Mannheim. Eine Oper über eine Kurtisane, also quasi eine Prostituierte für die bessere Gesellschaft, war 1853, als Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“ uraufgeführt wurde, eine Unverschämtheit. Dennoch wurde das Werk nach dem Roman „Die Kameliendame“ des Franzosen Alexandre Dumas einer von Verdis größten Erfolgen, mehr: „La Traviata“ gehört eigentlich immer zu den Top Ten der meistgespielten Opern im deutschen Sprachraum, was mitunter auch an der gelungenen Musik liegt, das sich um die anfangs vergnügungssüchtige Kurtisane Violetta dreht. Bei der Mannheimer Premiere ist Seunghee Kho diese Violetta - ein Gespräch mit der Sopranistin.
Frau Kho, ich gehe mal davon aus, dass das Ihre erste Violetta ist.
Seunghee Kho: Ja, das stimmt. Es ist eine große Ehre für mich.
Es ist auch ein großer Schritt von Susanna, Pamina und Ännchen. Die Partie verlangt Ihnen mehr Volumen, mehr Höhe und auch mehr Koloraturen ab. Wie gehen Sie so einen Weg? Haben Sie bisweilen auch Angst, Ihrer schönen Stimme könnte was passieren?
Kho: Bisher habe ich in Theatern verschiedene Rollen wie Pamina, Ännchen, Fiordiligi, La Contessa di Almaviva, Donna Anna, Liù und Micaela gesungen. Die Rolle der Violetta ist eine Herausforderung, aber ich bin überzeugt, dass ich meine eigene Version der Violetta gefunden habe und diese erfolgreich interpretieren und gestalten kann.
Sie fühlen sich also rundum wohl mit der Partie?
Kho: Ja, für mich ist Violetta eine Rolle, die sowohl emotional als auch musikalisch eine große Herausforderung und eine wertvolle Erfahrung ist. Ich kann mich in ihre Geschichte von Schmerz, Liebe und Aufopferung ganz hineinversetzen, was mir künstlerisch und emotional viel Erfüllung bringt. Die breite Palette an Gefühlen in dieser Rolle ist zwar anspruchsvoll, aber gerade deshalb besonders bereichernd, und ich freue mich sehr, mich hier ganz einbringen zu können.
Seunghee Kho und "La Traviata" in der Oper am Luisenpark
- Seunghee Kho: Die Sopranistin wurde 1990 in Südkorea geboren und absolvierte ihr Abitur an einem musikalischen Gymnasium. Kurz darauf begann sie ihr Bachelorstudium im Fach Gesang an der Korea National University of Arts.
- Ab 2014 studierte sie an der Musikhochschule Mannheim bei Snezana Stamenkovic und besuchte Meisterkurse unter anderem bei Ruth Ziesak, Graham Johnson und Rudolf Piernay. Kho erhielt etwa den ersten Preis bei der International Opera Singers Competition „Grandi Voci“ in Salzburg und den dritten Preis beim Concorso Internazionale per Cantanti Lirici „Città di Alcamo“.
- „La Traviata“: 9.11., 19 Uhr (Premiere). 12.11., 19.30 Uhr. 14.11., 19.30 Uhr. 16.11., 19 Uhr. 20.11., 19.30 Uhr. 22.11., 19.30 Uhr. 24.11., 15 Uhr. 31.12., 19 Uhr. 2.1., 19 Uhr. 4.1., 18 Uhr. 6.1., 18 Uhr (Info: 0621/1680 150).
Singen Sie - wie Maria Callas oder viele andere - in der „Sempre libera“-Arie am Ende eigentlich das spektakuläre hohe Es, das Verdi gar nicht vorgesehen hatte?
Kho: Ich werde das genau nach Verdis Vorgaben singen, ohne das hohe Es. Es ist mir wichtiger, die Emotionen, den Atem der Musik bis zum Ende der Oper zu tragen, als vom Komponisten nicht beabsichtigte, spektakuläre Höchsttöne einzubauen.
