Bad Mergentheim. Es ist dünnes Eis – denn ganz leicht entstehen aus einer, zwei Karten oder gar eine Sammelleidenschaft, die einen selbst zum Schreiber werden lässt.
Natürlich sind es nicht „einfach so“-Postkarten mit Foto vorn und ein paar Worten plus Marke hinten drauf: Blümel-Karten sind Künstlerkarten. Er malt sich frei damit, schon lang vorm Morgenlicht. Ist er zu Hause in Bad Mergentheim, kramt er bereits beim ersten Frühkaffee in seiner Tischschublade. Da warten – oft bereits frankierte – Kartenrohlinge, Stifte, Pinsel.
Und wie’s so ist beim Frühstück: da stuppst schon mal ganz aus Verseh’n mit Absicht ein Pinsel in die Kaffeetasse, tropft halt ein Kaffeefleck auf einen Rohling. Der wächst sich aus, wird Skizze, Bild, Karikatur. Blümel nimmt ins Visier: Katz’, Vogel und Gezweig vorm Fenster; einen Satz aus der Zeitung, einen aus am Vortag aufgesaugter Literatur; auch schon mal eine schräge, vielleicht im Traum aus Nebelfetzen aufgestiegene Alltagssituation. Er krickelt, krakelt, puzzelt, zeichnet, koloriert so wild drauf los, dass Mitfrühstücker sprachlos staunen oder so losprusten, dass sich das Körnerbrot nicht auf dem Teller halten kann. Das wird dann auch ins Bild hineingeholt – gezeichnet oder auch skizziert mit kryptisch-kurzen, verdreht-launigen, gern auch mal philosophischen Sentenzen, Kürzeln und Zitaten.
Die schnell gestaltete Morgengruß-Karte – Normformat ist selten, zur Karte wird, was irgend Karte werden kann, ob Einpack-Karton, Kinoticket, Bahnbillett, selbst eine platt gedrückte Innenrolle von Klopapier – kann sich erst gar nicht eingewöhnen im Blümel-Heim: sie geht ganz flink auf manchmal große Reise. Empfänger sind Museen, Archive, Cafés und Bücherstuben, Literatur- und Künstlerfreunde, dazu Bekannte, Sammler, Firmen, Freunde.
Es sind schon mal zehn Stück am Tag, an Reisetagen manchmal mehr. Das kommt drauf an, wie schnell in Irland, Frankreich, Spanien, Italien oder Meckpomm der Kaffee kommt, wie’s Wetter ist, das Licht, die Stimmung. Kellner können schon mal irritiert sein, wenn er da sitzt, mit Kaffee, Aquarellstift, Tonic zu schreib-mal-denken anfängt. Einwohner fremder Städte, die oft schon längst vergessen haben, dass man neben Voice-Mail, SMS und E-Mail auch Infos auf dem Postweg von Ort zu Ort und Land zu Land auf Reisen versenden kann, erst recht vergessen haben, wo sich ein Postamt oder Briefkasten findet, blicken erstaunt aufs Kartenpäckchen in der Hand.
Schwupps mittendrin
Stegreifgedichte, Kaffeeaquarelle, Collagen mit Rechnungsschnipseln, Straßenfundstücken, Ausrissen aus Einkaufszetteln, Unausgegorenes, Verdrehtes, Kurioses schickt er auf Reisen. Wenn der Wind heult wie ein kleines Kind, kann’s eine Skizzenkarte werden, schaut ihm ein Baum, ein Kellner, eine Wolke zu, sind sie – schwupps – mitten drin im Kartenwort und -bild. Auch „echte“ Post- und Ansichtskarten versendet Blümel – natürlich übermalt und/oder kommentiert. Schon als Student habe er das so gehalten, erzählt er: Er liebe einfach Postkarten und Malbriefe. Mancher Adressat wird regelmäßig versorgt, der eine täglich, ein and’rer wöchentlich. Und selbstverständlich kommt auch was zurück. Ein nicht-mehr-nur-Postkarten-Freund – irgendwann hatte man sich wohl im Schatten eines Briefkastens getroffen, dann mit „Schreib mal eine“ den Grundstein für eine Kartenfreundschaft gelegt, aus der erst beidseitige Sammelleidenschaft, dann regster Austausch wurde – etwa sorgt inzwischen über international reisende Kollegen dafür, dass Blümel Karten aus wirklich aller Welt erreichen. Den witzigen und überaus lebhaften Austausch genießen alle Beteiligten.
Per Post reist auch schon mal Kritik an Portokosten. Zur Freude der Postbotinnen? Auf jeden Fall zur Freude nicht nur der Post in Deutschland, die Blümel und seinen Kartenpartnerschaften schon längst eine Sondermarke hätte spendieren können, so viel Geld haben sie schon in Marken investiert. Wobei: „Deutschland ist portomäßig fast noch paradiesisch!“ Aus anderen Ländern Karten zu versenden, könne gewaltig an der Reisekasse nagen, berichten Blümel und die Kartenrunde. Berichtet wird von Flohmarkt-Kartenfunden: Glatt 45 Euro legte Blümel mal hin, um eine perfekt zum Überzeichnen geeignete Aufnahme aus dem Ersten Weltkrieg zu erstehen. Natürlich geht’s auch günstiger, nicht nur bei Restpostenkarten im Ansichtskartenhandel.
Wie viele Künstler-Karten er verschickt hat? Er habe keine Ahnung, so Blümel. Ein befreundetes Paar habe allein über 4000 bekommen – aber das sei deren Zählung. . . Ein Sammler von Blümel-Karten denkt ernsthaft nach, den Karten ein Museum zu widmen; bei anderen zieren sie ganze Wände, werden in Köfferchen verwahrt, auch archiviert.
Und Blümel selbst? Er sammelt sie in Schuhkartons. Da findet sich auch ein recht spezielles Exemplar: Eine in Südfrankreich abgeschickte Karte war offensichtlich in einen Schredder geraten – und von einer engagierten Postlerin oder einem enthusiastischen Postler fein säuberlich zusammengepuzzelt und auch -geklebt worden. Ihr Ziel erreichte sie im Klarsicht-Umschlag. Wenn das kein Service ist!
Ob’s irgendwann in der Region mal eine Blümel-Postkarten-Ausstellung geben wird, steht noch dahin. In einer der mittlerweile aufgegebenen ehemaligen Post-Filialen gäb’s dafür doch bestimmt ein nettes Plätzchen.
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