Katastrophale Zustände

Bad Mergentheim: Alle 80 Mieter müssen zum 5. November raus

Löffelstelzer Straße 30: Früher als „Haus Bergfried“ bekannt, heute ein Horror-Bau. Rund 80 Mietparteien leben dort. Jetzt müssen sie raus, weil die Eigentümer alles verkommen ließen. Es droht Gefahr für Leib und Leben

Von 
Michael Weber-Schwarz
Lesedauer: 
Verwahrloster Gesamteindruck: Das frühere „Haus Bergfried“ an der Löffelstelzer Straße 30 weist gravierende Baumängel auf. © Michael Weber-Schwarz

Bad Mergentheim. Erst unlängst gab es einen Brandalarm in einem Appartement im Wohnkomplex an der Löffelstelzer Steige. Weil sich der Rauch bereits in angrenzenden Fluren verteilt hatte, mussten die Bewohner des Gebäudes kurzzeitig von der Feuerwehr evakuiert werden. Personenschäden gab es nicht – aber einmal mehr fatale Erkenntnisse zum Brandschutz. Der scheint dort nämlich nicht zu existieren. Der Kontakt der Stadtverwaltung zu den Eigentümern in Sachen Brandschutzanforderungen verpufft regelmäßig. Eine prekäre und letztlich lebensgefährliche – und für die Stadt äußerst „eklatante“ – Situation.

Bei Feuerwehreinsätzen kaum ein Durchkommen: Erst vor wenigen Tagen gab es einen Brandalarm im Wohnkomplex, bei dem die Mieter evakuiert werden mussten. © Michael Weber-Schwarz

Rund 80 Parteien leben in den heruntergekommen Gebäudeteilen Richtung Löffelstelzen. Das frühere „Haus Bergfried“ gleicht eher einer Bauruine als einem Wohnkomplex. Augenscheinlich dürfte die Mehrheit der Mieter ihr Leben dort mehr fristen als genießen. Aufzug defekt, Sperrmüll in den Treppenhäusern, ein desolater Gesamteindruck innen wie außen.

Weil sich die Situation in dem Wohnobjekt immer mehr zuspitzt und die Eigentümergemeinschaft die gravierenden Mängel nicht abstellt, hat die kommunale Baurechtsbehörde jetzt die Reißleine gezogen.

Räumung zur Not mit Zwang

In einer baurechtlichen Allgemeinverfügung untersagt die Stadtverwaltung die „Nutzung des Gebäudes Löffelstelzer Straße 30, 97980 Bad Mergentheim, Flst.-Nr. 821, insbesondere die Wohnnutzung“ mit „Bauordnungsverfügung der Großen Kreisstadt Bad Mergentheim vom 16. Oktober 2024 gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer“ mit „sofortiger Wirkung bis auf Weiteres“.

Mehr zum Thema

Kommentar Besonders perfide

Veröffentlicht
Kommentar von
Simon Retzbach
Mehr erfahren
Kripo ermittelt unter Hochdruck

Zwei Einsätze in Rothenburg: War es Brandstiftung?

Veröffentlicht
Von
Michael Weber-Schwarz
Mehr erfahren
Lesung im Romschlössle

Beim Sterben geht es (auch) ums Leben

Veröffentlicht
Von
Michael Weber-Schwarz
Mehr erfahren

Konkret bedeutet das für die Bewohner, dass sie zum Stichtag 5. November, 24 Uhr, ausgezogen sein müssen. Wer seine Wohnung dann noch nicht ausgeräumt hat, muss mit „unmittelbarem Zwang“ rechnen, sprich einer behördlichen Zwangsräumung.

Der Grund findet sich in der Landesbauordnung: Es ist dann ein behördliches Einschreiten geboten, wenn „die Anforderungen der Baubehörde (...) nicht erfüllt werden“– und „Gefahren für Leben oder Gesundheit von den Benutzern der baulichen Anlage“ abgewendet werden müssen.

Überall im Gebäude finden sich Hinweise auf defekte Anlagen – hier an einem Personenaufzug. © Michael Weber-Schwarz

Die Stadt hat die Eigentümer laut einem der FN-Redaktion vorliegenden Schreiben bereits mehrfach aufgefordert, das Gebäude brandschutztechnisch zu ertüchtigen. Seit September 2022 seien den Eigentümern demnach die Mängel bekannt.

