Mannheim. In dem am Mannheimer Landgericht neu aufgerollten Prozess um den Vorwurf trickreich hinterzogener Biersteuer samt verkürzter Umsatzsteuer in Millionenhöhe wird inzwischen der 50. Sitzungstag angepeilt. Die mehrfach verlängerten Verhandlungstermine ziehen sich bis Mitte Dezember. Für die 5. Große Wirtschaftsstrafkammer besteht die Herausforderung darin, komplexe Vorgänge auf grenzüberschreitend verschlungenen Pfaden kleinteilig auszuleuchten.
Auf der Anklagebank sitzt der Vorstand einer an der nordbadischen Bergstraße ansässigen Aktiengesellschaft für Getränkehandel und Frachtlogistik. Den Geschäftsmann umrahmen an manchen Tagen fünf Frauen und Männer in Anwaltsrobe. Der Verteidigeraufmarsch kommt nicht von ungefähr: Schließlich geht es um beachtliche Summen. Laut Staatsanwalt soll der Unternehmer mitgewirkt haben, Biersteuer von einer Million Euro zu hinterziehen. Außerdem wird zur Last gelegt, dass auch bei anderen Getränken Umsatzsteuer in einer Höhe von 2,2 Millionen Euro verkürzt worden ist.
Wie zeitintensiv es sein kann, ein „Biersteuer-Karussell“ beweiskräftig nachzuvollziehen, hat am Landgericht Paderborn ein fast 100 Verhandlungstage dauernder Prozess gezeigt. Dieser endete im Januar 2024 mit einer satten Gefängnisstrafe von sechs Jahren und vier Monaten für den Hauptdrahtzieher.
Unternehmen für 1000 Euro in einem Café erworben
Die Masche ist stets gleich: Beispielsweise wird in Frankreich produzierter Gerstensaft offiziell in Deutschland versteuert, aber dorthin nur pro forma mittels gefälschter Transportpapiere geliefert. Stattdessen landet das süffige Gebräu in EU-Ländern auf dem Schwarzmarkt – vorzugsweise dort, wo die Biersteuer deutlich über dem bei uns vergleichsweise niedrigen Abgabesatz liegt. Bei dem von internationalen Gruppierungen gedrehten Karussell agieren Scheinfirmen. Und mit ihnen sogenannte „Missing Trader“ (fehlende Händler), die abtauchen, ehe eine Umsatzsteuererklärung fällig wird.
Zu den Besonderheiten des Prozesses gehört, dass im Ausland lebende Zeugen per Videoschalte aussagen – dank einer inzwischen selbstverständlichen Justiz-Kooperation. So hat der Kammervorsitzende Oliver Ratzel mit Behörden in Brüssel die Befragung eines Mannes vorbereitet, der jene Firma gekauft hat, über die Rechnungen der nordbadischen Getränke-AG in sechsstelliger Höhe liefen. Von einer Dolmetscherin übersetzt, berichtet der in Belgien lebende Bulgare, das fragliche Unternehmen zwecks Übernahme von Abbrucharbeiten von Landsleuten vor der Corona-Pandemie erworben zu haben – und zwar für 1000 Euro. Geldübergabe und Vertragsunterzeichnung seien in einem Café erfolgt.
Weil es aufgrund von Pandemie-Erlassen keine Bauaktivitäten geben sollte, habe er nach eineinhalb Jahren die Firma seinerseits an ein ihm vermitteltes Pärchen verkauft – was dann ebenfalls in einem Brüsseler Café vor sich ging. Bei der Videoschalte gibt der Mann an, weder eine Büroadresse noch Steuernummer gekannt zu haben und auch nichts von dem Angeklagten zu wissen.
„Keine Ahnung“, übersetzt die Dolmetscherin mehrfach. Auch bei der Frage, wie es sein könne, dass über seine einstige Firma Überweisungen gelaufen sind, die in dem Verfahren aufploppen. Staunen breitet sich im Gerichtssaal aus, als der Mittfünfziger erklärt, Vertragsdokumente zwar unterschrieben, aber nicht gelesen zu haben – weil er gar kein Französisch verstehe.
Die Anklage geht davon aus, dass die Aktiengesellschaft an der Bergstraße von 2018 bis 2021 Getränke zum Schein an in Belgien ansässige Firmen geliefert und gegenüber dem Fiskus als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen erklärt hat. Allerdings sollen die Durstlöscher ohne anfallende Umsatzsteuer auf dem Schwarzmarkt verhökert worden sein.
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