Schauspiel

Nationaltheater Mannheim zeigt „Die Schneekönigin“ als Familienstück auf Franklin

Das Mannheimer Nationaltheater kündigte ein Weihnachtsmärchen nach Andersen als Stück für die ganze Familie an, und dann das: Wie die Intendanten Ulrike Stöck und Christian Holtzhauer„Die Schneekönigin" versemmeln

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Märchenhaft (von links): Eddie Irle, Dominika Hebel, Soyi Cho, Hanna Valentina Röhrich und Anna Lena Bucher bei der Schneekönigin auf der Bühne des Alten Kinos Franklin in Mannheim. © Natalie Grebe

Mannheim. Wunder gibt es immer wieder, besonders häufig sogar in der Zauberwelt der Illusionsmaschine Stadttheater. Jahrzehntelang taten sich Mannheims Jugendtheatermacherinnen schwer damit, die winterliche Premiere mit hoher Spieldichte im Advent „Weihnachtsmärchen“ zu nennen.

Das Märchenhafte macht Theatermachern lange Zähne. Igitt, wer will schon Märchen spielen? Sie wittern (die künstlerische Reputation schädigende) alte Zöpfe, biedere Betulichkeit, fürchten um entmündigte, für doof gehaltene Kinder, die kleinbürgerliche Biedermänner zur Jahresendfeier überkommener Putzigkeitspädagogik aussetzen.

Das Familienstück "Die Schneekönigin"

  • Kinderstücke zur Vorweihnachtszeit sind Tradition am Mannheimer Nationaltheater. Seit 25 Jahren produziert das NTM sie als Koproduktionen der Sparten Schauspiel und Kinder- und Jugendtheater. Ensemblemitglieder beider Sparten kommen zum Einsatz.
  • Es sind Familienstücke, die von Kindern, Eltern, Großeltern und Geschwistern gemeinsam besucht werden können und auch Lust auf „Erwachsenentheater“ machen sollen.
  • Termine: „Die Schneekönigin“ (ab 8 Jahren) 1. bis 5., 10. bis 12., 15. bis 18. und am 29. Dezember. Karten gibt es unter 0621/1680 150. 

 

Nun kommt das Wunder! Ulrike Stöck, Intendantin des Jungen NTM, und Schauspielintendant Christian Holtzhauer hatten den Mumm, sich mit Hans Christian Andersens „Die Schneekönigin“ einem veritablen Märchen zu widmen. Einem Ost-Kindertheater-Klassiker, der im Westen weit weniger populär war.

Der Mumm, der Kitsch und die besonders neuen Mittel

Den Mumm hatten sie. Doch er gereicht nicht lange zur Freude, denn er allein reicht nicht. Jedem war klar, dass an der Kitschsoße gespart werde würde. Kinder und Theater waren 1960, 1970, 1980 anders als heutige. Das ist gut.

Neue Mittel, neue Wege, neue Botschaften. Um Kinder vor Ideologie und Religion zu schützen (worüber man durchaus diskutieren kann) sind Gott und Teufel in der Vorrede gestrichen und halbgar durch „Trolle“ und den „Himmel“ ersetzt worden. Der Zerrspiegel der einen, der Menschen nur das Negative sehen lässt, Zweifel und Missgunst sät, erträgt den Anblick des zweiten nicht. Der Spiegel zerspringt und seine Splitter setzen sich als Zweifel in Auge und Herzen der Menschen. So psychologisch komplex ist das bei Andersen.

Er schrieb, anders als andere Genre-Kollegen, Märchen für Kinder, an denen sich auch Erwachsene erfreuen konnten (und nicht umgekehrt). Unter Putzigkeitsverdacht steht er dennoch nicht, vielmehr mutet er seinen kleinen Leserinnen und Lesern dabei einiges an Härte zu: Kälte, Gewalt, Verlust, Räuber und Eigennutz.

Die alte Theatermaschine könnte eigentlich gut laufen

Im Alten Kino Franklin steppt der Bär, Schlittenparty im Snowboard-Camp, dazu gibt’s heftigen Techno (vielseitige Musikauswahl: Thilo Eichhhorn) und schrille Neon-Maskierung. Sensiblen scheint die pralle neuzeitliche Theaterästhetik beim Erstkontakt zu heftig, vor allem zu laut, zu grell und zu gruselig. Die ersten Kinder weinen nach zwei Minuten, auch weil sich Eltern teils nicht an die Altersempfehlung des NTM halten, das einen Besuch ab acht Jahren empfiehlt.

Darüber hinaus funktioniert die alte Zaubermaschine Theater glänzend. Es dampft, schneit, dreht, pendelt, zischt und leuchtet auf der grandiosen Bühne von Viktoria Strikic, die auch für die nicht minder originellen wie aufwendigen Kostüme verantwortlich zeichnet.

Der Faszinationsfunke könnte in 70 kindgerechten Theaterminuten also per Ausstattung mühelos überspringen, wenn da nicht noch diese Kleinigkeiten wären. Sie heißen Nachvollziehbarkeit der Handlung, Textverständlichkeit, Textsicherheit, dramaturgische Gewichtung (Christian Holtzhauer) funktionierendes szenisches Spiel, situative Übergänge. Leider gelingt Ulrike Stöck diesmal nichts davon wirklich.

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Wichtiger als ein Verständnis der Geschichte scheint hier Anbiederung mit hipper Coolness zu sein: „Schon voll krass“ ist das alles, wenn man „glossy hair“ und „shiny lips“ und „einen glow von innen raus“ hat. Statt auf doofe Kinder (wie früher), scheint man hier auf hyperaktive Hochbegabte zu setzen, die man sekündlich mit bunten Bildern versorgen muss. Aber ernsthaft: Wer eingangs im wilden Durcheinander den kurzen Moment verpasst, nach dem roten Faden zu schnappen, bleibt ratlos. Noch rasanter wird im Finale über die Quintessenz des Werks hinweggehuscht. Die Herzenswärme, die Kays Herz zum Schmelzen bringt, spielt hier keine wesentliche Rolle. Null Emotion.

Motivationslücken und szenische Längen trotz Remmidemmi

Eine Produktion dieser Größe und Figurenvielzahl mit nur fünf Köpfen zu besetzen, war kein kluger Schachzug, mit Blick auf die Ausstattung und 13 Spieltermine bis Jahresende auch keine nachvollziehbare Kostenabwägung. Es Eddie Irle, Dominika Hebel, Soyi Cho, Hanna Valentina Röhrich und Anna Lena Bucher mit ihren zahlreichen Mehrfachrollen hier einzeln zahlen zu lassen, verbietet sich daher. Dass es auf unterschiedlichen Ebene auch qualitative Mängel gab, muss leider trotzdem festgestellt werden.

Vieles wirkt zudem nicht ausgeprobt, hat Längen oder szenische Motivationslücken, und Mimen bleiben gelegentlich ratlos an der Rampe zurück - auch das ist kein Ensemble-, sondern ein Regieproblem.

Bei der Premiere ist der Jubel unter den vielen Theaterfreunden freilich dennoch mindestens so groß wie der Aufwand. Blicken wir daher mit Andersen getrost auf das anstehende Weihnachtsgeschäft:„Rosen, die blüh’n und verwehen; Wir werden das Christkindlein sehen!“

Weiter Infos unter nationaltheater-mannheim.de/spielplan

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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