Erzähl mir was

"Erzähl mir was"-Gewinnerinnen fahren mit Mannheimer Verleger ins Elsass

Die "Erzähl mir was"-Siegerinnen Vanessa Palumbo, Johanna Basler und Regina Rothengast verbringen mit dem Mannheimer Verleger Ulrich Wellhöfer ein Wochenende im Elsass und erleben, wie er aus dem Nähkästchen plaudert

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Im Elsass nicht nur an der Tastatur zugange (v.l.): Vanessa Palumbo aus Oftersheim, Johanna Basler aus Viernheim und Regina Rothengast aus Kützbrunn mit dem Mannheimer Verleger Ulrich Wellhöfer in dessen Maison Zielinger. © Stefan M. Dettlinger

Mannheim.

Diese eine Todespassage hat es dem Verleger besonders angetan: „Plötzlich sah sie, wie Elisabeth strauchelte und ein paar Meter vor ihr mit dem Gesicht nach vorne zu Boden fiel. ’Elisabeth, steh auf, wir müssen weiter’, schrie Lene. Doch die Freundin rührte sich nicht mehr.“ Dass das Kind, Elisabeth, in der Erzählung „Tiefflieger“ von Regina Rothengast von einer Gewehrsalve tödlich getroffen werde und mit dem Gesicht zu Boden falle, sei schon schrecklich genug, meint Ulrich Wellhöfer, da brauche es keine ausführliche Beschreibung mehr.

Wir sind in Petersbach, einer 660-Seelen-Gemeinde im Département Bas-Rhin, ziemlich genau auf halber Strecke zwischen Strasbourg und Saarbrücken. Stille. Ausgestorbenheit. Totale Provinz. Provinz, in der sich aber immerhin Europas größter Wein- und Spirituosenproduzent und -hersteller angesiedelt hat: die Gruppe „Les Grands Chais de France“. Hier, an der Hauptstraße, betreibt der Mannheimer Wellhöfer eines seiner Gästehäuser, und wie bereits im vergangenen Jahr kooperiert er im Zuge des Siegerinnen-Wochenendes mit dieser Redaktion.

Der Mittelbau bricht weg

Vanessa Palumbo (Platz 1), Johanna Basler (2) und Regina Rothengast (3) wohnen von Donnerstag bis Sonntag im Haus Zielinger mit seinen 14 Betten. Und gleich am ersten Abend taucht der Hausherr nach einem ausgiebigen Abendessen mit dem von ihm gekochten elsässischen Eintopf Baeckeoffe in die Welt des Lektorats ein. Wellhöfer analysiert, wie die Erzählungen des Schreibwettbewerbs funktionieren, und plaudert aus dem Verlegernähkästchen.

Er lobt nicht nur Rothengasts „Tiefflieger“, sondern auch, wie Basler fast leitmotivisch die roten Gummistiefel durch ihre Erzählung „Der Junge mit den roten Gummistiefeln“ geistern lässt oder Palumbo die Geschichte des Atombombenabwurfs über Hiroshima literarisch verhindert, indem sie eine persönliche Beziehung des „Little Boy“-Piloten mit einem Kraniche faltenden Mädchen aus Hiroshima herstellt. Auch erkennt er an, wie in allen Geschichten zwei Erzählebenen eingezogen werden, die, jeweils auf andere Art, die eigentliche Geschichte erst so richtig realistisch erscheinen lassen.

Aber natürlich geht es bei dem Wochenende in Petersbach nicht nur um bereits Entstandenes, sondern auch um die Zukunft. Der Literatur. Des Schreibens. Der Verlage. Beim Einsenden an Verlage verrät er, worauf es bei einem ordentlichen Dossier ankommt. Und dann erzählt Wellhöfer vom Mittelbau im Verlagswesen, der wegbricht. „Da gehöre ich auch dazu“, sagt er. Alles sei wesentlich diverser geworden in den vergangenen Jahren, man müsse heute auf jedem Gebiet gut sein, um Erfolg zu haben. Wellhöfer: „Ich sehe eine große Gefahr, sich zu verzetteln in den vielen Aktionen, die man heute zusätzlich zum klassischen Geschäft samt sozialen Medien machen muss.“ Zudem sei alles teurer geworden, sagt er. Papier. Schriftsatz. Kleber. Karton. Einfach alle Kosten.

