Mannheim. Es ist 20.16 Uhr. Gerade endet also die „Tagesschau“. Da macht Harald Schmidt im ausverkauften Mannheimer Capitol seinen ersten unkorrekten Witz. Er geht auf Kosten der derzeit ohnehin strapazierten Bundeswahlleiterin Ruth Brand und ist so unschmeichelhaft, dass man ihn nicht zitieren möchte. Er ruft im Publikum dieses leicht ungläubige, halb unterdrückte, letztlich doch sehr laute „Ho, ho, ho“ hervor, das man seit Schmidts mehr oder weniger seligen „Late Night“-Tagen halb vergessen hat. Und trotzdem ein wenig vermisst. Okay, zitieren wir die Pointe doch, schließlich hat „Dirty Harry“ einen Ruf zu verteidigen: Als er die Bundeswahlleiterin das erste Mal im Fernsehen gesehen habe, „dachte ich, es geht darum, dass man jetzt sein Geschlecht frei wählen kann.“
Am Grab des gemeinsamen Schauspieldozenten für das gemeinsame Programm verabredet
Zu diesem Zeitpunkt steht der 67-Jährige erst seit ein paar Minuten auf der Bühne. Eröffnet haben den zweistündigen Abend der beeindruckende Akkordeonspieler Ernst Kies alias „Igor aus Kasachstan“ und Schmidts ebenfalls schwäbischer Partner Bernd Gnann. Der im Karlsruher Raum heimisch gewordene Schauspieler, Kabarettist und Intendant ist zwar 16 Jahre jünger als Schmidt. Aber beide verbindet die Schauspielausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart.
Gnann berichtet nach seiner leutselig-publikumsnahen Stand-Up-Eröffnung, dass bei der Beerdigung seines Dozenten Felix T. Müller im Jahr 2022 „so ein Hüne“ neben ihm gestanden habe: „Und ich sagte nur: Mensch, der wird sich tierisch freuen, wenn wir beide zusammen ein Programm machen würden.“ Gesagt, getan. Schmidt habe aber Bedingungen gestellt: „Ich mach‘ das. Aber ich bereite mich nicht vor und ich lerne auch keinen Text auswendig. Wir machen das spontan.“ Deshalb folge ein völlig unvorbereiteter Abend „… mit Harald Schmidt!“
Themen-Parade wie in der „Late Night“-Show: Harris, Trump, Scholz bei Miosga, Habeck in der Wohnküche
Der startet seinen Auftritt in klassischer David-Letterman-Manier mit einem Stand-up-Comedy-Ritt durch die nicht gerade ereignislosen jüngsten Tage: Harris, Trump, Scholz bei Miosga, Habeck in der Wohnküche. Das ist lustig, wirkt aber etwas altersmilde – und insofern spontan, dass man durchaus merkt, dass hier keine Gag-Fabrik voller hungriger Pointenschreiber mehr dahintersteckt. Schärfe und Prägnanz hat dieser Meister seines Fachs schon besser dosiert serviert. Aber zu diesen Zeiten hat man diesen millionenschweren Entertainer kaum noch auf einer Kleinkunstbühne erlebt.
Aber die trockene, treffende Pointe aus der Hüfte beherrscht Schmidt natürlich immer noch. Die perfekt getimed nachgelegte Pointe zum Gerangel um den Termin für die nach dem Ampel-Aus absehbare Bundestagswahl ist ein perfektes Beispiel. „Es fehlt Papier … Wer hat das Papier erfunden?“, fragt er rhetorisch in den Raum. „Können uns das nicht die Chinesen liefern? … Schon ausgefüllt?“ Was den offiziell als Rentner deklarierten Schmidt auszeichnet: Er verschont sein Publikum in Interviews und auf der Bühne mit larmoyantem Gejammer à la Gottschalk oder Liefers, was man als alter weißer Mann alles nicht mehr dürfe.
Er löst das wesentlich eleganter: Wenn er nach dem Papier-Witz eine Chinesen-Parodie einschiebt, der die Mannheimer Bundesgartenschau vermutlich lupenreinen Rassismus attestiert hätte, sagt er lässig: „Das kann ich nur machen, weil keiner aus meiner Familie da ist.“ Dann spricht er kurz über „die Person, die von mir als meine Frau gelesen wird - es wird immer komplizierter. Früher hieß es: die Alte.“ Zum Glück seien diese Zeiten vorbei. „Aber ich vermisse sie.“ Denn seine Kinder würden der Buga zustimmen und ihm in solchen Fällen etwa im Auto sagen: „Das ist rassistisch, Papa.“ Seine Antwort, ein typischer Schmidt: „Wisst ihr eigentlich, wovon wir leben?“
Es geht auch harmloser, etwa wenn er einen Trump-Witz mit Gott als Nebendarsteller, den Gnann aus dem Publikum zugesteckt bekommen haben will, staubtrocken einordnet: „Mit dem wurden die ersten Christen gefoltert.“
Gnann zeigt grandioses Handwerk, aber zu mäßigen Inhalten
Wie schlägt sich nun dieser Gnann, neben einem der Titanen der deutschen Comedy? Handwerklich exzellent: mit imposanter Bühnenpräsenz, toller Stimme, gutem Gesang, akzeptablem Rap-Stil (eine Rolle in einem Folkerts-„Tatort“ zitierend) und grandioser Mimik. Aber die Inhalte… neben Schmidt wirken seine biografischen Anekdoten von der Jugend auf dem oberschwäbischen Bauernhof, der Kneipe und der Bühne gelinde gesagt sehr brav. Trotzdem funktioniert der Abend als Ganzes, auch weil die Musikeinlagen oft erstklassig sind. Und Gnanns brillant ins Groteske überdrehte Parodie von Schlagersängerin Mireille Mathieu ist nicht nur der Schluss-, sondern tatsächlich der Höhepunkt der Show. Und: Man muss es sich auch erstmal zutrauen, sich neben diesen lässigen Routinier auf die Bühne zu stellen.
Denn zwei komplette Stunden Harald Schmidt wären trotz seiner immer noch imponierenden Qualität und Lässigkeit zu viel des Guten. Denn auf Strecke ist der optisch verstärkt an Franz Beckenbauer erinnernde Star doch etwas zu altersmilde geworden. Und nach der Pause stößt die Spontaneität durchaus an Grenzen: Großartige Momente in der Interaktion mit Zuschauerinnen, einer zeitlosen, wenn auch schon bekannten Schnarchnummer oder seinen klassischen Hypochonder-Geschichten über sehr plastisch geschilderte Fibrome und schuppende Alterswarzen wechseln sich ab mit Routine. Auch das funktioniert natürlich, etwa bei Themen rund um Kreuzfahrt und „Traumschiff“.
Mehrere Theater-Verbeugungen zu minutenlangem Applaus
Der beste Moment der zweiten Hälfte ist wieder so ein gut gekühlter, zynischer Einzeiler: Als Gnann mal wieder von seiner Oma schwätzt, die ja noch den Krieg erlebt habe, sagt Schmidt staubtrocken: „Die Chance haben wir ja auch.“ Das wollen wir nicht hoffen. Aber diese Kombination darf gern wiederkommen. Das belegt minutenlanger Applaus mit vereinzelten Standing Ovations, die Gnann, Schmidt und Kies mit mehreren Theater-Verbeugungen Hand in Hand und einer musikalischen Zugabe quittieren.
"Ein unvorbereiteter Abend: Harald Schmidt schwätzt mit Bernd Gwann" gibt es wieder am 23. Oktober 2025 im Mannheimer Capitol. Karten unter www.eventim.de
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