Neue Musik

Konzert mit Bezug zur Neuen Sachlichkeit in der Kunsthalle

Die Klavierwerke weitgehend unbekannter Komponistinnen ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unterhielten beim Konzert von Fidan Aghayeva-Edler eine geheime Korrespondenz mit den Werken der Neuen Sachlichkeit

Von 
Uwe Rauschelbach
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Die Pianistin Fidan Aghayeva-Edler im Atrium der Kunsthalle. © Markus Proßwitz

Mannheim. Wenigstens im Vorstellungsvermögen ist die „Neue Sachlichkeit“ präsent. Den Hörenden im Atrium der Mannheimer Kunsthalle ist es überlassen, jene inneren Bilder aufzurufen, die der museale Bestand bereithält. Denn beim Konzert mit Fidan Aghayeva-Edler bleiben jene Malereien verborgen, denen die künstlerische Moderne gewisse Einflüsse verdankt. Die Klavierwerke weitgehend unbekannter Komponistinnen ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unterhalten gleichwohl eine geheime Korrespondenz mit jenen Darstellungen, die sich als kritische Reflexionen zwischen zwei Weltkriegen betrachten lassen. Am Bechstein widmet sich die in Berlin lebende Pianistin den fragilen, meist kurzen musikalischen Zeugnissen mit akribisch-feinsinniger Bedachtsamkeit.

In den Stücken dokumentieren die Auseinandersetzungen mit Tradition und Avantgarde ein ähnliches Ringen, wie es für die Neue Sachlichkeit typisch ist, die den Schritt in die Radikalität teilweise nostalgisch vermeidet. So entfaltet Aghayeva-Edler mit einem Präludium von Grete von Zieritz aus dem Jahr 1924 ein farbensattes Klangbild mit absteigenden Tonkaskaden, über denen melodiöse Linien eingezeichnet sind.

Das geschlossene Kunstwerk wird hier zum Klischee

Ursula Mamloks 2000 veröffentlichter Zyklus „2000 Notes“ ist da schon weiter: Töne, die auf der Suche nach unerhörten harmonischen Konstellationen sind und gleichzeitig ins Unbestimmte auszuweichen scheinen. Das geschlossene Kunstwerk wird zum Klischee; die Musik strebt ins Offene, etwa in den drei Präludien Ruth Crawfords aus den Jahren 1924 bis 1928. Musik, die Fragen zu formulieren scheint, ohne selbst Antworten geben zu wollen.

Überraschend romantisch mutet da die Klangsprache in Ilse Fromm-Michaels Variationen über ein eigenes Thema (1918/19) an, die mit expressiven Verfremdungen liebäugeln, mit ihren Lyrismen aber noch einen eher traditionellen Habitus einnehmen. Lediglich die Tonreibungen in Henriette Bosmanns „Sechs Préludes“ (1917/18) künden von Aufbruchstimmung; ansonsten sind die Stücke von spätromantischem Geist getränkt und verraten gelegentlich impressionistische Einfärbungen. Giulia Monducci, 1981 geboren und damit jüngste Komponistin im Programm, betritt eine andere Welt, in der die Beschaffenheit des Tonmaterials eine eigene ästhetische Kategorie konstituiert.

Wiederum im Kontrast dazu weckt das als „Salome“ benannte Stück von Mel Bonis theatrale Assoziationen.

Zwei männliche Vertreter lässt die Pianistin bei ihrem Konzert vorkommen: George Crumbs „Metamorphoses“ aus jüngster Zeit sind in Töne gesetzte Bilder; Aghayeva-Edler erweitert den Klang mit von Hand gezupften, gestrichenen oder geklopften Saiten.

Das noch taufrische Stück „From the Garden“ (2023) Sidney Corbetts, der dieses Konzert als Vorsitzender der Gesellschaft für Neue Musik mitverantwortet, ist mit seinen scharfen Dissonanzen als drängend radikal wahrzunehmen. Mit „The Piano at the Palace Beautiful“ (2019) von Marti Epstein weht uns am Ende von weither Schubertsche Melancholie an. Sie tönt wie hinter einem Schleier – eine verblasste Erinnerung. 

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