Medizinische Versorgung

Bad Mergentheim: Kinderarzt verärgert, denn Mehrarbeit wird nicht bezahlt

Die Kinderärzte Dr. Karl Schmitt und Dr. Hannes Vüllers haben in einer medizinischen Notlage Mehrarbeit geleistet, doch bezahlt wird dies nicht: ein Ärgernis. Die KVBW lehnt eine Stellungnahme zum konkreten Fall ab.

Von 
Sascha Bickel
Lesedauer: 
Die Bad Mergentheimer Kinderärzte Dr. Karl Schmitt (rechts) und Dr. Hannes Vüllers ärgern sich über die Kassenärztliche Vereinigung. © Sascha Bickel

Bad Mergentheim. Mit einem Brief wenden sich die Bad Mergentheimer Kinderärzte Dr. Karl Schmitt und Dr. Hannes Vüllers an ihre Patienten und erklären, warum sie die Praxis im Dezember nur im reduzierten Betrieb öffnen. Sie sind verärgert über die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Diese lehnt eine Stellungnahme zum konkreten Fall ab.

„Liebe Eltern, erinnern Sie sich noch an das vierte Quartal 2022, speziell an die Monate November und Dezember – und an das erste Quartal 2023? Eine Infektionswelle nie gekannten Ausmaßes hat unser Gesundheitssystem an den Rand des Kollapses gebracht. Die Kinderklinik hatte keine freien Betten mehr. Unser Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach rief die niedergelassenen Ärzte auf, ihre Praxisöffnungszeiten zu erweitern und versicherte, dass die Mehrarbeit bezahlt werde. Für uns und unsere Angestellten war es ethische Pflicht und Selbstverständlichkeit über unsere übliche Arbeitszeit hinaus, teilweise bis 21 Uhr, Überstunden zu machen und so diese prekäre Phase in der Gesundheitsversorgung zu bewältigen. Aber was passierte wirklich: Die Mehrarbeit wurde nicht bezahlt!“ Dies teilen Schmitt und Vüllers ihren Patienten mit und berichten es auch im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten.

„Unzeitgemäße Regelung“

Weiter erzählen sie: „Wir als Gemeinschaftspraxis unterliegen einer unzeitgemäßen Regelung, die dem tatsächlichen Versorgungsnotstand keinerlei Rechnung trägt. Wegen angeblicher kinderärztlicher Überversorgung im Main-Tauber-Kreis wird das Einkommen unserer Praxis begrenzt, Mehrleistungen werden nicht bezahlt. Es wird nicht berücksichtigt, dass neben der Infektionswelle ein zusätzliches Patientenaufkommen durch eine große Anzahl an Flüchtlingen und dem gleichzeitigen Wegfall von drei Hausärzten in Bad Mergentheim, die somit keine älteren Jugendlichen mehr abnehmen können, anfällt.“

Dr. Schmitt betont zudem: „Wir werden nach der jetzigen Rechtslage aufgefordert, einen Aufnahmestopp für unsere Praxis zu verhängen. Betriebswirtschaftlich gerechnet hätten wir, da unser Jahresbudget verbraucht ist, spätestens Ende November die Praxis schließen müssen. Aber: Weder einen Aufnahmestopp, noch die komplette Schließung der Praxis wollen wir!“

Um nicht zusätzlich zur unbezahlten ärztlichen Arbeit auf den Mehrkosten für die in der Notzeit angefallenen Überstunden der medizinischen Angestellten sitzen zu bleiben, „mussten wir nun im Dezember unsere Praxiszeiten begrenzen, damit die Mitarbeiter ihre Überstunden kostenneutral abbauen können“, bedauert Dr. Schmitt. Der Praxisbetrieb sei für einige Wochen deutlich eingeschränkt und für Akutfälle gebe es Vertretungen durch andere Kinderarztpraxen in der Region. Dafür sei man den Kollegen auch sehr dankbar.

33 Jahre ist Dr. Karl Schmitt (67) jetzt Kinderarzt in Bad Mergentheim und so etwas ist ihm auch noch nicht passiert. Lange Zeit war er mit einem Kollegen im Oberen Graben ansässig, im Oktober 2022 wurden neue Räume in der Buchener Straße bezogen. Dr. Hannes Vüllers (37) ist inzwischen ebenfalls Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde und wird den Arztsitz samt Praxis zum 1. Juli 2024 komplett übernehmen, weil sich Dr. Schmitt dann in den Ruhestand verabschiedet.

