Interview

Wie Manfred Schnabel und Achim Wambach die Folgen des Ukraine-Kriegs für die regionale Wirtschaft einschätzen

Ein Doppel-Interview mit ZEW-Chef Achim Wambach und Manfred Schnabel, dem Präsidenten der IHK Rhein-Neckar, über den Ukraine-Krieg, der jetzt die Corona-Krise ablöst und den Staat, die Wirtschaft und die Verbraucher sehr belasten könnte.

Von 
Walter Serif und Bettina Eschbacher
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Im Gespräch: ZEW-Chef Achim Wambach (l.) und IHK-Präsident Manfred Schnabel (r.). Die Fragen stellten Reporterin Bettina Eschbacher und und Reporter Walter Serif. © Christoph Blüthner

Herr Wambach, Herr Schnabel, ursprünglich wollten wir dieses Interview am 23. Februar führen. Haben Sie schon damals gewusst, dass Russlands Präsident Wladimir Putin einen Tag später die Ukraine überfallen würde?

Achim Wambach: Nein, am 23. Februar gab es ja noch ein wenig Hoffnung, jetzt sind wir in einer anderen Welt. Wir führen deshalb ein völlig anderes Interview.

Dann verfügen Sie also nicht über die seherischen Kräfte von Olaf Scholz. Der Bundeskanzler meinte ja am Sonntag bei „Anne Will“, dass er immer alles genau voraussieht und immer die richtigen Pläne in der Schublade hat.

Manfred Schnabel: Dass ein Krieg unmittelbar bevorstehen könnte, davor haben uns ja die US-Geheimdienste täglich gewarnt. Dass Putin aber einen solchen Angriffskrieg führen würde, damit habe ich nicht gerechnet. Und zu Ihrer Bemerkung über Herrn Scholz: Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass er kurz vor Kriegsbeginn meinte, Nord Stream 2 wäre ein rein privatwirtschaftliches Projekt. Offensichtlich hat also auch der Kanzler nicht erwartet, dass Putin auf volle Eskalation setzt. Aber nun muss es vor allem darum gehen, dass dieser furchtbare Krieg zu einem schnellen Ende kommt.

Zwei Jahre Pandemie und jetzt noch der Krieg in der Ukraine obendrauf - wie soll die deutsche Wirtschaft das alles stemmen?

Wambach: Ich finde es beeindruckend, wie gut die Wirtschaft auf Krisen reagieren kann. Das wird oft unterschätzt. Insgesamt war das Jahr 2021 trotz Corona ein gutes.

Schnabel: Einspruch! „Die Wirtschaft“ hat Corona in der Tat gut weggesteckt. Aber jenseits von dieser Durchschnittsbetrachtung ist die Entwicklung mit Blick auf die einzelnen Branchen und Unternehmen nicht gleichförmig verlaufen. Das fängt schon bei den Coronahilfen an, die sind teilweise gut angekommen, in Einzelfällen gab es sogar eine Überkompensation. Aber viele Unternehmen sind komplett durchs Raster gefallen, obwohl sie massiv geschädigt wurden. Unternehmen, die von den Schließungsmaßnahmen betroffen waren, werden deshalb auch künftig Probleme haben. So zum Beispiel aktuell in Teilen des Handels, wenn stark steigende Einkaufspreise sowie Energie-, Logistik- und Personalkosten nicht an die Konsumenten weitergegeben werden können.

Die Abhängigkeit vom russischen Erdgas treibt die Unternehmen besonders um.

Wambach: Ja, wenn die Bundesregierung dem Druck nachgeben und kein Erdgas mehr aus Russland beziehen würde . . .

… oder Putin selbst uns den Gashahn abdrehen würde …

Wambach: . . . dann könnten wir in eine tiefe Rezession geraten. Experten rechnen ja damit, dass das Bruttoinlandsprodukt dann um bis zu sechs Prozent schrumpfen könnte.

Schnabel: Auch da sollten wir von diesen Durchschnittszahlen wegkommen. Die BASF beispielsweise wäre von einem Embargo natürlich viel stärker betroffen als viele Unternehmen anderer Branchen. Sie braucht ja nicht nur Erdgas als Energiequelle, sondern auch als Rohstoff.

Das heißt: Wenn die BASF hustet, ist die ganze Region krank?

Schnabel: Die Gefahr besteht. Aber unsere Region ist derzeit auch aus anderen Gründen besonders anfällig. Wir haben viele energieintensive Industriebetriebe, die zudem vom Export stark abhängig sind. Und alle brauchen Teile. Zum Beispiel Kabelbäume, die ja vor allem in der Ukraine hergestellt werden. In den meisten Elektrogeräten und in jedem Auto sind diese verbaut. Das kann zu Lieferzeiten bis zu einem Jahr führen. Es trifft also auch die Konsumenten. Weil die Preise steigen oder sie ewig warten müssen, um bestimmte Waren zu bekommen.

Stellt sich die Frage, wie es passieren konnte, dass sich Deutschland so abhängig gemacht hat von Russland.

