Kolumne #mahlzeit

Dürfen Schwarze die "Zauberflöte" spielen?

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Immer, wenn ich mit Leuten über Sexismus und Rassismus spreche, kommen wir irgendwann an den Punkt zu sagen: Wir alle sind Rassisten. Auch nach einem Interview, das ich neulich mit der Mannheimer Autorin Elisa Diallo geführt habe, sagte ich mir: Du bist ein elender Rassist! In der Tram fühlst du dich neben einem Typen mit schwarzem Haar und dunklem Teint anders als neben einem Blonden mit Sommersprossen – obwohl vielleicht der Dunkle der liebste Mensch auf Erden ist und der Blonde ein Nazi. Ich sage: anders. Ich kann das Gefühl nicht erklären. Aber es ist da.

„Vielleicht ist es dieses Gefühl, das die Leute auf der Bühne sehen wollen, wenn sie sagen: Othello darf nur ein Schwarzer spielen, ein angemalter Weißer, das ist rassistisch und hat nicht den authentischen Effekt!“, sage ich zu Alya, Bela und Caro. Wir essen. Ohne Masken. 2G. Caro erwidert: „Zu diesen Leuten gehöre auch ich!“ Sie schlürft chinesische Gemüsesuppe und wirkt schon ziemlich genervt. Dann sagt sie, es sei schon eine Anmaßung Shakespeares gewesen, einen Mauren ins Zentrum einer Tragödie zu stellen, wo er doch von solchen Leuten keine Ahnung gehabt habe. Es sei übler Voyeurismus. Überhaupt sei auch die Zeichnung von Othellos Frau Desdemona sexistisch, lasse sie sich doch vom alten weißen Fiesling Jago zum Opfer von Othellos blinder Eifersucht machen.

„Das Stück ist nun mal gut und in der Welt“, schaltet Alya sich dazu, „willst du’s verbrennen?“ Der Satz trägt nicht unbedingt zu Caros Beruhigung bei. Die von ihrem Löffel herabtropfende Suppe verwandelt den Teller in einen Springbrunnen. Fettflecken sind ja nicht sooo schlimm. Man müsse eben, so Alya, den kolonialistischen und also rassistischen Hintergrund immer mitinszenieren und -denken. Es sei wie bei der kommentierten Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“. Cancel Culture und das Ausradieren von aus heutiger Sicht politisch Unkorrektem seien keine Lösung. Bela ist bleich, weil er weiß, was jetzt kommt. Und es kommt. Caro steht auf. Und also spricht Caro: „Was bildest du Tussi dir eigentlich ein?“ „Ich.“, sagt Alya jetzt mit Betonung auf ICH, „Bin. Keine. Tussi. Und ich bilde mir nicht ein, dass du mit deiner beschissenen Suppe hier alle volltrielst. Das ist ein Fakt! Ansonsten … kannst du mich mal …“.

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„Sagt mal“, sage ich um Ablenkung bemüht, „dürfen eigentlich in Schlingensiefs Operndorf bei Ouagadougou Schwarze die ,Zauberflöte’ aufführen, ich meine, Monostatos okay, aber wenn da zwei Burkinabe Tamino und Pamina singen – ist das authentisch?“ Zunächst herrscht Schweigen. Dann fragt Caro: „Warum sollten die das überhaupt wollen? Rassismus ist außerdem immer gegen eine Minderheit. “ Und ich dachte immer, Weiße seien in Burkina Faso eine Minderheit …

Vielleicht fängt Rassismus auch an, wo ich die Hautfarbe, Religion oder Ethnie überhaupt thematisiere. Vielleicht meinte der weiße Schwabe Schiller mit seinem „Alle Menschen werden Brüder“ tatsächlich alle – ob schwarz, weiß, grün, gelb, rot oder blau. Ja, auch rosa. Vielleicht sogar Schwestern und ein drittes Geschlecht: m/w/d eben – Mensch/Werde/Demütig!

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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