Violetta verzichtet auf die Liebe, weil der Vater des Geliebten um das Ansehen der Familie fürchtet. Was für eine Frau ist sie für Sie - vor allem in der Welt von heute?
Kho: Zu Beginn der Oper erleben wir Violetta als Teil einer modernen Partywelt, die sich ganz dem Rausch und der Ekstase hingibt. Die Gesellschaft, die wir sehen, spiegelt ein sehr aktuelles Phänomen wieder: den Verlust von Eindeutigkeit. Die Inszenierung zeigt, dass es heute kein allgemeingültiges Wertegerüst mehr gibt. Jeder muss sich selbst fragen, wofür er lebt. Die Partygesellschaft betäubt die Frage nach dem Sinn im Feiern. In dem Augenblick, in dem Violetta Alfredo begegnet, weckt er in ihr eine Sehnsucht nach einer tieferen, im weitesten Sinne spirituellen Verbundenheit. So, als würde ihr in dem Moment ihre durch das permanente Feiern überdeckte Leere eigentlich erst bewusst. Alfredo beschwört eine alles verzehrende Liebe mit einer für Violetta völlig unbekannten Ernsthaftigkeit. Dadurch macht er sie sozusagen auf eine innere Leerstelle aufmerksam, die ihr bisheriges Leben komplett in Frage stellt. Der weitere Verlauf der Oper ist für mich Violettas Versuch, eine Antwort auf diese Frage zu finden.
Wie bereiten Sie sich auf eine solche Rolle vor - ich meine nicht gesanglich, sondern psychologisch?
Kho: Wenn ich eine Rolle wie die der Violetta vorbereite, lese ich das Libretto und die Noten sehr genau, um zu verstehen, wie sie sich fühlt. Ich denke an die Emotionen in jeder Szene und überlege, wie ich sie zeigen kann. Um mich zu entspannen, nehme ich mir Zeit für Ruhe und versuche, meinen Geist zu beruhigen. Die Rolle der Violetta braucht viel Energie - musikalisch, psychologisch und körperlich. Deshalb ist es enorm wichtig, gut vorbereitet zu sein. Meine Gespräche mit Regisseurin Luise Kautz haben mich sehr inspiriert und mir geholfen, die Figur der Violetta besser zu verstehen.
Wie erzählt das Nationaltheater diese Geschichte um Alexandre Dumas’ Kameliendame in der Gegenwart, wie tut dies Luise Kautz?
Kho: In der Inszenierung versucht Violetta, durch die Liebe eine Art spirituelle Vollendung zu erreichen. Also könnte man diese Liebe als eine Art religiöse Erlösung deuten. Das Gefühl der Liebe übernimmt quasi den Stellenwert, den früher Religion gehabt hätte. Als Violetta Alfredo ihr Bild gibt, sagt sie ihm, dass er die Liebe einer anderen Frau suchen soll und sie für die beiden im Himmel beten will. Dadurch, dass Alfredo weiter eine wahrhaftige Liebe finden kann, lebt Violettas gefundener Sinn in gewisser Weise weiter. Das Ganze bleibt aber immer nur ein Versuch und ist nie eine fertige Antwort. Es hat letztlich etwas Verzweifeltes. Violettas Weg ist nicht die perfekte Lösung, aber sie hat sich auf die Suche gemacht. Es ist ihr Weg aus der Sinnlosigkeit.
„La Traviata“ ist die erste richtig große Opernpremiere in der Opal. Wie erleben Sie das Haus?
Kho: Die neue und große Bühne der Opal bespielen zu dürfen, ist natürlich ein ganz besonderer Moment für alle Kollegen. Die Atmosphäre ist voller Erwartung und auch positiver Aufregung. Große Bühnen und große Werke machen mir immer Freude, aber ich bin besonders glücklich, mein Violetta-Debüt auf der Bühne der Opal geben zu dürfen. Ich fühle mich in der neuen Spielstätte sehr wohl und freue mich wirklich sehr auf die Premiere und darauf, diese besondere Erfahrung mit dem Publikum teilen zu dürfen.
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