Bad Mergentheim. „Von den rund 30 000 Patienten im vergangenen Jahr in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Caritas-Krankenhauses waren weniger als die Hälfte echte Notfälle, die einer dringenden Behandlung im Krankenhaus bedurften beziehungsweise stationär aufgenommen werden mussten“, betont Jürgen Weigand, Chefarzt der ZNA im Caritas.
Die FN-Redaktion hakte dazu nach und bat die Pressestelle des Caritas-Krankenhauses um Stellungnahme zur Bilanz 2022 und den Entwicklungen in der ZNA.
„Mehr als die Hälfte der Patienten waren keine akuten Notfälle“, heißt es aus dem Caritas. „Häufig waren das Patienten mit verstauchten Gelenken, kleineren chirurgischen Problemen, Schwellungen, leichten Rückenschmerzen, Durchfall oder Infektionen etc. Diese hätten mit ihren Beschwerden auch vom Hausarzt behandelt werden können“, so Weigand. „Allerdings sind wir in der Notaufnahme verpflichtet, jeden Patienten anzuschauen, der zu uns kommt, und wir können Patienten nicht einfach wegschicken.“
Dies führe leider immer wieder zu längeren Wartezeiten gerade bei dieser Patientengruppe. „Denn wir versorgen die Patienten bei uns in der ZNA nach der Schwere der Erkrankung und nicht danach, wann sie bei uns eingetroffen sind. Vorrang haben also Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt, Schlaganfall, akuten Kreislaufstörungen, Organversagen oder Unfallbeteiligte mit schweren Verletzungen.“ Diese „echten“ medizinischen Notfälle müssen in der Regel stationär aufgenommen und behandelt werden.
„Die Aufnahmerate lag im Jahr 2022 bei etwa 38 Prozent und somit niedriger als vor wenigen Jahren. Gründe dafür sind unter anderem, dass Patienten aktuell keinen Hausarzt finden oder auch fehlende Facharzttermine. Mit ihren Beschwerden kommen die Patienten dann eben in die Notaufnahme im Krankenhaus“, so Weigand.
Der Facharzt für Innere Medizin, Notfallmedizin, spezielle internistische Intensivmedizin, Klinische Akut- und Notfallmedizin sowie Ärztliches Qualitätsmanagement sieht ein weiteres Problem in der Inanspruchnahme des Rettungsdienstes oft nur für medizinische Bagatellerkrankungen. „Dies führt einerseits zur Überlastung des Rettungssystems und letztendlich zur Überlastung der Zentralen Notaufnahmen, denn die Rettungsdienste bringen die Patienten in der Regel dorthin – oft auf Kosten der Solidargemeinschaft.“
In Lebensgefahr?
Die Krankentransportrichtline sieht eine Beförderung eigentlich nur in Notfällen vor. „Ein Notfall liegt vor, wenn sich die Patientin oder der Patient in Lebensgefahr befindet oder schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn nicht unverzüglich die erforderliche medizinische Versorgung erfolgt“, so die Richtlinie. Doch dies werde häufig nicht beachtet, beklagen die Mediziner.
„Solange ein Taxi teurer ist als der Rettungswagen, wird sich dies auch nicht ändern“, unterstreicht Jürgen Weigand. Und für ihn folgt daraus ein weiteres Problem: „In echten Notfällen kann sich die Hilfsfrist, bis die Rettungssanitäter am Einsatzort sind, verlängern, weil die Rettungswagen (fehl-)belegt und im Einsatz sind.“
Würde eine Notaufnahme-Gebühr helfen? Auch dazu äußert sich Weigand.
Als Lösung künftig unter bestimmten Bedingungen eine Notaufnahme-Gebühr zu verlangen, wenn Patienten direkt in die Notaufnahme gehen, ohne dass es nötig ist, wie Kassenärzte-Chef Andreas Gassen kürzlich gefordert hat, packt nach Ansicht von Jürgen Weigand das Problem nicht an der Wurzel: „In einer Empfehlung zur ,Reform der Notfall- und Akutversorgung in Deutschland’ hat die ,Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung’ Mitte Februar ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen, etwa die Schaffung von Integrierten Notfallzentren an Krankenhäusern sowie Integrierte Leitstellen, die die Patienten den jeweils passenden Versorgungsstrukturen zuweisen. Die Experten verweisen außerdem auf den Sicherstellungsauftrag der niedergelassenen Ärzte der Kassenärztlichen Vereinigung für die ambulante Notfallversorgung rund um die Uhr. Erst sollten diese Möglichkeiten eruiert und wenn möglich umgesetzt werden, bevor wir über zusätzliche Gebühren für Patienten sprechen“, sagt Weigand.
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