In Feuilletons wie Kulturmagazinen erfährt die Ausstellung zum Jahrhundertjubiläum „Die Neue Sachlichkeit“ viel Aufmerksamkeit - und die gilt auch Gustav Friedrich Hartlaub. Schließlich war er es, der 1925 in der Quadratestadt als Direktor der Kunsthalle mit seiner legendären Schau einer ganzen Epoche ihren symbolträchtigen Namen gab. Gerade mal acht Jahre später sollten ihn die Nazis als Förderer „entarteter“ Kunst seines Amtes entheben. Der von der Universität Mannheim herausgegebene Sammelband „Verdrängt, vertrieben, ermordet“ leuchtet als eines von 81 Schicksalen auch das des zwangspensionierten Museumsdirektors aus.
Natürlich fragt man sich, warum Hartlaubs Biografie in ein Rechercheprojekt über Opfer von NS-Verfolgung an der Handelshochschule Mannheim (Vorläuferin der Universität) aufgenommen wurde. Die Autorin des Buchbeitrages Judith Kretschmar weist auf die wenig bekannte Tatsache hin: Der einstige Museumschef war auch Lehrbeauftragter. Der aus einer hanseatischen Familie in Bremen stammende Kaufmannssohn wurde 1914 von Fritz Wichert an die von ihm geleitete Mannheimer Kunsthalle geholt. Als Hartlaub dessen Nachfolge neun Jahre später übernahm, hielt er schon bald Vorlesungen. Der promovierte Kunsthistoriker und studierte Philosoph sprach über „Welt-Stile“ wie „Weltkulturen“, über „Kunst als Ausdruck moderner Zeitströmungen“. Seine Betrachtungen über „Kunst im Dienste des Kaufmanns“ dürften der Handelshochschule gegolten haben.
Räume der Mannheimer Kunsthalle werden zur „öffentlichen Schandbühne“
Hartlaub begeisterte nicht nur akademisches Publikum. Engagiert leitete er den von Wichert gegründeten „Freien Bund zur Einbürgerung der bildenden Künste in Mannheim“. Judith Kretschmar: „Der Verein sollte möglichst breiten Schichten, insbesondere der Arbeiterschicht, Zugang zu Kunst und den Sammlungen der Kunsthalle verschaffen.“ Der als charismatisch beschriebene Intellektuelle war volksnah, aber kein bisschen völkisch. Er verstand sich als Seismograph, der Umbrüche wie Abgründe seiner Zeit wahrnahm und in ein Museum holte, das er so gar nicht als elitären Musentempel sah. Und weil die Kunsthalle ihre Sammlung noch aufbaute, hatten der erste Direktor Wichert wie sein Nachfolger die Chance, den Jugendstil-Bau mit Werken nach eigenen Vorstellungen auszustatten.
Projekt und Ausstellung
- „Die Neue Sachlichkeit – ein Jahrhundertjubiläum“ läuft mit Begleitprogramm bis 9. März 2025 in der Kunsthalle Mannheim.
- Weil der 1933 zwangspensionierte Kunsthallendirektor Gustav F. Hartlaub (1884-1963) auch Lehrbeauftragter war, ist sein Schicksal mit anderen Opfern von NS-Verfolgung an der Handelshochschule Mannheim in ein historisches Rechercheprojekt der Universität aufgenommen worden.
- Das Buch „Verdrängt, vertrieben, ermordet“ (376 Seiten, 34,80 Euro) ist im Verlag Regionalkultur erschienen.
