Mannheim. Jazz- und Popsängerin Stephanie Neigel alias Phalleé hat „bestimmt schon zwanzig Mal“ auf der Bühne in der Alten Feuerwache (AFW) gestanden. Der virtuose Schlagzeug-Tausendsassa und Produzent Tommy Baldu, ehemals bei Six Was Nine oder in der Band von Laith Al-Deen, wohl noch häufiger. Mit seinem wunderbaren Liveprojekt Das Vereinsheim gehörte er quasi zum Inventar des AFW-Programms – bis zur Pandemie. In diesem „dunklen, langen Tunnel“ für Kreative entstand die Idee zu dem gemeinsamen Duo-Album „Zwischen den Zeilen“, dass die beiden am Freitagabend am offiziellen Erscheintag vor Heimspielpublikum in Mannheim live präsentieren (hier unsere Albumkritik).
Dabei begeben sich die gebürtige Wormserin und der Wahl-Pfälzer aus Jockgrim gemeinsam „auf dünnes Eis“, wie Baldu es nennt. Und es stimmt. Wann wird Popmusik, wie sie im Heimstudio des Drummers zumindest im weiteren Sinne entstand, schon mal im Duo uraufgeführt? Die Anordnung des Auftritts ist auch ungewöhnlich und erinnert an die eindrucksvollen 360-Grad-Multimedia-Shows des Vereinsheims. Dabei sind die Musizierenden in der Saalmitte platziert. Auch Phalleé & Baldu spielen unten, Auge in Auge mit dem Publikum, das ihnen im Halbkreis gegenüber sitzt.
Diese ungewöhnlich intime Konzertsituation passt zum Charakter der Musik. Sie illustriert teilweise sehr persönliche Gedanken in den Texten Phalleés über Privates und Politisches, wie es rhythmisch wohl nur Baldu kann: mal ganz feinstofflich, fast diskret oder avantgardistisch, dann zupackend-explosiv im Dienst des Funk am Schlagzeug. Oder – erstmals öffentlich – an der Gitarre („Ich habe mich getraut“).
Die Melodien an Keyboards oder Akustik-Gitarre der studierten Jazzerin halten mit dessen hohen Anspruch mit, und sorgen mitunter mit Beatles-haften Harmonien für Pop-Bodenhaftung. Gesanglich zeigt sich das Les-Brünettes- und Söhne-Mannheims-Jazz-Department-Mitglied wieder einmal extrem variabel („Monster“, „Wo gehen wir hin“ mit sirenenhaftem Klang und Loop-Spuren).
Diese Mixtur beeindruckt vom Intro an über den Titelsong des Albumdebüts bis zu passend ausgewählten Liedern von Neigels letztem Soloalbum „In Sachen du“ (2018). Wie vor allem „„Das Kind“, für das die beiden noch etwas weiter nach vorn rücken und gemeinsam Gitarre spielen. Dem folgt eine hochdynamische Solo-Schlagzeug-Impression, in der Baldu eindrucksvoll die Ratlosigkeit auf die Frage seiner Tochter verarbeitet, warum ukrainische Flüchtlinge so traurige Augen hätten. Kinderträume
Von rockig-tanzbar bis filigran
Beim politischen „Vor der Wahl“erweist sich Baldu auch auf der tonal tiefgelegten E-Gitarre als Meister des Grooves, dessen Sound an seinen isländischen Partner Ómar Gudjónsson beim Duo Roforofo erinnert. Zusammen mit der psychedelisch verfremdeten Stimme Phalleés entsteht noch eine neue, rockig-tanzbare Klangfarbe. Die wird von der Neigel-Nummer „Tanz“ mitreißend weitergeführt. Der logische Abschluss eines derart intimen Konzerts kann nach rund 90 Minuten nur ein filigranes Lied über „Liebe“ sein, dem „Zentrum von allem“, so Baldu. Vielleicht der Anfang einer ungewöhnlichen Erfolgsstory ungewöhnlicher Popmusik.
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