Durch den vielfach herumstehenden Sperrmüll, im Behördendeutsch „Brandlasten“, sei der Rettungsweg verengt. Sowohl Bewohner als auch Rettungskräfte könnten nicht ungehindert die (Flucht-) Wege nutzen. Die ungehinderte Ausbreitung von Rauch im Brandfall wiederum „erschwert zudem Ihre Selbstrettung und die Rettung durch die Einsatzkräfte, sowie eine erfolgreiche Brandbekämpfung“, teilt die Stadt den Bewohnern mit. Brandschutztüren funktionieren nicht mehr. Im Gefahrenfall können so keine Brandabschnitte gebildet werden, vorgeschriebene beleuchtete Fluchthinweise gibt es nicht in geforderter Weise. Eine effektive Personenrettung durch die Feuerwehr sei so „nicht mehr möglich.“

Und weiter: „Eigene Maßnahmen zur Löschung eines Brandes mittels Feuerlöscher und Wandhydranten sind nicht möglich, da teilweise die notwendigen Feuerlöscher fehlen und die Feuerlöscher und Wandhydranten nicht auf ihre Funktionsfähigkeit gemäß den Brandschutzvorgaben geprüft sind.“

Phasenweise ohne Licht im Flur

Die Gefahr hat sich seit dem 1. August 2024 noch verschärft, denn ab diesem Zeitpunkt „waren die Flure, Treppenhäuser und Ausgänge nicht mehr beleuchtet, da der Stromversorger die Stromzufuhr abstellte. Nur durch Interimsmaßnahmen der Großen Kreisstadt Bad Mergentheim wird vorübergehend Abhilfe geschaffen dergestalt, dass die allgemein zugänglichen Flächen ausreichend beleuchtet sind.“

Die Stadt hat also die Pflichten der Eigentümergemeinschaft mittlerweile teilweise übernommen – samt einer Brandaufsicht durch mehrere Personen von Sicherheitsdiensten, die rund um die Uhr vor Ort sind. Die Rechnung für diese Leistungen geht letztlich dann an die Eigentümer.

Schmierereien und Unrat: Schon der Eingangsbereich lässt Unangenehmes im Inneren vermuten. © Michael Weber-Schwarz

Wer ist nun Eigentümer? Die Antwort kann auch die bestellte Bad Mergentheimer Hausverwaltung nicht wirklich geben. Es handelt sich offenbar um recht unübersichtliche Strukturen – es laufen juristische Verfahren im Hintergrund. Auch die Hausverwaltung habe Außenstände zu beklagen, heißt es von dort.

Ein älterer Hausbewohner, mit dem die FN-Redaktion vor Ort gesprochen hat, vermutet sogar „mafiöse“ Zusammenhänge. Er wisse längst nicht mehr, wem er letztlich seine Miete überweise. Es habe in der Vergangenheit mehrere Eigentümerwechsel gegeben, einen regulären Mietvertrag habe er nicht, er bezahle aber seinen monatlichen Zins. Den Zustand der Wohnanlage bewerte er als „katastrophal“. Er selbst könne wohl in einem Haus in Bad Mergentheim unterkommen, wenn die Verfügung nun durchgesetzt werde. Doch er sei sich sicher, dass viele seiner Mitbewohner bis November keine Unterkunft finden würden.

Ersatzunterbringung „begrenzt“

Die Stadt Bad Mergentheim weist die Mieter in ihrem Schreiben zwar auf die Möglichkeiten von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Räumungsbescheid hin. Doch die Rechtsmittel hätten „keine aufschiebende Wirkung“. Das bedeutet, dass die Bewohner den Räumungsbescheid auch befolgen müssen, wenn sie ihn juristisch angreifen.

Wie geht es für die Bewohner jetzt weiter? „Bitte versuchen Sie kurzfristig, im vertrauten bzw. privaten Kreis bei Ihrer Familie, Freunden oder Verwandten unterzukommen, so dass Sie und Ihre Haushaltsangehörigen nicht in Ersatzunterkünften der Großen Kreisstadt Bad Mergentheim untergebracht werden müssen“, schreibt die Stadt. Im Fall einer drohenden Wohnsitzlosigkeit sollen sich Betroffene an das Ordnungsamt/Sozialamt wenden. Dort werde man sie unterstützen. Die Ersatz-Unterbringung sei zeitlich bis zum 31. Januar 2025 begrenzt und löse Kosten aus.

Weiter informiert und bedauert die Stadt in ihrem jüngsten Schreiben an die Mieter, dass die „Nutzungsuntersagung auf einem Versäumnis der Wohnungseigentümer“ beruhe, die „weder auf die behördliche Aufforderung vom Dezember 2022, noch auf die vom 16. September 2024 reagierte“. Auf die Räumungspflicht bis zum 5. November weist die Stadt noch einmal hin.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Bad Mergentheim

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten