Darmstadt/Rhein-Neckar. Der Gründer der Darmstädter Bio-Lebensmittelkette erklärt im Interview, ob die Preise steigen, warum er Ingwer auf der Insel Reichenau anbauen lässt und wie er die Zukunft von Alnatura geregelt hat.
Herr Rehn, Sie haben bei der Alnatura-Jahresbilanz im Dezember von „sehr herausfordernden Zeiten“ gesprochen. Wie würden Sie dann die Zeit beschreiben, in der wir jetzt leben?
Götz Rehn: Es ist sehr herausfordernd und vor allem erschreckend. Wir leben in einer Zeit, die mich nicht mehr gut schlafen lässt. Wir müssen uns alle täglich fragen: ,Was können wir tun, um diesen Krieg in Europa direkt vor unserer Haustür zu beenden?‘. Lösungen sieht man da nicht, und das bereitet große Sorgen. Was dadurch in den Hintergrund tritt, ist die Klimakrise. Es gibt zum Beispiel Überlegungen, den Green Deal eine Zeit lang auszusetzen. Es wird darüber diskutiert, Flächen, die zugunsten von Artenvielfalt und Klimaschutz stillgelegt wurden, wieder zu bewirtschaften. Ich halte den Reflex, jetzt noch mehr auf Agrarindustrie zu setzen, für vollständig verfehlt.
Auch wenn es darum geht, fehlende Getreidelieferungen aus der Ukraine uns Russland zu ersetzen?
Rehn: Ja, wir müssen ganz im Gegenteil versuchen, den biologischen Landbau insbesondere in den Entwicklungsländern stärker zu unterstützen. Denn es leben immer noch ganz viele Menschen von der Landwirtschaft. Je besser es gelingt, möglichst autark bei der Erzeugung von Lebensmitteln zu sein, desto stabiler auch die politischen Verhältnisse.
Alnatura und sein Gründer
- Götz Rehn gründete Alnatura 1984. Die erste Filiale eröffnete er vor 35 Jahren in Mannheim.
- Alnatura mit Sitz in Darmstadt vertreibt Bio-Lebensmittel über 143 eigene Märkte und Handelspartner wie Edeka, Rossmann oder Tegut.
- 2021 erzielte Alnatura mit 3700 Mitarbeitenden 1,15 Milliarden Euro Umsatz.
- Rehn wurde 1950 in Freiburg geboren und hat zwei erwachsene Kinder.
Sehen Sie dadurch höheren Druck auf den Biolandbau in Deutschland? Es ist ja Ihr großes Ziel, ihn auszuweiten.
Rehn: Es ist ja nicht nur mein Ziel, es sollte unser aller Ziel sein, denn der Ausbau des Biolandbaus ist einfach sinnvoller als die Agrarindustrie mit ihren negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur. Bis 2030, so steht es im Koalitionsvertrag, soll Biolandbau bei 30 Prozent sein. Wenn das erreicht werden soll, müssten pro Jahr mehr als 400 000 Hektar auf Bio umgestellt werden. Letztes Jahr waren es 80 000 Hektar. Also ein Fünftel von dem, was nötig wäre. Alnatura leistet einen kleinen Beitrag für mehr Bio: Seit sieben Jahren engagieren wir uns gemeinsam mit dem NABU für die Umstellung von agrarindustriell bewirtschafteten Flächen auf Biolandbau. Und das sind jetzt fast 100 Höfe und 18 000 Hektar. Wenn Sie das in Beziehung zu den 80 000 Hektar setzen, sehen Sie, was möglich wäre, aber anscheinend nicht gewollt wird.
Die Angst vor Lebensmittel-Knappheit durch den Ukraine-Krieg wächst. Mussten Sie in den Alnatura-Filialen schon Mehl oder Öl rationieren?
Rehn: Etwas. Das Sonnenblumenöl findet besonderen Zuspruch. Mehl haben wir genug im Angebot, das war jetzt nur mal einen Tag ein bisschen knapp. Es ist von allem genug da. Der eigentliche Grund, warum jetzt diese Panik aufgetreten ist, hängt aber zusammen mit politischen Entscheidungen der Clinton-Ära: Durch die Deregulierung der Märkte kam es zu verstärkter Spekulation mit landwirtschaftlichen Produkten. Heute werden eben Rohstoffpreise an Orten gemacht, die mit der Realität nichts zu tun haben. Es werden Mengen gekauft und verkauft, die es gar nicht gibt. Dadurch gehen die Preise in die Höhe, weil Börsenhändler auf die Zukunft spekulieren. Das müssen wir dringend beenden. Mit dem Hunger anderer Menschen zu spekulieren, ist menschenverachtend.
Können Sie sich als Nahrungsmittellieferant dem Druck des Marktes entziehen?
Rehn: Beim Biolandbau ist es so, dass wir uns eher aus der Region beziehungsweise Deutschland versorgen. Wenn Sie einen unserer Bäcker-Partner besuchen, dann ist der trotz der aktuellen Lage ganz entspannt. Er hat Verträge mit Bio-Bauern aus der Region, mit uns und unseren Kunden seine festen Abnehmer. Die agrarindustrielle Welt ist eine andere als die Bio-Welt und ein gutes Beispiel dafür, dass Bio Sinn macht.
