Herr von Allmen ist mal wieder finanziell äußerst klamm. Lange schon hat sich kein Kunst-Liebhaber bei ihm gemeldet, dem ein kostbares Stück aus der Sammlung abhanden gekommen ist und der den auf verschwundene Kunst-Stücke spezialisierten Detektiv um Hilfe gebeten hat. Mit einem Anflug von Melancholie vertrödelt Allmen seine nur zäh verrinnenden Tage mit der Lektüre alter Romane.
Weil er nicht darauf verzichten mag, sich in seine maßgeschneiderten Anzüge zu werfen, abends durchs Zürcher Nachtleben zu stromern und in schicken Bars teure Drinks zu genehmigen, pumpt er neuerdings sogar seinen Diener Carlos an, der jeden Schweizer Franken dreimal umdreht, aber die Finanzspritze für seinen Vorgesetzten als Investition in eine bessere Zukunft versteht. Carlos vertraut auf das Glück, das dem Tunichtgut und Taugenichts Allmen immer dann zur Seite springt, wenn er es einfach auf sich zukommen lässt.
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Als Allmen eines Nachts auf einen Absacker in eine Bar einkehrt und sich von den Klängen einer charmanten Blues-Sängerin verzaubern lässt, findet er im kultivierten Herrn Weynfeldt einen Bruder im Geiste. Beide lieben den Genuss, das Leben und die Kunst. Doch im Unterschied zu Allmen besitzt Weynfeldt das nötige Geld, um sich das alles auch leisten zu können. Seine weitläufige Wohnung gleich einem Museum der Moderne.
Leider ist ihm aber gerade sein liebster Kunst-Schatz gestohlen worden. Nach einem Empfang für seine besten Freunde fehlt ein Bild von Picasso, dessen Wert sich kaum schätzen lässt. Viele halten es für eine Fälschung. Aber für Weynfeldt ist es schier unbezahlbar, erinnert ihn das Bildnis der nackten Badenden doch an die Frau und die Liebe seines Lebens, die er nicht dauerhaft erringen konnte. Da Weynfeldt keine Polizei einschalten will, bittet er Allmen, dezent und diskret nach dem Verbleib des Bildes zu fahnden.
Suter bringt zwei seiner literarischen Figuren zusammen
In „Allmen und Herr Weynfeldt“ gönnt sich Martin Suter einen kleinen Spaß und bringt zwei seiner literarischen Figuren zusammen, die bisher getrennte Wege gegangen waren. Während Schwerenöter Allmen immer wieder unterhaltsame Auftritte hat (auch in der erfolgreichen TV-Verfilmung), ist es um Herrn Weynfeldt seit seinem letzten Roman-Auftritt (2008) ziemlich still geworden.
Ihn jetzt literarisch zu reanimieren und den Kunst-Sammler mit dem Kunst-Detektiv in intellektuelle Plaudereien zu verwickeln, lag eigentlich schon längst auf der Hand. Natürlich kommt neben dem vermissten Picasso auch das Bild von Félix Vallotton wieder zum Vorschein, das eine nackte, vor einem Kaminfeuer hockende Dame zeigt und bereits in „Der letzte Weynfeldt“ eine geheimnisvolle Rolle spielte.
Suter führt den Leser einmal mehr mit lässiger Eleganz und leichter Ironie durch die Welt des schönen Scheins, hinter deren protziger Fassade dunkle Abgründe lauern und sich Neid und Gier, Hass und Eitelkeit austoben. Irgendwann muss sich der naive Herr Weynfeldt eingestehen, dass seine lieben Freunde hinterhältige Habenichtse sind, denen alles zuzutrauen ist, auch bei einer Party einen Picasso mitgehen zu lassen und einen Mord zu begehen, um die Spuren zu verwischen. Oder war alles vielleicht doch ganz anders? Allmen und Weynfeldt stochern lange im Nebel des verlorenen Vertrauens, bis ihnen die Lösung des Rätsels fast von alleine in den Schoß fällt. Glück muss man haben.
„Allmen und Herr Weynfeldt“. Diogenes. 220 S., 26 Euro.
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