Musiktheater

Nationaltheater Mannheim triumphiert mit Verdis Oper "La traviata"

Das Nationaltheater Mannheim feiert mit Verdis „La traviata“ einen großen Erfolg in der Oper am Luisenpark. Seunghee Kho präsentiert sich als Violetta stimmlich stark

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Stimmlich so lebendig und dem Tod doch so nah: Seunghee Kho als Violetta in Giuseppe Verdis Oper „La traviata“ am Nationaltheater Mannheim. © Christian Kleiner

Am Ende treffen sie alle aufeinander. Glaube. Liebe. Hoffnung. Akt 3. Die Bühne ist ein toller Ort. Kerzen überall. Ein Bett. Ein Altar mit Kreuz obendrauf und vielen Bildchen darin. Glaube. Farblich alles fein aufeinander abgestimmt. Wo ließe es sich besser Oper-Spielen! Da steht sie nun. Allein. Im Nachthemd. Violetta, die im Leben abseits der Bühne Seunghee Kho heißt, steuert mit ihrer Stimme noch einmal langsam die Troposphäre des Gesangs an, sie singt davon, doch noch ins Leben zurückzukehren. Hoffnung. Oh goia! O Freude! Die hohen Streicher im Orchester schwellen dazu tremolierend und dramatisch-drängend allmählich an und umschwirren den Dominantseptakkord wie eine Insektenplage. Violetta erreicht das hohe B – und fällt tot um. 27 Sekunden später sind das finale des-Moll samt Donner, Paukenwirbel und Blechbläserattacke verklungen. Der Vorhang fällt und keine Frage offen. Violetta stirbt im Wissen um Alfredos Liebe. Gibt es einen schöneren Tod?

Luise Kautz hat sich dieses Setting so ausgedacht. Und der Erfolg dieser ersten veritablen Opernproduktion – nach der Stückentwicklung „Création(s)“ zur Eröffnung – darf als so gut wie sicher gelten. Diese „Traviata“ könnte der erste Renner in der Oper am Luisenpark werden.

Chor, Orchester und Roberto Rizzi Brignoli sind der heimliche Star

Das Team um die Regisseurin Kautz mit Valentin Mattka (Bühne) und Adrian Bärwinkel (Kostüme) geht ästhetisch aber auch einen sicheren Weg. Die drei inszenieren mit viel Geschmack und einem Schönheitssinn und Formgefühl, die ganz nach Gusto des überwiegend bürgerlich geprägten Opernpublikums sein dürften. Den Rest erledigen Verdis geniales Werk und das bestens aufgestellte musikalische Personal des NTM unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Roberto Rizzi Brignoli – zusammen mit Orchester und Alistair Lilleys Chor ein heimlicher Star des Abends.

Das ist ja keineswegs wenig und schon eine Kunst, zumal man über die „Traviata“ ohnehin sagt, es brauche dafür einfach nur eine sehr gute Sopranistin, einen sehr guten Tenor und einen sehr guten Bariton. Und die bietet Opernintendant Albrecht Puhlmann mit Kho als Violetta, ihrem Lover Alfredo (Sung Min Song) und dessen Vater Giorgio (Nikola Diskic) auch an. Doch dazu später.

Zunächst Akt 1. Partygesellschaft. Inmitten einer munter feiernden, tanzenden (Luches Huddleston Jr.) und Champagner saufenden Hedonistenmeute wirkt Violetta mit ihrem roten Haar fast wie ein Fremdkörper in einer Welt, die geprägt ist von schwarzen Flächen, weißem Designermobiliar und einem riesigen silbern schimmerndem Lamettavorhang in Richtung Hinterbühne. Violetta erscheint und wandelt mit langem rotem Haar über die Bühne. Es scheint, als trage sie ihre Krankheit, die Schwindsucht, auf dem Kopf herum. Im Grunde ist die Idee dahinter aber eher einfacher: Dieser Mensch, diese „Traviata“, die vom Weg abgekommene Kurtisane Violetta Valery, ist eine Liebesdienerin außerhalb der ach so feinen Pariser Gesellschaft.

