Mannheim. Herr Baklan, Sie haben nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet eine Hilfsaktion gestartet. Was konnten Sie in die Region bringen?
Mustafa Baklan: In der ersten Woche sind sieben Lkw von uns im Erdbebengebiet angekommen. Es hätte zu lange gedauert, die Sachen aus Mannheim zu schicken. Deshalb haben wir unsere Produktionsstätten in der Türkei aktiviert, um das Dringendste zu besorgen: Zelte, Holzofen, Fertiggerichte in der Dose. Die Menschen haben keinen Strom, kein Gas, können also nicht kochen. Wir haben auch Helfer aus den Filialen losgeschickt, um eine Essensstation zu errichten. Es werden etwa 3000 Personen täglich versorgt. Wie schon bei dem großen Erdbeben 1999 in der Türkei werden wir außerdem mit Mannheimer Vereinen Geld sammeln und ein Projekt unterstützen, eine Schule oder ein Krankenhaus. In den nächsten Tagen wollen wir schauen, wo wir dieses Mal als Mannheimer Region helfen können.
Wir wissen nicht, welche unserer Landwirte überlebt haben.
Fast Ihre ganze Produktion sitzt in der Türkei, aber nicht im Erdbebengebiet. Ist Ihr Geschäft trotzdem beeinträchtigt?
Baklan: Das Beben hat dieses Mal vor allem die Agrarproduktion in der Türkei getroffen, in der Region wird viel Getreide angebaut. Im Moment wissen wir nicht, welche unserer Landwirte überlebt haben. Viele mussten die Gegend verlassen, weil alles zerstört ist. Wir werden erst in ein paar Wochen sehen, ob wir Lieferprobleme bekommen. Wir sind noch immer tief bestürzt über die Verluste und bekunden allen Hinterbliebenen unser Beileid und wünschen ihnen Kraft.
Mögliche Lieferprobleme würden dann zu Agrarmärkten kommen, die ja schon durch den Ukraine-Krieg ordentlich beeinträchtigt wurden...
Baklan: Das stimmt. Wir hatten zwar noch nie Geschäfte mit Russland, aber die Ukraine ist ein wichtiger Lieferant für uns. Wir bekommen von dort Getreideprodukte, Saucen und Sonnenblumenöl. Da gab es nach Ausbruch des Krieges natürlich Probleme.
Mustafa Baklan
- Mustafa Baklan (66) ist Vorstandsvorsitzender des Lebensmittelherstellers Suntat mit Sitz in Mannheim.
- Das Unternehmen ist auf mediterrane Produkte spezialisiert und liefert in mehr als 50 Länder.
- 80 Prozent der Ware werden in Europa verkauft, Deutschland ist hier der wichtigste Markt. In Deutschland beliefert Suntat alle großen Lebensmittelketten und Discounter, zum Teil auch mit Handelsmarken.
- In Deutschland arbeiten bei Suntat rund 250 Menschen, davon etwa 100 in Mannheim. Insgesamt sind es zwischen 1800 und mehr als 2000 Beschäftigte, je nach Saison.
- In der Türkei hat Suntat fünf Produktionsstätten. Der Umsatz des Unternehmens lag zuletzt bei etwa 200 Millionen Euro.
In der Pandemie hatten Sie einen Zug gemietet, um Toilettenpapier aus Italien für Supermärkte in Deutschland zu besorgen. Konnten Sie beim Sonnenblumenöl auch Lücken im Regal vermeiden?
Baklan: Wir konnten teilweise nicht in vollem Umfang liefern. Inzwischen bekommen wir aber aus einer anderen Region der Ukraine wieder Öl. Nach dem Erdbeben in der Türkei beziehen wir außerdem Waren aus Kirgisien, Usbekistan und Kasachstan. Ein großes Problem sind für uns die stark gestiegenen Transportkosten: Wir kaufen ja weltweit ein, Nudeln in Italien und der Türkei, Reis aus Pakistan und Italien, Tee in Sri Lanka. Wir müssen heute für jedes Kilo zwanzig bis fünfundzwanzig Cent mehr für den Transport bezahlen. Dazu kommen höhere Kosten für die Rohware und für Energie, die sich auch in unseren türkischen Produktionsstätten stark verteuert hat.
Inwieweit konnten Sie die Kosten an den Handel weitergeben?
