Vor 100 Jahren

Bad Mergentheim: Als fast alle Deutsche Millionäre waren

Eigentlich unglaublich, dass ein Laib Brot 5,6 Milliarden Mark kostet. Aber das gab es wirklich. Vor 100 Jahren hier in Deutschland. Dafür reicht das Wort Inflation nicht aus. Deshalb: Hyperinflation.

Von 
Joachim W. Ilg
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Auch die Oberamtsstadt Bad Mergentheim gehörte zu den Städten, Gemeinden und Firmen, die 1923 eigene Notgeldscheine herausgaben. Im Bild einige „Millionen“, die im Stadtarchiv aufbewahrt werden. © Joachim W. Ilg

Bad Mergentheim. Wir leben nicht gerade in sorgenfreien Zeiten. Kaum Corona überstanden, rollen weitere Schreckenslawinen auf uns zu. Hitzerekorde, überflutete Städte, steigende Preise, Hass in der Gesellschaft, Hungersnöte in der Welt und Millionen Menschen auf der Flucht. Und zudem noch ein Krieg, dessen Folgen nicht absehbar sind.

2023 ist kein gutes Jahr. Aber vor 100 Jahren ging es den Menschen in Deutschland noch schlechter. 1918 endete der Erste Weltkrieg, den das Kaiserreich angezettelt und verloren hatte. Zahllose Tote, Verkrüppelte, wirtschaftlicher Niedergang, Massenarbeitslosigkeit, Armut und Verzweiflung und eine aberwitzige Geldentwertung, die sich zu einer schwindelerregenden Hyperinflation ausweitete, beherrschten die Nachkriegsjahre.

Allein um die Kriegsschulden zu tilgen und die Reparationszahlungen an die Siegermächte neben vielen anderen Kriegsfolgekosten zu leisten und die Kriegsproduktion auf Friedensproduktion umzustellen, kurbelte der Staat, der im Grunde genommen pleite war, die Notenpresse an und brachte immer größere Mengen an immer wertloser werdendes „Spielgeld“ in Umlauf.

Selbst bei der eigenen Bevölkerung war der Staat verschuldet, hat sie ihm doch während der Kriegsjahre Millionen von Mark an Kriegsanleihen vorgestreckt. Und als die Franzosen 1923 wegen mangelnder Reparationszahlungen das Ruhrgebiet besetzten, verschärfte sich die Lage dramatisch, denn die Regierung rief zum passiven Widerstand auf und musste die Streikenden finanziell unterstützen.

So geriet Deutschland in den Strudel einer geradezu grotesken Geldentwertung. Und weil so viel Geld im Umlauf war, wurden auch die Preise in die Höhe getrieben. Im Mai 1923 kostete ein Kilo Brot 474 Mark. Zwei Monate später war der Preis auf 2200 Mark gestiegen, Anfang Oktober waren es 14 Millionen. Noch einmal vier Wochen später kostete der Brotlaib 5,6 Milliarden Mark.

Millionen für ein Schwein

Auch die Tauber-Zeitung berichtete über die absurd anmutende Geldvermehrung und Geldentwertung im Verlauf des Jahres 1923.

Auf dem Bad Mergentheimer Schweinemarkt kostete im Juli ein Schwein um die zwei Millionen Mark, während in Creglingen zwei Monate davor, Anfang Mai, im Vergleich dazu „nur“ 350 000 Mark verlangt wurden.

Im März lag der Schweinepreis in Niederstetten noch bei etwas über 200 000 Mark.

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Damit der Staat an Geld kam, trieb er die Steuern in die Höhe. Ab dem 4. September wurde beispielsweise jedes verkaufte Kartenspiel mit einer Steuer in Höhe von 380 000 Mark belastet.

Zur Abwicklung des uferlosen Zahlungsverkehrs in Deutschland wurden riesige Mengen an Geldscheinen benötigt.

Tag und Nacht liefen über 1700 Druckmaschinen von 133 Firmen für die Reichsdruckerei auf Hochtouren, um Millionen von Zahlungsmitteln herzustellen, die aber für den täglichen Zahlungsverkehr nicht mehr ausreichten. Deshalb wurden von Städten und Gemeinden eigene Notgeldscheine herausgegeben.

Nachdem die Mergentheimer Bankanstalten der Stadt erklärt hatten, dass es ihnen aufgrund der Knappheit der Zahlungsmittel unmöglich sei, ihren Betrieb weiter aufrechtzuerhalten, wenn nicht seitens der Stadt für Abhilfe gesorgt werde, beschloss der Gemeinderat am 14. August 1923 „zur Erleichterung des Zahlungsverkehrs“ zunächst Gutscheine im Wert von 500 000 bis zwei Millionen Mark (insgesamt 75 Milliarden Mark) für einen bestimmten Zinssatz an die Banken auszugeben, wobei die Stadt mit ihrem ganzen Vermögen haftete.

Die schier grenzenlose Inflation führte zu einer Verarmung großer Teile der Bevölkerung, die ihre Ersparnisse und das Vertrauen in Staat und Gesellschaft verloren. Am 18. Oktober veröffentlichte die TZ einen Aufruf des Bezirkswohltätigkeitsvereins und des Landwirtschaftlichen Bezirksvereins mit der Bitte, dass in der „bitteren Not“, die in „weiten Kreisen unseres Volks“, aber am meisten bei den „alten, bedürftigen Personen“ herrsche, „Lebensmittel aller Art, insbesondere Brotgetreide und Kartoffeln, aber auch Geldgaben“ von Ortsvorstehern, Geistlichen und Lehrern gesammelt werden, um sie an Notleidende zu verteilen.

Geldwahnsinn beendet

Im November erreichte die Geldentwertung ihren Höhepunkt. Zum 20. des Monats wurden die Postgebühren verdoppelt. Ein einfacher Brief kostete dann unvorstellbare 20 Milliarden Mark. Der Höhepunkt des Absurden war erreicht. So konnte es nicht mehr weiter gehen. Die Regierung musste endlich handeln. Und sie tat es.

Reichskanzler Gustav Stresemann stoppte die heiß laufende Notenpresse, verkündete das Ende des Ruhrkampfs und beendete den monetären Spuk am 15. November 1923 mit der Währungsreform und der Einführung der Rentenmark, wobei 600 Milliarden Papiermark einer Rentenmark entsprachen, die ab Oktober 1924 von der Reichsmark abgelöst wurde.

Der Geldwahnsinn war beendet, und nun ging es wieder bergauf. Plötzlich waren wieder die früher gewohnten Einkaufspreise in den Anzeigen und Schaufenstern zu sehen. Aus den Millionären, die ihren Reichtum verflucht hatten, waren Konsumenten geworden, die sich auch mit nur ein paar Mark oder nur ein paar Pfennigen etwas kaufen konnten.

Wer es sich an Weihnachten 1923 gönnen wollte, konnte sich eine „rein orientalische Zigarette“ für drei Pfennige das Stück leisten. Anzugsstoffe wurden in der Preislage zwischen vier und zehn Mark pro Meter angepriesen, und ein Brief kostete nicht mehr 20 Milliarden Mark, sondern nur noch fünf Pfennige.

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