Den Ertrag bei den sozialen Medien sieht er nach wie vor als zu klein an für den Aufwand. „Man muss ewig rödeln, um Wahrnehmbarkeit zu erzeugen, und verkauft dann vielleicht 100 Bücher mehr. Das ist zu wenig.“ Natürlich geht es auch um Self-Publishing und über Amazon only, dessen Titel mittlerweile die Bestsellerlisten auf der Amazon-Website dominierten. „Amazon gestaltet Trends. Das ist schon schwierig, da brechen ganze Marktsegmente auseinander“, so Wellhöfer, „aber wenn du als Kunde Bücher schnell haben willst, bist du bei Amazon halt im Zweifel am schnellsten.“ Dafür behalte Amazon aber auch mehr als die Buchhändler vom bezahlten Preis der Endkundin ein, weil sich das Onlinekaufhaus nicht nur als Händler sehe.

Schöne Aussichten für Schreibende sind das nicht. Die drei Autorinnen wirken fast ein wenig baff hinsichtlich der Hiobsbotschaften aus der Branche. Und Wellhöfer sagt: „Es gibt in Deutschland (neben der verringerten Mehrwertsteuer von sieben Prozent, Anm. d. Red.) auch keine nennenswerte Literaturförderung – wie etwa in Österreich. Aber genau das brauchen wir!“ In Österreich hat das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport unter dem Banner „Verlagsförderung 2023“ einen Topf mit Subventionen für österreichische Verlage ins Leben gerufen, um, wie es in Wien heißt, „die Produktion von qualitativ hochstehenden Programmen österreichischer Belletristik- und Sachbuchverlage und die Verbreitung dieser Bücher zu sichern“.

Davon können deutsche Verlage nur träumen. Dabei, so Wellhöfer, sei „ein guter Verlag einfach ein Qualitätssiegel“. Und Sachen wie Amazon only seien ohnehin Paralleluniversen wie auch die ganzen Flatrates, die es gebe und die es den Leuten erlaubten, viele Bücher zu lesen, ohne dass Verlage oder Schreibende nennenswert etwas davon hätten. Es werde unterschätzt, was das für den Buchmarkt bedeute, so der Verleger, und: „Da hat ein Verlag wie Wellhöfer keine Chance.“ Regional könne man da allenfalls noch mit Regionalkrimis in der richtigen Länge dagegenhalten.

Schreiben als Bestätigung

Johanna Basler, eigentlich Buchhalterin, findet das Wochenende mit Wellhöfer toll, auch die Idee, mit Gleichgesinnten zusammenzukommen, die aber doch unterschiedlich sind. Sie habe „sofort eine Vertrautheit gespürt“. Alles habe sehr gut gepasst, „das gemeinschaftliche Erleben, Corona dabei ausgeblendet, ist superschön“. Auch das Haus habe sie sofort fasziniert. Basler: „Und dann der Input durch Ulrich Wellhöfer – man nimmt sehr viel mit.“

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Die frühere Polizeifachangestellte Regina Rothengast hat „viele A-ha-Momente“ gehabt, wie sie sagt, sie wisse jetzt, „worauf ich achten muss als kleine Autorin, es war für mich so, dass ich mich jetzt sofort hinsetzen und einen Roman losschreiben könnte.“ Inspirierend fand sie es, sie sei aber froh, dass das Schreiben nur ihr Hobby sei und sie nicht davon leben müsse. Schreiben bleibe für sie aber auch nach Petersbach ein Mittel, Bestätigung zu erfahren, obwohl sie nicht mehr berufstätig sei. Vanessa Palumbo, die Jüngste im Bunde und noch für den Gehobenen Dienst studierend, war schon 2021 dabei und meint: „Das war schon anders als im letzten Jahr, durch den Input und die anderen. Mich hat es auch gefreut, dass die Hiroshima-Geschichte „Faltvogelregen“ abgedruckt und so in die Welt getragen wurde.“

Und weil das alles doch sehr schwerwiegend ist, klingt dieser Abend leicht aus. Am Billard rollen schon die Kugeln. Plötzlich sehen wir, wie die Acht strauchelt und ein paar Zentimeter vor uns mit der Zahl nach vorn ins Loch fällt. Zu früh. Schade.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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