Bad Mergentheim. Selten hat veraltete Technik so viele Glücksgefühle ausgelöst wie hier. Denn Dominik Michel kriegt das Strahlen kaum mehr aus dem Gesicht, so sehr freut er sich über einen Zufallsfund, den ihm ein bis dahin Unbekannter überreicht.
Doch von vorn: Dominik Michel und seine Familie, darunter Vater Lothar, sind alteingesessene Stuppacher, die Familie hat dort weit zurückreichende Wurzeln. Der bis dahin unbekannte Mann heißt Kurt Teuke und stammt aus Dörzbach. Er ist Teil des Vereins „Dörzbacher Geschichten und Geschichte“, der sich mit der Historie Dörzbachs beschäftigt. Stuppach liegt da eigentlich außerhalb des Interessensgebiets, doch durch einen Zufall erhält Teuke eine Zusendung, die ihn in den Bad Mergentheimer Stadtteil führt.
Verantwortlich dafür ist Peter Dreyer, ein 88-Jähriger aus Massachusetts in den USA. Schon in den 60er-Jahren wanderte der Mann von Deutschland dorthin aus. Um die Jahrtausendwende besuchte er seine mittlerweile verstorbene Schwester in Bad Mergentheim. Er half ihr, ein Möbelstück zur Reparatur nach Dörzbach zu einem dortigen Schreinerbetrieb zu bringen. Dass er ausgerechnet diesen Betrieb wählte und keinen anderen, ist ein weiterer glücklicher Zufall dieser bemerkenswerten Geschichte.
Denn in diesem Geschäft entdeckte der Mann zwei historische Schachteln mit sogenannten Glasnegativen. Bei dieser mittlerweile veralteten Technik wurden Fotografien per Emulsion auf Platten unterschiedlicher Größe aufgetragen, in diesem Fall eben auf Glasplatten. Aus diesen Negativen entstand dann ein ganz normales Papierfoto, in dem die beschichtete Negativplatte auf Fotopapier gelegt und von oben mit einer Lampe belichtet wurde. Unter anderem, weil diese Platten recht empfindlich waren, wurde die Technik mit dem Aufkommen von Rollfilmen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach verdrängt.
Doch zurück in den Dörzbacher Schreinerbetrieb um die Jahrtausendwende. Peter Dreyer war fasziniert von den Fundstücken – ganz im Gegensatz zum Besitzer des Ladens, der sie ihm deshalb nur zu gerne überließ. Dreyer nahm sie mit nach Amerika und verwahrte sie dort. Kürzlich fand er sie wieder und wollte sie nach Dörzbach zurücksenden – was gar nicht so einfach war. Doch über Umwege erreichte sein Paket letztlich vor einigen Monaten den Verein von Kurt Teuke.
Teuke schaute sich den Inhalt genau an und fand den Zettel eines Fotogeschäfts aus Bad Mergentheim, am Rande die handschriftliche Notiz „Michel Stuppach“. Daraufhin war sein „Forscherdrang“ geweckt und er ging auf die Suche nach möglichen Angehörigen. Durch ein altes Adress-Verzeichnis fand er schließlich Dominik Michel, der ihm bestätigte, dass es eine Familie Michel in Stuppach gibt. Teuke, der die Bilder mit viel Geschick digitalisiert hatte, zeigte diese der Familie und Lothar Michel erkannte auf einem Bild schließlich seine Großmutter Magdalena Michel, die von 1881 bis 1962 lebte. Damit war die Zuordnung klar.
Für eine Übergabe der Negative an die rechtmäßigen Eigentümer kam Teuke kürzlich dann in den Betrieb von Dominik Michel, der in Bad Mergentheim die Flaschnerei Michel führt. Auch Vater Lothar ist dabei. „Das hat mich total interessiert“, beschreibt Dominik gegenüber den FN seine Reaktion auf den ersten Anruf des ihm unbekannten Kurt Teuke vor einigen Wochen. Lothar Michel erzählt, dass sein Sohn schon immer großes Interesse an seiner Familiengeschichte hatte und ihn öfter mal „löcherte“.
Und ein Blick in das Gesicht von Dominik Michel bestätigt dieses Interesse. Aufmerksam lauscht er den Erklärungen von Kurt Teuke, ist interessiert an der Technik, die hinter den Glasnegativen steckt – und an den Erzählungen seines Vaters, der sich anhand der Bilder zumindest an so manche Anekdote erinnert. Und auch wenn der 70-Jährige selbst nicht mehr alles weiß, so entsteht durch die insgesamt 18 Bilder dennoch ein munterer Austausch über alte Zeiten – in Stuppach und darüber hinaus.
Der Ehrgeiz von Sohn Dominik ist geweckt. „Sie haben den Anstoß für weitere Familienforschung gegeben“, so der 43-Jährige Handwerksmeister zu Hobby-Detektiv Teuke. Dass er nun unter anderem erstmals ein Bild seiner Urgroßmutter vor Augen hat, bewegt ihn sichtlich. Mit den Negativen will er nun zu einem professionellen Fotostudio in der Hoffnung, sie dort zu Fotos mit brauchbarer Qualität entwickeln zu lassen. Denn nicht alle der Negative, die vor teilweise mehr als 100 Jahren entstanden sein sollen, zeigen bislang gut erkennbare Motive.
Die Michels sind begeistert von Teukes ehrenamtlicher Initiative. „Das ist nobel von ihm“, freut sich Lothar Michel. Und Dominik Michel, der so zum ersten Mal seine Urgroßmutter sieht, kündigt sofort eine Spende für den Dörzbacher Verein an. Wenngleich Geld nicht die Motivation für die Arbeit von Kurt Teuke war und ist. „Die Recherche hat mich einfach gepackt“, erzählt der 70-jährige Teuke mit einem Schmunzeln. Zumal das Motto des Dörzbacher Vereins so auf eindrückliche Weise zum Leben erweckt wurde: „Geschichte darf nicht verloren gehen“.
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