Viele Fragen, aber keine konkreten Antworten

Die FN-Redaktion wandte sich mit den folgenden Fragen an die Kassenärztliche Vereinigung:

  • Stimmt es, dass die Kinderarztpraxis Dr. Schmitt/Dr. Vüllers ihre nach eigener Darstellung „geleistete Mehrarbeit“ im vierten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 nicht vergütet bekommen hat?
  • Was bedeutet die eingegangene Verpflichtungserklärung der Praxis gegenüber der KVBW?
  • Wie steht die KVBW zur „geleisteten Mehrarbeit“ der Kinderarztpraxis?
  • Wird die Unterstützung der Bad Mergentheimer Kinderarztpraxis in der ausgerufenen „Notlage“ (durch Bundesgesundheitsminister Lauterbach) im vergangenen Winter anerkannt?
  • Bleiben die Ärzte am Ende auf ihren Überstunden sitzen?

Weitere Fragen lauteten:

  • Wenn 20 Prozent mehr Arbeit geleistet wurde und dies auch den Krankenkassen der Patienten in Rechnung gestellt wurde, das Geld aber nicht den ausführenden Ärzten in Bad Mergentheim zugeflossen ist, wo ist es dann gelandet?
  • Ist eine Einzelfallprüfung denkbar? Gibt es eine Kompromiss-Möglichkeit seitens der KVBW für diesen Fall? Wie geht es jetzt weiter?

Kai Sonntag, der Leiter der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), antwortete auf die FN-Anfrage wie folgt: „Ich bitte um Verständnis, dass wir zu einzelnen Praxen keine Auskunft geben können.“

Ganz allgemein ließ Sonntag wissen, gebe es „zwei Beschränkungen, die der Gesetzgeber so vorgegeben hat. Zum einen unterliegen die Praxen einer Budgetierung. Das bedeutet, dass den Praxen für jedes Quartal ein bestimmtes Budget, also eine Zahl an Patienten zugewiesen wird, in deren Rahmen die sie die Behandlungen bezahlt bekommen. Überschreiten sie das Budget, müssen sie die Behandlungen aus der eigenen Tasche bezahlen. Diese Budgets spielen in Baden-Württemberg für die Haus- und Kinderärzte seit rund zehn Jahren aber keine Rolle mehr. Aus verschiedenen Gründen können wir den Praxen in den Fachgruppen alle Behandlungen ausbezahlen.“

Zudem erklärt Sonntag: „Die zweite Begrenzung ist die Bedarfsplanung. Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass die Zahl der ambulant tätigen Ärzte aus Kostengründen kontingentiert wird. Sehr vereinfacht ausgedrückt, steckt der Gedanke dahinter: mehr Ärzte = mehr Behandlungen = mehr Verordnungen = höhere Kosten. Daher gibt es ein Kontingent an Arztsitzen für jede Fachgruppe und eine Region. Wird dieses Kontingent überschritten, gilt der Bereich als rechnerisch überversorgt und wird für weitere Ärzte gesperrt. Damit darf keine neue Praxis gegründet werden und eine bestehende Praxis sich nicht vergrößern. Allerdings gibt es die Möglichkeit, einen Arztsitz auf zwei Ärzte aufzuteilen. Das wäre dann eine Arzt Jobsharing. Wenn das ein Arzt macht, also selbst einen Teil seines Deputats mit einem anderen teilt, dann gibt es eine Begrenzung hinsichtlich der Fallzahlen. Anders ausgedrückt verpflichtet sich eine Praxis dann, ihren Leistungsumfang nicht zu erhöhen. Alles, was darüber hinausgeht, muss die KV streichen. Allerdings kann eine Praxis beantragen, dass diese Leistungsgrenze erhöht wird. Hört sich kompliziert an, ist es auch, aber so sind die gesetzlichen Vorschriften.“

Darauf hakten die FN nochmals bei der KVBW nach: Gibt es nochmals Gespräche mit der betroffenen Kinderarztpraxis in Bad Mergentheim? Sucht man einen Kompromiss? Aus Stuttgart hieß es jedoch erneut: „Dazu äußern wir uns öffentlich nicht.“ sabix

Nachfolger aufgebaut

Früher hatte die Gemeinschaftspraxis zwei Arztsitze, einer davon wanderte jedoch mit einem Kollegen in dessen neue Praxis ab. So betreibt Dr. Schmitt nun Jobsharing mit Dr. Vüllers, um ihn auf die Praxisübernahme vorzubereiten und die Kinderarztpraxis für Bad Mergentheim zu sichern. Die Investitionen in moderne Räume stellen laut Schmitt ebenso die Weichen für die nächsten 30 Jahre.

Von der Kassenärztlichen Vereinigung gab es die Auflage, dass die Praxis mit dem verbliebenen einen (!) Arztsitz „ihren Arbeitsumfang nicht wesentlich erweitern darf und es wurde eine Höchstgrenze für den Umsatz festgeschrieben“, erklärt Dr. Schmitt. Eine Verpflichtungserklärung musste unterschrieben werden, weil der Kinderarztbereich im Main-Tauber-Kreis überversorgt sei, was Schmitt, der selbst etwa 2000 Patienten hat (im Durchschnitt habe ein Kinderarzt 1200), stark bezweifelt.

Mit voller Kraft gegen die Notlage

Nun gab es die oben beschriebene Notlage im vergangenen Winter. Die Mergentheimer Kinderarztpraxis half nach Kräften und mit etlichen Überstunden mit, so Schmitt, die vielen Patienten zu versorgen. Doch die KV schätze dies nicht und so wurden – mit Hinweis auf die Verpflichtungserklärung – rund 20 Prozent vom geleisteten Jahresumsatz nachträglich nicht vergütet. „Ein Fünftel fehlt“, ärgert sich Schmitt.

„Ich wünsche mir, dass die Leistungsbegrenzung der KV in fairer Weise an den tatsächlichen Bedarf angepasst wird. Machbar wäre eine Ausnahmeregelung, zum Beispiel in Form einer Einzelfallprüfung, die die außerordentliche Lage feststellt“, meint Dr. Schmitt, der trotz mehrfacher Nachfrage und Beschwerden von der KV noch keine Aussagen erhalten hat, ob die Gesamtproblematik noch einmal neu angeschaut und nach Kompromissen gesucht wird.

Enttäuschung macht sich bei Dr. Schmitt auch deshalb breit, weil eben Bundesgesundheitsminister Lauterbach alle Ärzte vor einem Jahr öffentlich um Hilfe bat, um die Infektionswelle (RS-Virus, etc.) zu meistern. „Doch jetzt bleiben wir im Regen stehen und auf den Kosten sitzen“, das untergrabe jede Glaubwürdigkeit, so Dr. Schmitt.

Mehr zum Thema

Gesundheit

Bad Mergentheim: Fachärzte bekommen Hausarztmangel zu spüren

Veröffentlicht
Von
Sascha Bickel
Mehr erfahren
WMS Stiftung spendet Geld

Main-Tauber-Kreis: 10000 Euro für Hunde, Konzert und Freibad

Veröffentlicht
Von
Sascha Bickel
Mehr erfahren
Drei Hausarztpraxen geschlossen

Bad Mergentheim: "Geschäftsbetrieb der Medicas GmbH faktisch eingestellt"

Veröffentlicht
Von
Sascha Bickel
Mehr erfahren

Prekäre Situation

Dass das Gesundheitsministerium aufgrund der prekären Situation in der Kindermedizin gar eine Aufhebung der Budgetierung ab dem zweiten Quartal 2023 verfügt hat, aber die Praxis Schmitt/Vüllers hiervon nicht profitiert – wieder mit Verweis auf die Verpflichtungserklärung gegenüber der KV – ist für Dr. Schmitt dann der endgültige Höhepunkt des Absurden.

Zudem ergänzt Schmitt noch, dass eine aktuelle Patientenumfrage der KV „super Bewertungen für die Praxis und ihre geleistete Arbeit“ ergeben habe. Diese Tatsache plus die eingeleitete Nachfolge-Lösung für den Standort Bad Mergentheim, dazu das große Engagement aller Mitarbeiter und das Invest in moderne Räumlichkeiten sollten auch von der Kassenärztlichen Vereinigung wertgeschätzt werden.

Die KV will sich trotz mehrfacher FN-Nachfrage nicht zum konkreten Fall in Bad Mergentheim äußern. Lediglich eine allgemeine Stellungnahme wird abgegeben (siehe Infobox). Damit bleibt unklar, ob es zur geschilderten Situation doch noch eine Lösung geben kann.

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten

VG WORT Zählmarke