„La Traviata“ in der Opal des Nationaltheater Mannheim

  • Das Werk: Die Uraufführung von Giuseppe Verdis Erfolgsoper „La Traviata“ war 1853 im Teatro La Fenice in Venedig. Das Libretto von Francesco Maria Piave entstand nach Alexandre Dumas’ Roman „Die Kameliendame“.
  • Die Handlung: Die schwindsüchtige Edelkurtisane Violetta Valery gibt ihr genusssüchtiges Pariser Leben auf und verliebt sich in Alfredo Germont, mit dem sie aufs Land zieht. Alfredos Vater Giorgio drängt Violetta, ihre Beziehung zu Alfredo aufzugeben, weil sie dem Ansehen seiner Familie schade und seine Tochter deswegen nicht heiraten könne. Nach langem Diskutieren stimmt Violetta zu („Tra breve ei vi fia reso“ – Bald wird er euch zurückgegeben sein). Auf einem Fest belügt sie Alfredo und sagt, sie liebe einen anderen, Baron Douphol. Violetta liegt im Sterben. Vater und Sohn Germont bereuen ihr Handeln und besuchen Violetta, die nicht mehr zu retten ist.
  • Die Termine: 12.11., 19.30 Uhr. 14.11., 19.30 Uhr. 16.11., 19 Uhr. 20.11., 19.30 Uhr. 22.11., 19.30 Uhr. 24.11., 15 Uhr. 31.12., 19 Uhr. 2.1., 19 Uhr. 4.1., 18 Uhr. 6.1., 18 Uhr (Info: 0621/16 80 150).

 

Seunghee Kho, die sängerisch sehr begeistert, hat durchaus etwas Mühe, sich durch Agieren auf der Bühne durchzusetzen. Ihre Aura hat – trotz Diskokugel – nichts von einer Rampensau wie etwa bei Anna Netrebko und anderen. Kho besticht allein durch Singkultur. Ihr „È strano“ und die Akt 1 beendende „Sempre liberà“-Cabaletta sind nicht nur von großer Elastizität, Kultur und einer Virtuosität, die selbst in den bis zum dreigestrichenen Des kletternden Koloraturketten des „dee volar(e)“ noch kontrolliert sind. Kho singt vor allem auch mit großem Sinn für Stil und Form. Da knallt kein Ton plötzlich heraus. Da ist keine Schärfe. Zudem wirkt sie unangestrengt und hält das bis zum Ende des Abends auch noch so durch. Chapeau, Frau Kho!

Die Opal klingt so gut, wie niemand es erwartet hatte. Erstaunlich

Ihr Geliebter Alfredo groovt sich verständlicherweise erst in Violettas Schlafzimmer so richtig ein. Akt 2. Liebe. Hier, inmitten von tapezierten Engeln, Wölkchen, Natur und Liebreiz (die drohenden Gewitterwolken muss man schon auch ein bisschen suchen) wird nicht nur ein Polaroid-Selfie im Bett gemacht, sondern von Min Song auch tenorale Lyrik verbreitet. Selbst in einer mit der pochenden Sechzehntelbegleitung geradeaus gehenden Nummer wie „De’ miei bollenti spiriti“ findet er noch Zeit für Differenzierungen, für Zärtlichkeiten, Brüche und kleine dynamische Zurücknahmen, um dann doch beim „io vivo“ ordentlich dramatisch aufzudrehen. Man kann das auch straighter gestalten, mit mehr schluchzender Italianità und Kraft, aber Min Song braucht das nicht.

Zumal im Graben Rizzi Brignoli steht. Mit dem Orchester produziert er – Pardon! – einen richtig geilen Klang, der, wie sich’s gehört, immer dem Gesang dient. Fein ziseliert klingen die Streicher, dabei perfekt intoniert, Klarinette und Oboe liefern beseelte und butterweiche Soli, und auch die Blechbläser hat der GMD so im Griff, dass sie überwiegend als drohende Kulisse einer nahenden Katastrophe eher subkutan wahrgenommen werden. Dass bei diesem Musizieren kein Spannungsabfall entsteht, was eine Gefahr wäre, ist eben dem energetischen Dirigat des Italieners aus Bergamo zu verdanken.

