Herbsthausen. Wie sieht die Bilanz der Eingemeindung Herbsthausens nach Bad Mergentheim aus der Sicht des heutigen Ortsvorstehers aus? Darüber unterhielten wir uns mit Wilfried Zeihsel, der seit 2019 im Amt ist.
Ist Herbsthausen seit der Eingemeindung 1973 in der Großen Kreisstadt gut aufgehoben?
Wilfried Zeihsel: Für mich als nachfolgende Generation ist es natürlich ein Leichtes zu beurteilen, ob die Entscheidung richtig war. Hier kann ich nur ein eindeutiges „Ja“ abgeben. Die Große Kreisstadt hat eine positive Entwicklung genommen. Von dieser partizipiert, und das sehe ich als nicht selbstverständlich an, auch der Ortsteil Herbsthausen.
Ich denke da beispielsweise an die Arbeitsplätze, die im Lauf der Zeit in der Kernstadt geschaffen wurden. Nicht zu vergessen auch die in jüngster Zeit für einen kleinen Ortsteil wie Herbsthausen kaum zu stemmenden Großprojekte wie die neue Ortsdurchfahrt oder die Neuordnung der Wasserversorgung mit weichem Trinkwasser.
Auch die Herbsthäuser Brauerei, als größter Arbeitgeber in Herbsthausen und einzige Brauerei der Großen Kreisstadt, setzt auf die gute und breit aufgestellte Gaststätten- und Eventkultur der Stadt. Und nicht zuletzt profitieren wir als kleinster Ortsteil auch von der guten Tourismus-Arbeit der Verwaltung. Ohne diese wäre der Radweg „Liebliches Taubertal - Der Sportive“ sowie der „Bierwanderweg“ keinesfalls so gut frequentiert.
Welche Vorteile, welche Nachteile sehen Sie?
Zeihsel: Als großen Vorteil, und dies war auch seinerzeit ein gewichtiges Argument für den damaligen Gemeinderat Herbsthausen, sehe ich die medizinische Versorgung mit dem Caritas an der Spitze. Hinzu kommen die vielfältigen Verwaltungs- und Behördeneinrichtungen, die Bad Mergentheim als typisches Oberzentrum mitbringt. Und nicht zuletzt ist hier das Angebot an Kindergärten und unterschiedlichsten Schulsystemen zu nennen. Bad Mergentheim bietet unseren Kindern und Jugendlichen nahezu jede schulische Ausbildung. Auch der Einstieg ins Berufsleben wird mit dem Berufsschulzentrum direkt in Bad Mergentheim gewährleistet. Und nicht zu vergessen auch ein Studium im Schloss an der Dualen Hochschule.
Als Wermutstropfen ist das relativ überschaubare ÖPNV-Angebot nach Bad Mergentheim zu nennen. Gerade Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Schüler ohne eigene Mobilität sind hiervon betroffen.
Haben Sie Änderungsbedarf?
Zeihsel: Im Großen und Ganzen kann ich keinen grundlegenden Änderungsbedarf feststellen. Allerdings sollte die immer wieder aufflammende Diskussion über eine Abschaffung der unechten Teilortswahl ein Ende finden. Nur über diese Regelung erhalten die bevölkerungsmäßig schwächeren Ortsteile eine Stimme, um im Gemeinderat wahrgenommen zu werden und ihre Anliegen einzubringen.
Der von meinem Vor-vor-Vorgänger Ortsvorsteher Brand gehegte Wunsch nach einem Baugebiet wurde mit dem Baugebiet „Kirschweg III“ erfüllt. Allerdings wurde das letzte Baugrundstück bereits im Jahr 2020 verkauft. Der Wunsch nach einem neuen Baugebiet ist daher aktueller denn je.
Positiv herausheben möchte ich das Instrument „Bürgerbudget“, das der Gemeinderat in Bad Mergentheim beschlossen hat. Damit wurde eine gute und mit relativ niedrigen Hürden versehene Möglichkeit geschaffen, Wünsche und Bürgeranliegen, die der Allgemeinheit dienen, zu finanzieren.
Es ist ein Geben und Nehmen – der Bürger bringt sich ein und die Materialfinanzierung ist gesichert! Hier liegen die Projekte aus den Ortsteilen gegenüber der Kernstadt nach meiner Wahrnehmung vorn, da hier der örtliche Zusammenhalt noch stärker ist.
Sind die Stadtteile und die Kernstadt zusammengewachsen?
Zeihsel: Ein gewisser „Ortsteil-Patriotismus“ ist vorhanden und das ist auch gut so! Jeder Ortsteil soll schließlich seine eigene Identität behalten und bewahren dürfen – diese Vielfalt macht schließlich die Große Kreisstadt aus. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass sich die Herbsthäuser als „Bad Mergentheimer“ identifizieren. Dies zeigte sich nicht zuletzt beim Landesfestumzug, an dem sich Herbsthausen mit großer Teilnehmerzahl beteiligt hat. Und auch das vor einigen Jahren wieder eingeführte und mit überwältigender Akzeptanz angenommene „MGH“-Autokennzeichen tut ein Übriges, das Zugehörigkeitsgefühl zu stärken.
Die Ortsvorsteher sind Teil der Verwaltung, und die Zusammenarbeit findet auf Augenhöhe statt. Hier kann ich auf meine guten Erfahrungen als „Neuling“ verweisen. Die aufgenommenen Anliegen der Bürger, die ich ans Rathaus weitergebe, werden ernst genommen und erledigt. Umgekehrt bin selbstverständlich auch ich Ansprechpartner für die Stadtverwaltung, wenn örtliche Gegebenheiten einzuschätzen sind.
Gibt es einen Grund zum Feiern?
Zeihsel: Eindeutig „Ja“! Nach den Anfangsjahren, des aneinander Gewöhnens und der ein oder anderen Auseinandersetzung um finanzielle Mittel, greifen die „Zahnräder“ ineinander. Herbsthausen weiß, was es an Bad Mergentheim hat, und auch die Kernstadt nutzt die Möglichkeiten und Vorteile des Ortsteils inmitten der Natur. Herbsthausens Höhenlage mit gesunder, frischer Luft und die ausgedehnten Wälder mit den gepflegten Wanderwegen bieten Gelegenheit zu erholsamen Spaziergängen.
Warum also nicht darauf anstoßen und den „Entscheidern“ im Nachhinein für Ihre Weitsicht und den Mut zu danken – auch oder gerade deswegen, da die Gemeinderatsabstimmung von Herbsthausen nach intensiver Abwägung mit 4:3 pro Bad Mergentheim ausging!
Würden Sie eine Selbstständigkeit wie vor der Reform vor 50 Jahren begrüßen?
Zeihsel: Hier bleibe ich Realist. In der heutigen Zeit mit entsprechendem Auge auf Wirtschaftlichkeit und Sparzwängen sowie dem gewollten „Konkurrenzkampf“ um Fördertöpfe auf EU-, Bund- und Länderebene, wäre es unrealistisch, das „Rad der Zeit“ zurückzudrehen. Im Gegenteil, viele kleinere Gemeinden, die nach der Gemeindereform selbstständig geblieben sind, suchen die Kooperationen mit anderen Kommunen ihrer Größenordnung oder nutzen die Infrastruktur benachbarter „großer Schwestern“.
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