Landgericht Ellwangen

Bad Mergentheim: Prozess gegen Lehrer wegen sexueller Belästigung fortgesetzt

Neun Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung – dieses Urteil des Amtsgerichts Bad Mergentheim will ein Lehrer nicht akzeptieren. Der Berufungsprozess ist eine Mischung aus Bekanntem und neuen Vorwürfen

Von 
Simon Retzbach
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Der Fall eines Lehrers aus Bad Mergentheim, der Schüler sexuell belästigt und genötigt haben soll, beschäftigt das Landgericht Ellwangen. © Simon Retzbach

Bad Mergentheim/Ellwangen. So viel ist bereits jetzt klar: Der Berufungsprozess gegen den im März verurteilten Lehrer aus Bad Mergentheim wird deutlich länger als noch in der ersten Instanz am Amtsgericht Bad Mergentheim, als es nach neun Zeugen ein Urteil gab. Der erste Verhandlungstag fand nun bereits mit 14 Zeugen statt, ein weiterer Termin ist noch angesetzt.

Da die Staatsanwaltschaft keine Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hatte, gilt ein Verschlechterungsverbot für den Angeklagten. Das heißt: Schlechtestenfalls bestätigt das Landgericht Ellwangen das Urteil aus Bad Mergentheim, eine geringere Strafe ist möglich.

Prozess gegen Lehrer aus Bad Mergentheim: Hauptsächlich Schüler kommen zu Wort

Nichts zu verlieren also für den Mittsechziger, der in Ellwangen mit neuer Verteidigerin auftritt. Anne Patsch, spezialisiert auf Sexualdelikte, vertritt den Lehrer nun. Schafft sie es, die Vorwürfe der sexuellen Belästigung und besonders schweren Nötigung zu entkräften?

Viele der bislang gehörten Aussagen wurden so bereits in Bad Mergentheim geäußert. Denn an diesem ersten Verhandlungstag sprechen hauptsächlich die Schüler, die bereits im ersten Prozess aussagten. Sowohl der Schlag auf den Hintern einer damals 16-Jährigen im Rahmen einer Skifreizeit als auch das umstrittene Vertrauensspiel „Schenkelsitzen“, bei dem es zur Nötigung gekommen sein soll, kommen zur Sprache.

Insbesondere die zwei Schülerinnen, denen der Lehrer beim Vertrauensspiel unangemessen nahe gekommen sein soll, belasten den Angeklagten schwer. Unter Tränen finden sie deutliche Worte. „Ich habe mich angewidert gefühlt“, „Er hat eine Grenze von mir überschritten“ oder auch „Es war ein großer Schockmoment“ – nur einige Äußerungen der jungen Frauen zur Vorgehensweise des Lehrers. Als ein Schüler nicht habe mitmachen wollen, hätte der Angeklagten ihm (und letztlich allen anderen) mit einer schlechten Note gedroht. Eine Aussage, welche die Jugendlichen nach eigener Aussage massiv einschüchterte, sodass sie letztlich widerwillig mitmachten.

Fremdenfeindlichkeit, Sexismus und Grenzüberschreitungen?

In den zahlreichen Aussagen wird auch ein mögliches Fehlverhalten des Lehrers in anderen Situationen thematisiert. Fremdenfeindliche und sexistische Aussagen und klare Grenzüberschreitungen soll es gegeben haben. Ein Lehrer der weiterführenden Schule in Bad Mergentheim fasst es so zusammen: „Schüler wurden schikaniert und bloßgestellt. Er [= der Angeklagte, Anm. d. Red.] hat sehr viel Potenzial, aber er kennt keine Grenzen.“

Ein Schüler schilderte sogar, wie er wegen des Angeklagten die Schule vorzeitig verließ. „Ich bin mit Angst in die Schule gekommen“, erzählte er. Der Umgang des Angeklagten mit ihm, wiederholtes Erwähnen der schlechten Noten des Schülers und hartnäckiges Fragen nach seiner vermeintlichen „echten Herkunft“ wären letztlich zu viel für ihn gewesen. Der junge Erwachsene will sogar beobachtet haben, wie der Angeklagte gute Noten als Gegenleistung für positive Schüleraussagen über seine Arbeit versprach.

Für den Vorsitzenden Richter Martin Honold ist allerdings klar: „Wir können nicht alle angesprochenen Vorwürfe klären, es geht um die beiden angeklagten Sachverhalte“. Eine Klarstellung, die dem Angeklagten recht sein dürfte. Denn Verteidigerin Patsch beklagte eine „Stimmungsmache“ gegen ihren Mandanten durch die vielen „sachfremden“ Schilderungen von möglichem Fehlverhalten.

Sie und auch der Angeklagte verteidigten das Schenkelsitzen als pädagogisch sinnvolles Spiel, das sich durch vielfältige Einsätze in unterschiedlichen Konstellationen bewährt habe. Den Schlag auf den Hintern einer Schülerin stritt der Pädagoge auch in Ellwangen ab. Die Vorkommnisse hätten bei ihm bleibende Spuren hinterlassen: Seit dem ersten Urteil im März sei er krankgeschrieben und unterrichte nicht mehr, habe durch den Vorfall einen Hörsturz erlitten.

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Interessant bleibt nach wie vor die Rolle von Schulleitung und übergeordneten Instanzen wie dem Regierungspräsidium Stuttgart. Denn ein Lehrer berichtete damals wie heute von einem „enttäuschenden“ Umgang dieser Stellen mit der Problematik des möglichen Fehlverhaltens durch einen Kollegen.

Auch vom Regierungspräsidium kam keine Reaktion

Gespräche mit den Schülern seien durch die Schulleitung „nicht ernst“ genommen worden, letztlich seien sogar die Lehrer, die das Fehlverhalten anprangerten, innerhalb des Kollegiums als „schwarze Schafe“ dargestellt worden. Sogar die Androhung von Disziplinarmaßnahmen sei gefallen, als man sich nach wahrgenommener Untätigkeit der Schulleitung ans Regierungspräsidium wandte. Doch auch dort keine Reaktion: „Vom Regierungspräsidium kam nie etwas.“ So blieb letztlich „kein anderer Weg“ als das Verhalten anzuzeigen und den Strafprozess ins Rollen zu bringen.

Am Freitag, 15. November, soll dann nach weiteren Zeugenaussagen, darunter der aktuelle Schulleiter, ein Urteil fallen. Von diesem könnten weitere Konsequenzen für den Pädagogen abhängen. Denn schon im Anschluss an das erstinstanzliche Urteil äußerte sich das Regierungspräsidium dahingehend, dass „man alles Mögliche prüft sowie unternimmt und aktuell weitergehende Maßnahmen vorbereitet.“

Wie die Behörde damals auf FN-Anfrage mitteilte, war man über die Vorwürfe seit Oktober 2022 informiert und stehe seitdem im Austausch mit der Schule. Über konkrete Schritte gibt es bislang keine Informationen. Diese dürften auch von der Höhe und Rechtskraft eines Urteils abhängen. Allgemein wären gegen einen pensionierten Beamten immer noch „Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehaltes“ möglich.

Redaktion

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