Von „gegenwartsmutigen“ Ankäufen während Hartlaubs Amtszeit spricht Manfred Fath, der die Kunsthalle zwei Jahrzehnte bis zu seiner Pensionierung 2003 geleitet hat. Beispielhaft nennt er Bilder der „Fauves“, Frankreichs „Avantgarde-Wilde“, oder der Künstlergruppe „Die Brücke“, Wegbereiter des Expressionismus in Deutschland. Fath, der 1994 anlässlich der 70. Wiederkehr der Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ eine Schau mit „Bildern auf der Suche nach der Wirklichkeit“ zusammenstellte, hat sich intensiv mit Hartlaub beschäftigt. Beim Studium von Briefen fiel ihm auf, dass dieser schon 1923 „deutsche Malerei seit dem Expressionismus“ und damit „neue Sachlichkeit“ hatte zeigen wollen. Hartlaub beschlichen aber Zweifel, so Fath, ob die Bevölkerung aufgeschlossen genug für Werke wie beispielsweise eines George Grosz war. Dieser machte keinen Hehl daraus, „Zeitgenossen den Spiegel vor die Fratze“ zu halten. Obendrein gab es im Stadtrat so manch Konservative, denen die Neuerwerbungen der Kunsthalle ein Dorn im Auge waren.
Nicht einmal zwei Monate nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wurde Hartlaub als Museumsdirektor beurlaubt beziehungsweise wegen „Kultur-Bolschewismus“ entlassen. Der im März 1933 zwangspensionierte Endvierziger erhielt zwar eine kleine Rente, durfte aber keine Vorträge halten und nur eingeschränkt publizieren. Dazu kam publikumswirksame Demütigung. Judith Kretschmar schildert in „Verdrängt, vertrieben, ermordet“ die „öffentliche Schandbühne“ in Zusammenhang mit Chagalls „Rabbiner“. Das 1928 angekaufte Gemälde brandmarkten Nazis als „Hundsgemeinheit“ gegenüber „hungernden“ deutschen Künstlern. Vor allem Hartlaubs Erwerbungen, darunter zwei Chagall-Gemälde, wurden in zwei Räumen der Kunsthalle mit dem hetzerischen Titel „kulturbolschewistische Bilder“ zur Schau gestellt. So manche beim Ankauf hohe Inflationssummen prangten ohne bereinigende Umrechnung auf Schildchen, um Empörung über verschleudertes Volksvermögen zu schüren. Dass Jugendliche Besuchsverbot hatten, sollte „Sittenverderbtheit“ signalisieren.
Nach dem Krieg beginnt Gustav F. Hartlaub eine zweite Laufbahn in Heidelberg
Wie sehr Hartlaub im Laufe der Jahre unter seinem Kaltstellen litt, offenbart eine Anfrage bei der Uni-Bibliothek Heidelberg: Im April 1944 bot er halbtags ehrenamtliche Mitarbeit an. Das NS-Kultusministerium genehmigte ihm unbezahlte „wissenschaftliche Karteiarbeiten“. Dem beruflichen Absturz war das gesellschaftliche Aus gefolgt: Eigentlich gehörte Hartlaub wie auch Nationaltheaterintendant Herbert Maisch und der SPD-Politiker Fritz Cahn-Garnier zu den Gründungsmitgliedern der jungen Mannheimer Rotarier-Sektion. 1933 war für die drei im Rotary Club Schluss. Für Maisch, weil er sich im Theater gegen NS-Forderungen wehrte. Für Cahn-Garnier (später Mannheimer OB), weil er jüdischer Herkunft war. Für Hartlaub, weil er „entartete“ Kunst gefördert hatte.
Nach dem Krieg gelang Hartlaub in Heidelberg noch einmal eine Karriere: als Mitbegründer der Volkshochschule, Vorsitzender des Kunstvereins und Honorarprofessor für Kunstgeschichte an der Universität, was ihm „Genugtuung“ bedeutete, wie er 1959 anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand betonte. Allerdings kuratierte er nie mehr eine Ausstellung. Sein inzwischen 86-jähriger Kollege Manfred Fath sieht das Jahrhundertjubiläum zur Neuen Sachlichkeit als „wunderbare Hommage“ an seinen wegweisenden Vor-Vor-Vorgänger.
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