Kino

Neuer Film "Chantal im Märchenland": Mädels an die Macht

Filmemacher Bora Dagtekin erweckt seine Problemschülerin aus der „Fack Ju Göhte“-Reihe in „Chantal im Märchenland“ zu neuem Leben. Was das Publikum erwartet

Von 
Gebhard Hölzl
Lesedauer: 
Zeynep (Gizem Emre) und Chantal (Jella Haase) landen im Film „Chantal im Märchenland“ in der magischen Welt von „Dornröschen“. © Gordon Timpen/Constantin Pictures/dpa

„Spin-offs“ gehören zum Alltag im Film- und Fernsehgeschäft. Als „Ableger“ lässt sich der Begriff übersetzen. Entsprechend ist ein Spin-off ein Film- oder Serienableger, der sich auf ein bekanntes und/oder erfolgreiches Werk bezieht, im gleichen Universum spielt und gerne die Geschichte einer bereits etablierten Figur weitererzählt. Zur Kunst hat man dies etwa im Marvel Cinematic Universe (MCU) perfektioniert, wo sich die Wege der zahllosen Helden immer wieder kreuzen. Auf dieses Prinzip setzen nun die Verantwortlichen des Münchner Filmunternehmens Constantin Film.

Zig Kassenhits hat der Unterhaltungskonzern in den vergangenen Jahren gelandet, mit Michael „Bully“ Herbig als sprichwörtlichen Goldesel. Knapp zwölf Million Besucher hat seine Western-Persiflage „Der Schuh des Manitu“ (2001) in die heimischen Lichtspielhäuser gelockt. Ihm an die Fersen geheftet hat sich Bora Dagtekin mit der „Fack Ju Göhte“-Trilogie (2013 - 2017), die es auf über 21 Millionen Ticketverkäufe brachte.

So gesehen war es nur von logischer Konsequenz, dass man „Fack Ju Göhte“ wiederbelebt hat. In Person von Jella Haase, einst Problemschülerin des unkonventionellen Pädagogen Zeki Müller alias Elyas M’Barek, der aktuell kurz für einen Gastauftritt vorbeischaut. In der Rolle der Chantal Ackermann eroberte sie die Herzen der Teenagerklientel. Die darf sich freuen. Denn, wie der Verleih wirbt: „Chanti is bäck“. Und weiter: „Im wahrscheinlich geilsten Märchen ever!“ Als ambitionierte Influencerin ohne Follower geraten sie und ihre beste Freundin - und Ex-Mitschülerin - Zeynep (Gizem Emre) durch einen antiken Zauberspiegel, den sie für ein Social-Media-Gimmick halten, in die titelgebende Märchenwelt.

Als Prinzessin lässt sich ja wohl ordentlich Content generieren

Was die junge Frau erfreut. Denn als Prinzessin lässt sich ja wohl ordentlich Content generieren! Dummerweise ist es aber nicht irgendein Märchen, in das sie hineingerät, sondern ausgerechnet „Dornröschen“. Das mit der vergifteten Spindel. Egal. Weil es damit schon mit der Nähe zur Vorlage der Gebrüder Grimm vorbei ist. Hier herrschen andere Gesetze. Prinz Bosco (Max von der Groeben) ist schwul, Prinzessin Amalia (Maria Ehrich) von der Aussicht, den tumben Ritter Artolf (Frederick Lau) zu heiraten, wenig begeistert. Dazu passt, dass die Hexe Sansara (Nora Tschirner) gängige Klischees unterläuft und der aus „1001 Nacht“ ausgeborgte Aladin (Mido Kotaini) nichts von einem fliegenden Teppich weiß.