Baklan: Das war schwierig, wir hatten mit den deutschen Handelsketten Preisgarantien vereinbart. Dadurch mussten wir teilweise mit Verlusten liefern. Zum Glück sind auch unsere Produktionsstätten in Familienhand. Wir konnten also schauen, wo wir eventuell noch anders kalkulieren können, um das trotzdem zu stemmen. Ab Januar 2023 konnten wir dann höhere Preise durchsetzen, wenn auch nicht so, wie wir uns das gewünscht hätten.
Wer verhandelt bei den Preisen eigentlich härter: die deutsche Supermarktkette oder der türkische Lebensmittelladen am Eck?
Baklan: Deutsche Händler kämpfen wesentlich härter um den Preis, die Einkäufer dort kommen mit sehr wenig Spielraum. Nur wenige Tage nach dem Erdbeben hat uns der Einkäufer einer Kette geschrieben, dass man trotz der Katastrophe erwartet, dass es keine Lieferprobleme gibt. So wenig Verständnis – das hat mich traurig gemacht.
Wegen den hohen Preisen sind auch Verbraucherinnen und Verbraucher sparsamer. Spüren Sie das?
Baklan: Die aktuelle Krise trifft Endverbraucher hart, weil sich – anders als in der Pandemie – jetzt auch Grundnahrungsmittel stark verteuert haben: Reis, Bulgur, Teigwaren. Europaweit ist unser Absatz zuletzt um rund 25 Prozent gesunken. Den Umsatz konnten wir aber minimal steigern, unter anderem durch Preissteigerungen auch in anderen Regionen.
Wie wollen Sie weiteres Wachstum generieren?
Baklan: Wir erweitern unser Sortiment immer wieder. Früher hatten wir zum Beispiel nur zwei Fleischprodukte – Sucuk und Pastirma, also Schinken. Aber die junge Generation will Leberwurst, Aufschnitt, Salami, dann machen wir das. Außerdem haben wir angefangen, vegane Produkte mit einer neuen Aufmachung zu kennzeichnen und sind in Kontakt mit einem Produzenten für pflanzlichen Fleischersatz. Seit kurzem haben wir auch Tiefkühlware im Sortiment – das ist auch gut angelaufen im Handel.
Ende 2020 hatten Sie Pläne für ein neues Lager in Mannheim. Wie weit sind Sie?
Baklan: Wir haben ein Grundstück gefunden, eine alte Gießerei, nur rund 500 Meter von unserer Zentrale hier in Neckarau. Dort bauen wir gerade ein Lager mit Kühlung, mehr als 14500 Quadratmeter, davon 8000 Quadratmeter Lagerfläche. Wir investieren fast zehn Millionen Euro.
Diese Woche geht ein jahrelanger Streit in Ihrer Familie vor Gericht weiter. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte 2017 entschieden, dass Sie die Marke „Baktat“ in Deutschland an die Erben Ihres 1992 verstorbenen Bruders abgeben müssen. Einer Ihrer Neffen fordert nun mehr als 4 Millionen Euro Schadenersatz von Ihnen. Wie blicken Sie auf den Termin?
Baklan: Ich konnte die Forderung meiner Neffen noch nie nachvollziehen. Nachdem wir die Marke Baktat in Deutschland nicht mehr verwenden durften, haben wir Suntat als neue Marke eingeführt. Diese Umstellung hat unserem Geschäft überhaupt nicht geschadet – außer dass wir sehr hohe Kosten für die ganzen Gerichtsprozesse und Anwälte hatten und für neue Verpackungen mit dem neuen Logo. Ich hatte immer gehofft, dass ich mich mit meinen Neffen einigen kann, ich möchte die Familie nicht kaputt machen. Auch die Richter haben sich sehr um eine friedliche Lösung bemüht. Aber sie ist bisher nicht gelungen, und ich fürchte, dass sie auch dieses Mal nicht gelingt.
In Ihrem Unternehmen arbeiten mehr als 30 Familienmitglieder. Haben Sie Ihre Nachfolge schon geregelt?
Baklan: Für unsere Produktion in der Türkei ist schon die nächste Generation verantwortlich: ein Sohn und zwei Töchter von meinem älteren Bruder. Mein Bruder Kadir und ich, die das Unternehmen hier gemeinsam führen, haben auch jeweils drei Kinder. Fünf davon sind bereits im Geschäft aktiv. Ich habe aber neulich von einem japanischen Unternehmer gelesen, der 102 Jahre alt ist. Er sagte: Wenn ich früher in Rente gegangen wäre, wäre ich früher gestorben. Ich denke also noch nicht ans Aufhören, ich liebe meine Geschäfte.
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