dies verhindert aktuell die Gestaltungs- und Erhaltungssatzung; sie gibt enge Grenzen vor).
Jeremias Träger (SPD) warf schließlich in die Debatte ein: „Keiner will ein Windrad vor seiner Türe haben, auch keine PV-Anlage und ebenso kein Atomkraftwerk.“ So funktioniere die Energiewende aber nicht. Reinhard Brand, der Ortsvorsteher von Hachtel, rief die Stadträte insgesamt dazu auf, die Stadtteile nicht zu überfrachten. Er sieht seinen Ort mit mehreren Vorhaben konfrontiert. OB Udo Glatthaar betonte vor der spannenden Abstimmung, dass jedes Vorhaben genau geprüft werde. Er warb für Kompromisse im Gremium.
Die folgenden Kampfabstimmungen zeigten jedoch, dass Grüne, Freie Wähler, SPD und FDP, teilweise unterstützt vom Oberbürgermeister und von CDU-Stadtrat Thomas Tremmel, gegen die restliche CDU-Fraktion votierten. Mit 19:12-Stimmen wurde die Begrenzung auf fünf Bebauungspläne für Freiflächen-PV-Anlagen in fünf Jahren gekippt. Die Begrenzung einzelner Projekte auf maximal zehn Hektar wie von der CDU neu vorgeschlagen fiel mit 14:17-Stimmen durch. Mit 17:14-Stimmen wurde zudem die Projektgröße von bislang fünf Hektar maximal ganz abgeschafft.
Statt 50 Hektar im Stadtgebiet stehen künftig 65 Hektar (entsprechen 0,5 Prozent der Gemarkungsfläche und damit Vorgaben des Landes) zur Verfügung – hier gab es 25 Ja-Stimmen und sechs Nein.
Mit 16:15-Stimmen wurde das bisherige Ausschlusskriterium der Sichtbarkeit von Photovoltaikanlagen von Wohngebieten aus gestrichen. Grüne, Freie Wähler, SPD, FDP, OB Glatthaar und Thomas Tremmel legten zudem mit 17:14-Stimmen fest, dass Freiflächen-PV-Anlagen in regionalen Grünzügen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern die gültigen Regeln der Raumordnungsbehörde angewandt werden.
Einig war man sich im Gremium, dass stets die Ortschaftsräte angehört werden. Keine Mehrheit fand dagegen der CDU-Antrag und Wunsch von Ortsvorsteher Brand, nur ein Projekt pro Jahr und Ortsteil zu prüfen. Mit der CDU stimmte hier auch Franz Imhof von den Freien Wählern, doch das reichte nicht. Am Ende waren 13 dafür, aber 18 Ratsmitglieder dagegen.
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