Wambach: Die Frage ist berechtigt. Klar ist: Wir müssen bei der Energie oder den Rohstoffen eine stärkere Diversifizierung anstreben. Das können aber die Unternehmen nicht allein leisten. Fragen der nationalen Sicherheit werden wirtschaftsrelevant. Und wir reden da nicht nur von Russland. Denken Sie zum Beispiel an China. Ich bin in diesem Zusammenhang froh, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck sich klar für die Globalisierung ausgesprochen hat. Wir brauchen eine internationale Diversifizierung. Also eher mehr statt weniger Handelsverträge, damit wir genügend Energie und Rohstoffe bekommen. Auch für Russland gilt: Wir müssen uns aus der Abhängigkeit von Russland lösen, nicht unbedingt von Russland.

Viele Unternehmen bauen sich jetzt auch wieder kleine Lager auf.

Schnabel: Das stimmt. Man muss da aber aufpassen. Irgendwann werden die Lieferketten wieder funktionieren. Wer dann zu große Vorräte hat, kann schnell in Schwierigkeiten geraten. Viele Unternehmen verteilen ihre Risiken aber auch dadurch, dass sie in der Nähe ihrer Absatzmärkte produzieren. Diese Entwicklung läuft schon länger. Es geht also nicht darum, die Globalisierung zurückzudrehen, sondern Abhängigkeiten zu reduzieren. Wir müssen also diversifizieren.

Wambach: Genau. Selbst wenn wir auf Sicht Erdgas durch Wasserstoff ersetzen, können wir diesen ja nicht vollständig in Deutschland produzieren. Auch bei den erneuerbaren Energien werden wir auf die internationalen Lieferketten angewiesen sein. Aber gerade deshalb müssen wir anders als derzeit beim Erdgas künftig auf Vielfalt setzen.

Schnabel: Wir als IHK Metropolregion Rhein-Neckar haben gerade eine Studie in Auftrag gegeben, wie die Region die Energieversorgung sicherstellen kann. Dabei geht es um drei wichtige Fragen: Welchen Energiebedarf haben wir künftig? Welche Potenziale für die Produktion erneuerbarer Energien in der Region gibt es? Und was müssen wir tun, damit der Energie-Import gelingt, beispielsweise von Offshore-Kraftwerken? Ich erwarte da spannende Ergebnisse.

Wenn kein Erdgas mehr fließt, geht dann unsere Wirtschaft unter?

Wambach: Nein. Wir haben aus der Finanzkrise und Corona gelernt. Davor folgte nach Wirtschaftskrisen in Deutschland stets eine höhere Arbeitslosigkeit. Das ist jetzt nicht mehr so. Wir haben das Kurzarbeitergeld, das funktioniert. Das gilt auch für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Wir haben also die Instrumente. Sie können aber noch zielgenauer eingesetzt werden.

Also alles kein Problem?

Wambach: Nein, klar ist doch, dass bei einem Embargo die Gaspreise drastisch steigen würden. Die entscheidende Frage ist: Wie lange würde dieser Zustand dauern? Je nach dem würden Unternehmen wie die BASF wahrscheinlich sehr leiden und auch Kurzarbeit anmelden.

Erwarten Sie auch Massenarbeitslosigkeit?

Wambach: Das nicht, aber auch bei der Frage der Beschäftigung kommt es auf die Zeitschiene an. Wenn die Energiekrise nur einige Wochen oder Monate andauern würde, könnte man das mit Kurzarbeit überbrücken. Sollte es aber für längere Zeit Engpässe beim Erdgas geben, kann ich mir gut vorstellen, dass die Unternehmen Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagern und damit die Arbeitsplätze dauerhaft wegfallen würden.

Schnabel: Richtig! Wenn die Energie nicht zu den Unternehmen kommt, gehen die Unternehmen zur Energie. Sie suchen sich beispielsweise Standorte im Norden in der Nähe von Offshore-Windparks. Und Herr Wambach, Sie haben den Preisanstieg angesprochen: Die Inflation steigt immer stärker, begonnen hat es mit der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, die die Zinsen niedrig gehalten hat, damit die verschuldeten EU-Mitglieder sich über Wasser halten können. Das war der Nährboden.

Der die Inflation begünstigt hat.

Schnabel: Ja. Die gestiegenen Energiepreise, der Materialmangel und jetzt der Ukraine-Krieg sind besondere Inflationstreiber. Aktuell 7,3 Prozent - das zeigt doch, wie sehr sich die EZB mit ihrer Einschätzung geirrt hat, dass die Inflation nur ein temporäres Phänomen ist. Die Inflation stellt nach meiner Einschätzung mittelfristig das größte Risiko dar. Sie hat nicht nur fatale wirtschaftliche Folgen, sondern auch politische. Man muss da ja nur auf unsere Geschichte zurückblicken. Wir müssen gezielt diese speziellen Brandherde löschen, also vor allem bei Energie, Rohstoffen und im Bau. Aber bitte nicht mit drastischen Zinserhöhungen, die unterschiedslos in der Breite wirken. Diese bergen die Gefahr in sich, auch Investitionen von Unternehmen zu behindern, die gar nicht mit den Inflationstreibern in Verbindung stehen.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber: Wenn die Inflation dauerhaft hoch bleibt, werden die Menschen auf Sicht ärmer. Der Staat kann das alles gar nicht ausgleichen, oder?