Wer übrigens auf den Verdacht kommt, hier sei irgendetwas elektrisch verstärkt: „Nein“, sagt Tonmeister Thomas Schuler auf Anfrage der Redaktion, und da muss man sagen: Die Opal klingt so gut, wie niemand es erwartet hatte. Erstaunlich.

Und die Regie? Aus Sicht des Publikums hat Kautz alles richtig gemacht. Auch die Personenführung weist kaum Schwächen auf. Eine psychologische Verdichtung oder gar Tiefenbohrung ist ihr indes nicht gelungen. Sie verlässt sich in ihrem Erzählen weitgehend auf das Werk selbst, das sie bebildert, und bietet auch keinen weiteren Interpretationsansatz als den (nahe liegenden) einer religiös geprägten Sinnsuche Violettas, sobald sie auf Alfredo trifft.

Zeit und Ort sind da auch nicht so wichtig. Wir sind irgendwo zwischen Verdis Leben und heute, wobei nichts auf unsere schmutzige Gegenwart hindeutet. Kautz’ Figuren bleiben Bühnenfiguren, sie werden weder heutig lebendig noch zu einer Art System oder Archetyp verdichtet, wie in der Vorgänger-Arbeit von Achim Freyer vor exakt 14 Jahren.

Besser hätte Albrecht Puhlmanns Opernsparte nicht starten können

Aber wie gesagt: Verdis Evergreen mit seinen vielen Arienhits trägt alles auch so, und wenn Nikola Diskic als Giorgio mit dem „Pura siccome un angelo“ Violetta gegenüber seine schändliche Bitte äußert, sie möge Alfredo des Ansehens seiner Familie wegen doch verlassen, überzeugt sein obertonreich strahlender Bariton in fast gespenstischer As-Dur-Färbung. Das Dreigestirn Kho-Min Song-Diskic trägt also den Abend, und Patrick Zielke (Grenvil), Ruth Häde (Flora), Yaara Attias (Annina), Christopher Diffey (Gastone), Ilya Lapich (Douphol), Thomas Jesatko (Obigny), Ilja Aksionov (Giuseppe) und Ciprian Marele (Komissionär) fügen sich ins hohe Niveau voll ein.

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Besser hätte Puhlmanns NTM-Oper kaum in die Premierensaison starten können. Man trifft auf große Oper, packende Tanzszenen und einen großen gemeinsamen Nenner. Das Publikum feiert zehn Minuten.

Am Ende treffen sie alle aufeinander. Glaube. Liebe. Hoffnung. Akt 3. Die Bühne ist ein toller Ort. Kerzen überall. Ein Bett. Ein Altar mit Kreuz obendrauf und vielen Bildchen darin. Glaube. Farblich alles fein aufeinander abgestimmt. Wo ließe es sich besser Oper-Spielen! Da steht sie nun. Allein. Im Nachthemd. Violetta, die im Leben abseits der Bühne Seunghee Kho heißt, steuert mit ihrer Stimme noch einmal langsam die Troposphäre des Gesangs an, sie singt davon, doch noch ins Leben zurückzukehren. Hoffnung. Oh goia! O Freude! Die hohen Streicher im Orchester schwellen dazu tremolierend und dramatisch-drängend allmählich an und umschwirren den Dominantseptakkord wie eine Insektenplage. Violetta erreicht das hohe B – und fällt tot um. 27 Sekunden später sind das finale des-Moll samt Donner, Paukenwirbel und Blechbläserattacke verklungen. Der Vorhang fällt und keine Frage offen. Violetta stirbt im Wissen um Alfredos Liebe. Gibt es einen schöneren Tod?

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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