Es gibt allerdings auch noch andere Preistreiber. Wird Alnatura ganz ohne Preiserhöhungen auskommen?
Rehn: Auch wir rechnen mit Preiserhöhungen, weil sich die Transportkosten erheblich erhöhen. Damit unsere Spediteure ihr Auskommen haben, passen wir den Dieselfloater (Kraftstoffzuschlag, der sich an die Preisentwicklung anpasst, d. Red.) in kurzen Rhythmen nach oben an. Das ist ein Kostenfaktor, auf den wir keinen Einfluss haben. Aber auch beim Transport bemühen wir uns um Nachhaltigkeit und nutzen teilweise die Bahn: Aus Italien beispielsweise holen wir die Tomatensoßen mit dem Zug, das sind schon einige Waggons.
Sie haben vor Kurzem Dauerpreise statt Sonderangebote eingeführt. Warum?
Rehn: Wir wollen unseren Kundinnen und Kunden die Sicherheit geben, dass sie in den Alnatura Märkten immer faire Preise finden und nicht wegen Aktionen größere Mengen kaufen müssen. Wir bieten für jedes Produkt einen günstigen Preis, den wir auch laufend am Markt überprüfen.
Funktioniert das schon, nimmt die Kundschaft das an?
Rehn: Ja, wir haben bei einigen Artikeln erhebliche Zuwächse, was uns sehr freut - und die Bauern auch.
Haben Sie die Sorge, dass Kunden wegen der zu erwartenden Preissteigerungen abwandern, weil konventionelle Lebensmittel billiger als Bio sind?
Rehn: Es kann sein, dass der eine oder andere Kunde mehr zum Discounter geht. Es gibt immer eine gewisse Gruppe, die wechselt - je nachdem, wie die Preissituation ist. Da Alnatura sehr günstige Preise hat, werden diejenigen, die 100 Prozent Bio wollen, bei uns immer an der richtigen Stelle sein, weil sie sich darauf verlassen können. Und natürlich stellen wir sicher, dass faire Preise an die Bauern gezahlt werden. Uns geht es darum, möglichst viele in der Welt in Richtung Sinnhaftigkeit zu bewegen. Wären wir renditeorientiert, könnten wir so nicht handeln.
Sie können nicht alle Produkte regional beziehen. Wie können Sie die Versorgung sicherstellen?
Rehn: Der Krieg in der Ukraine wird keinen Einfluss haben, da wir von dort kaum Rohstoffe beziehen. Und wir sind auch dabei, uns an vielen Stellen unabhängiger zu machen. Das beste Beispiel ist der Ingwer, der von der Insel Reichenau kommt. Oder, dass wir demnächst auch Soja aus Deutschland haben. In Österreich probieren wir den Anbau von Hirse. Es wird hier wärmer, also können wir auch andere Produkte anbauen. Unser Prinzip ist: möglichst kurze Wege, damit die Ware frisch zum Kunden kommt. Das werden wir noch weiter ausbauen.
Kommen wir zur Zukunft des Unternehmens: Sie gehen einen speziellen Weg über zwei Stiftungen. Wie sieht dieser aus und welche Vorteile hat er?
Rehn: Ich habe mich für eine Doppelstiftung entschieden, damit Alnatura langfristig erhalten bleibt. Das Unternehmen soll nicht der Gefahr ausgesetzt werden, verkauft zu werden, sondern es sollen die möglichst fähigsten Geschäftsführer an Bord sein. Deswegen gibt es eine Doppelstiftung - eine gemeinnützige Alnatura-Stiftung, wo 99 Prozent des Kapitals hineingeschenkt werden, und die Götz E. Rehn-Stiftung, die 99 Prozent der Stimmrechte halten wird. In beiden gibt es unterschiedlich zusammengesetzte Vorstände. Die gemeinnützige Stiftung hat mit dem wirtschaftlichen Wohlergehen des Unternehmens nichts zu tun, außer dass das Kapital dem Unternehmen zur Verfügung steht. Die Vorstände in der Götz E. Rehn-Stiftung wiederum sind Ansprechpartner der Geschäftsführung.
Sie sind kein Fan von Familienunternehmen, haben keine klassische Nachfolgelösung mit Ihren Kindern aufgebaut. Warum nicht?
Rehn: Mir geht es darum, dass jeder Mensch diejenige Aufgabe im Leben findet, die er mit Freude machen kann und wo er Talente hat. Ich bin ja das lebende Beispiel dafür, dass diese Sichtweise gut funktioniert. Es ist mir wichtig, hier eine große Offenheit zu gewährleisten. Meine Kinder sind mittlerweile übrigens beide im Unternehmen.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-alnatura-chef-goetz-rehn-fuerchtet-keine-lieferengpaesse-es-ist-von-allem-genug-da-_arid,1932613.html