Im Fernsehen, Kino und auf der Bühne unterwegs

  • Als aufsässige Proll-Schülerin Chantal der „Fack ju Göhte“-Reihe hat sie in die Herzen der Teenager-Kinoklientel erobert: Jella Haase, 1992 in Berlin geboren.
  • Nach dem Kurzfilm „Der letzte Rest“ war sie 2019 neben Senta Berger und Anja Kling erstmals in „Mama kommt!“ im Fernsehen zu sehen. Es folgten Auftritte in Polizeiruf 110 und „Tatort“, ehe sie 2011 in „Männerherzen … und die ganz ganz große Liebe“ ihr Kinodebüt gab. Dass die Mimin auch auf ernste Rollen versteht, bewies sie unter anderem in „Kriegerin“.
  • Haase, die mit ihrem Freund in Berlin lebt, wurde oft ausgezeichnet – so bekam sie den Deutschen Filmpreis und den Grimme-Preis.
  • Von 2019 bis 2021 gehörte sie dem Ensemble der Volksbühne Berlin an. 

Echt krass, ey. Mega-geile Äktschn und nonstop coole Checker-Sprüche. Nahtlos knüpft der Filmemacher nach eigenem Drehbuch da an, wo er bei seinen Pennälerstreichen aufgehört hat. Lustvoll wuchtet sich Haase - mit enormer, sympathischer Präsenz - durch die verquere Handlung. Schürzt die Lippen - die sie sich schon mal mit Sekundenkleber „aufspritzt“ und dann mit den Fingern am Waschbecken kleben bleibt -, klimpert mit den Augen und streckt den Po in die Kamera. Der drahtige Aladin ist ganz nach ihrem Geschmack, mit „Kartoffeln“, also Männern ohne Migrationshintergrund, hat sie nach eigener Aussage wenig am Hut.

Folgerichtig sind im hippen Soundtrack natürlich auch „Habibi“ (= „Liebling“) von Ricky Rich, Dardan & DJ Gimi-O sowie „Aïcha“, Ohrwurm des algerischen Raï-Künstlers Khaled, zu hören.

Newsletter "Leben in Mannheim" - kostenlos registrieren

Mit ihrem BFF-Buddy, „Bro“ Zeynep, die zwischendurch wortwörtlich von der Bildfläche verschwindet, mischt sie das magische Reich auf, am Hals baumelt ein Kettchen, das sie als „Fotze“ bezeichnet. Was zum expliziten Vokabular des Films passt. „Fuckface“, „Fuckgirl“ etc. fallen so häufig wie sonst nur in den Gangsteruniversen von Quentin Tarantino, an Ungenauigkeiten im Skript - mal behaupten die Girls aus Berlin Kreuzberg zu stammen, dann wieder aus München Neuperlach - darf man sich nicht stören.

Erfolgreich bieten sie den Männern die Stirn

Grellbunt und poppig ist das Szenenbild, stöckelbeschuht stecken die taffen Mädels in rauschenden, pastellfarbenen Gewändern. Erfolgreich bieten sie den Männern die Stirn, kämpfen unerschrocken für Gleichberechtigung. Weibliche Ermächtigung ist angesagt, treudoof und herzensgut verkauft.

Mehr zum Thema

Kino

Ethan Coens Solo-Projekt "Drive-Away Dolls"

Veröffentlicht
Von
Gebhard Hölzl
Mehr erfahren
Der neue Film

Kult, Können und Klasse treffen sich in "Dune:Teil 2"

Veröffentlicht
Von
Gerhard Hölzl
Mehr erfahren
Der neue Film

Serienklassiker mit gruseligem Rummel-Besuch wiederbelebt

Veröffentlicht
Von
Gebhard Hölzl
Mehr erfahren

Ein wüster, augenzwinkernder und derber Spaß, ein durchgeknalltes, auf die Instagram- und YouTube-Gemeinde abgestimmtes Abenteuer, bei dem die Sieben Zwerge in Erscheinung treten, eine Spitze gegen „Barbie“ abgefeuert wird und Jasmin Tabatabai als Flaschengeist schlechte Laune an den Tag legt. Mit einem Happy End, das keinen Prinzen braucht. Echt märchenhaft - was die Zahlen an der Kinokasse vermutlich belegen werden.

Freier Autor Gebhard Hölzl, Print-/TV-Journalist, Autor und Filmemacher.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke