„Last Dream of the Morning”

Mit Lust an der Improvisation in Weikersheim gastiert

Von 
Dilan Salatan
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Bassist John Edwards und Saxophonist John Butcher brillierten auch als Duo im club w71 in Weikersheim. © Dilan Salatan

Weikersheim. „Last Dream of the Morning”. Wenn vom letzten Traum des Morgens die Rede ist, dann ist damit gewiss nicht der Traum des Tiefschlafs gemeint, der sich dem nächtlichen, unbewussten Ich offenbart. Gemeint ist vielmehr jener dämmerartige Bewusstseinszustand – bei halb geschlossenem, halb geöffnetem Auge –, in dem sich Traum- und Wachwelt zu vermählen scheinen, und der dem Träumenden die entfesselte Imaginationskraft der Traumbilder direkt vor Augen führt. Kein Träumen im eigentlichen Sinne also, sondern vielmehr eine visionäre Schau ist das.

Ein passenderer Name lässt sich für das britische Trio, dessen Auftritt am Samstagabend im Weikersheimer club w71 mit großer Spannung und Vorfreude erwartet worden war, kaum denken. Denn das experimentierfreudige Spiel dieser drei erfahrenen und meisterhaften Improvisationstalente erweckt mit seinen ungewöhnlichen, mal luziden, mal schattenhaften Soundstrukturen den Eindruck, als habe man es hier mit lautlichen Entsprechungen von Traumbildern zu tun.

Die Vorfreude über den Auftritt der drei Briten erhielt allerdings einen jähen Dämpfer, als der Schlagzeuger Mark Sanders aufgrund eines akuten medizinischen Notfalls ins nächstgelegene Krankenhaus eingeliefert werden musste. Es schien zunächst ungewiss, ob das Konzert, das aufgrund der Pandemie schon einmal verschoben wurde, neuerlich abgesagt werden müsse. Glücklicherweise entschieden sich Saxophonist John Butcher und Bassist John Edwards kurzerhand für einen spontanen Formationswechsel und spielten – zur großen Freude des Publikums – ein Set im Duo. So geriet der Abend zu einer Art Experiment, das trotz großer Besorgnis der Bandkollegen um ihren Schlagzeuger, glücklicher kaum hätte ausfallen können.

Akustisch-experimentell

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Wer nach Formelhaftigkeit und gefälligen Harmonielinien in der Musik sucht, der war hier fraglos fehl am Platz. Das akustisch-experimentelle Klangfeld, das den Zuhörerinnen und Zuhörern in Weikersheim ausgebreitet wurde, schien beinahe unerschöpflich und zeugte von einer unbändigen musikalischen Imaginationskraft, wie man sie selbst unter den talentiertesten Musikerinnen und Musikern nur in den seltensten Fällen findet.

Die Wucht und Wendigkeit, mit der Butcher und Edwards ihre Lust an der Improvisation darboten, fesselte das Publikum bis in die letzten Reihen und ließ es kaum Atem schöpfen. Das Zusammenspiel der beiden zeugt von einer glänzenden Fulminanz, die jeden Augenblick in ein einzigartiges Licht taucht: Gemeinsam erzeugen die beiden Musiker spannungsgeladene, kraftvolle und fantasiereiche Ausbrüche, die mal von den pulsierenden, schwingenden Saiten des Basses, mal von den dumpf-zirkulierenden, dann wiederum wütend-kreischenden Linien des Saxophons erzeugt werden.

Obsessives Spiel

Man kann dieser Musik das Label einer experimentellen Nischenmusik aufdrücken. Wer allerdings bereit ist, sich der abseitigen Akustik und dem obsessiven Spiel von „Last Dream of the Morning“ auszusetzen und hinzugeben, darf in den Genuss einer Darbietung kommen, die sich an Spannung und Intensität kaum überbieten lässt. Der hochkonzentrierte Auftritt des Duos versetzte die Hörerinnen und Hörer bis zum Schluss in Staunen. Vor allem aber stand er bezeichnend für die wunderbare musikalische Diversität des Programms des club W71.

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