Wambach: Da muss ich widersprechen: Die Energiepreise müssen nicht ewig hoch bleiben, die Lieferketten werden auch wieder irgendwann funktionieren, und hoffentlich dauert der Ukraine-Krieg nicht mehr lange. Deshalb lag die EZB mit ihrer Einschätzung, dass der Preisanstieg temporärer Natur ist, gar nicht so falsch. Dennoch wird es für die EZB nicht einfach werden, die gestiegenen Preiserwartungen wieder einzufangen. Klar ist auch, dass der jetzige Preisanstieg de facto zu einer Lohnkürzung führt, was sich auf die Tarifverhandlungen auswirken wird. Auch die Sozialhilfe ist nicht an die Inflation gekoppelt, weshalb dort nachjustiert werden muss. Deshalb begrüße ich auch das Unterstützungsprogramm der Bundesregierung. Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht ständig nach dem Staat rufen. Er kann nicht bei jeder Krise als Versicherer auftreten. Höhere Preise müssen auch wirken können. Deshalb schlage ich ja auch Strafzölle auf russisches Erdgas und Öl vor.

Das müssen Sie jetzt erklären.

Wambach: Wir reden jetzt ständig darüber: Embargo oder kein Embargo. Ein Embargo ist konzeptionell wie ein unendlich hoher Zoll. Ein moderater Strafzoll würde uns helfen, den Übergang besser zu schaffen. Wir müssen und wollen uns von der Abhängigkeit von Russland lösen. Und das muss eben auch über den Preis passieren. Bei einem Zoll auf russisches Gas und Öl würde auch weniger Geld nach Russland fließen.

Schnabel: Ein sofortiges Energieembargo würde unsere Wirtschaft dramatisch schädigen, ohne Russland angesichts seiner verfügbaren Devisenreserven rasch zu einer Beendigung des Kriegs zu bewegen. Ich finde es daher richtig, dass die Bundesregierung bei der Zurückführung von Erdgasimporten Augenmaß bewahrt und auf zielgerichtete EU-Sanktionen setzt. Ich meine, dass wir schrittweise aus dem Krisen- in den Strategiemodus wechseln müssen. Wir stehen vor einem großen Strukturwandel, den wir nicht mit Symbolpolitik bewältigen können. Ich bin auch gegen eine Vollkaskomentalität. Wir müssen raus aus der Komfortzone, auch der Staat kann nicht alle Probleme mit Geld regeln.

Übernimmt sich der Staat nicht mit all seinen Krisenprogrammen? Die Schulden wachsen und wachsen immer mehr.

Wambach: Im internationalen Vergleich steht Deutschland gut da. Wir haben noch Spielräume. Aber klar ist: Die Aufrüstung der Bundeswehr und die Energiewende kosten viel Geld. Da kommt viel auf unsere Gesellschaft zu.

Schnabel: Wir müssen auf jeden Fall aufpassen, dass in unserer Gesellschaft keine Verlustängste entstehen. Und hier spielt die drohende Verfestigung der Inflation eine wichtige Rolle. Was mir Sorge macht, ist die Mitte der Gesellschaft, die nicht von staatlichen Transfers lebt, aber auch keine großen Sachwerte wie Immobilien oder Aktien besitzt. Wenn diese Mitte erodiert, kann das ein politisches Erdbeben in Deutschland auslösen. Insgesamt muss sich der Staat strategisch neu ausrichten, zukunftsorientierte Rahmenbedingungen setzen und auf die Kräfte der Wirtschaft vertrauen. Unter der Voraussetzung, dass dieser schreckliche Krieg hoffentlich bald zu Ende geht, könnten wir dann mit Optimismus in die Zukunft blicken.

Mann aus der Praxis

  • Manfred Schnabel (Jahrgang 1961) ist seit 2018 Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar.
  • Der gebürtige Mannheimer absolvierte eine Ausbildung als Bankkaufmann und studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität seiner Heimatstadt.
  • Schnabel ist Geschäftsführender Gesellschafter des Elektrogeräte-Händlers Expert Esch, Vizepräsident des Einzelhandelsverbands Nordbaden und Vorstandsmitglied im Verein Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar (ZMRN). 

 

Mann aus der Wissenschaft

  • Achim Wambach (Jahrgang 1968) ist seit April 2016 Präsident des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
  • Vor seinem Wechsel ans ZEW war er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Erlangen-Nürnberg, danach Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik (iwp) an der Universität zu Köln.
  • Wambach hat Physik, Mathematik und Ökonomie studiert. Seit 2016 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre in Mannheim

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

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