Darmstadt. Inflation, Kaufzurückhaltung, Sparsamkeit - die Zeiten für den Einzelhandel sind nicht einfach. Das bekommt auch die Bio-Handelskette Alnatura zu spüren. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2021/22 (Stichtag 30. September) ist der Umsatz um 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 1,12 Milliarden Euro zurückgegangen. In den Jahren davor hatte das Unternehmen aus Darmstadt immer deutliche Wachstumsraten vermeldet. „Wir sind gewohnt, dass es immer aufwärts geht“, sagte Alnatura-Gründer und Geschäftsführer Götz Rehn am Donnerstag bei der Vorstellung der Bilanz. Angaben zum Gewinn machte Alnatura nicht.
Besonders im Frühjahr und im Sommer seien die Umsatzrückgänge deutlich gewesen, inzwischen sei man wieder auf Wachstumskurs, sagte Rehn. „Nach den überdurchschnittlichen Umsatzsteigerungen in den beiden Pandemiejahren und angesichts der aktuellen Krisensituation hatten wir mit einem wesentlich stärkeren Rückgang gerechnet.“ Obwohl Wirtschaftsexperten weiter von einer hohen Inflation ausgehen, ist der Geschäftsführer optimistisch: „Wir sind gut vorbereitet auf das, was vor uns liegt.“
150. Bio-Markt vor Eröffnung
Deshalb setzt das Unternehmen weiter auf Wachstum. Im vergangenen Geschäftsjahr wurden sieben neue Märkte eröffnet. Derzeit gibt es 149 Filialen in 14 Bundesländern. Noch in diesem Jahr soll die 150. Niederlassung eröffnen, bis zum Herbst 2023 sollen neun weitere Filialen hinzukommen. Auch das Netz an Handelspartnern wurde erneut erweitert. In Österreich, der Schweiz und in Rumänien, aber auch in Deutschland mit der Handelsgruppe Bünting, die im Emsland und in Ostfriesland mit Famila-, Combi- und Markant-Märkten vertreten ist. Damit sind die Produkte in mehr als 13 000 Filialen in 14 Ländern erhältlich. Kürzlich feierte Alnatura die Eröffnung des ersten Marktes in Mannheim vor 35 Jahren (wir berichteten).
Mehrere Online-Lieferdienste haben die Alnatura-Produkte ebenfalls in ihr Sortiment aufgenommen, darunter Gorillas. Alnatura selbst ist im Juni mit einem eigenen Lieferdienst gestartet. An dem Pilotprojekt sind 14 Märkte in Frankfurt und Berlin beteiligt. Das Besondere: Die Auslieferung der Bestellung übernehmen die eigenen, fest angestellten Mitarbeiter aus den Filialen. Nachdem die Bestellungen eingegangen sind, packen sie in den Märkten die Ware in Tüten und bringen sie mit Elektrofahrzeugen im jeweiligen Stadtteil an die Haustüre. Kunden können außerdem Ware vorbestellen und selbst im Markt abholen. Die Akzeptanz sei gut, weitere Standorte sind in Planung, kündigte Petra Schäfer an, die in der Geschäftsführung für Sortimentsmanagement und Markenkommunikation verantwortlich ist. Konkrete Städte nannte sie aber nicht.
Zahl der Alnatura-Beschäftigen bleibt fast gleich
„Es ist uns wichtig, im stationären Handel einen zusätzlichen Service anzubieten“, erklärte Rehn. Die Erfahrungen der ersten Monate zeigten, dass das neue Angebot die Märkte stärke. Demnächst solle eine Smartphone-App folgen. Zu den Services in den Märkten gehören zudem Fahrradstationen an 50 Standorten, an denen sich Kundinnen und Kunden Fahrräder und Lastenräder ausleihen können, um ihre Einkäufe nach Hause zu transportieren.
Die Zahl der Alnatura-Beschäftigten ist mit 3700 (gegenüber 3734 im vorherigen Geschäftsjahr) nahezu unverändert. Als „Zeichen der Wertschätzung in schwierigen Zeiten“ zahlte Alnatura den Mitarbeitern im Februar eine Wertschöpfungsbeteiligung von 1000 Euro, weitere 300 Euro werden im Januar 2023 ausgezahlt.
Aus Sicht von Bio-Käufern erfreulich: Trotz allgemeiner Inflation sind die Preise für Bio-Lebensmittel weniger stark gestiegen (etwa 3,5 bis 5,5 Prozent) als im konventionellen Bereich (etwa 17 Prozent). „Die agrarindustrielle Produktion ist viel teurer geworden“, erklärt Rehn. Die Preise für Stickstoffdünger und Spritzmittel seien deutlich gestiegen, ebenso für Transporte - mit entsprechenden Auswirkungen auf die Preise in den Läden.
Rehn: Biolandbau weiter ausbauen
In der gesamten Bio-Branche gingen die Umsätze zuletzt stetig nach oben. Nach zwei Jahren mit zweistelligen Wachstumsraten hat sich der Umsatzanstieg im vergangenen Jahr etwas abgeschwächt, betrug gegenüber 2020 aber immer noch fast sechs Prozent. 15,9 Milliarden Euro wurden mit Bio-Produkten umgesetzt. Der größte Anteil entfiel auf den Lebensmittel-Einzelhandel, der auch am stärksten zulegen konnte.
Ob sich die Tendenz in den nächsten Monaten fortsetzt, ist ungewiss. „Der gesamte Handel ist gerade sehr herausgefordert, weil wir eine Fülle von uns nicht direkt beeinflussbaren Kostensteigerungen haben, die die Ertragskraft aller Unternehmen sehr beeinträchtigen“, erklärte Rehn. Ein großer Kostenfaktor sei Strom. Ohne Entlastungen drohten seinem Unternehmen Mehrkosten in Millionenhöhe. Die Preissteigerungen belasteten außerdem die Logistik. Dort fehle es an Kapazitäten, der Dieselpreis sei stark gestiegen. „Das ist für uns alle eine große Herausforderung mit unklarem Ausgang.“ Er gehe aber trotzdem davon aus, dass sich das „wieder einpendelt“.
Dem Bio-Pionier ist wichtig, dass der Ausbau des Biolandbaus weitergeht. „Angesichts der vielen anderen Krisen dürfen wir den Biolandbau nicht aus den Augen verlieren“, appelliert Rehn. Er leiste einen großen Beitrag zum Klimaschutz. Der Koalitionsvertrag sehe bis 2030 einen Bio-Anteil von 30 Prozent vor. Um das zu erreichen, müsse aber die fünffache Fläche wie bisher von konventionell in bio umgewandelt werden.
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