Personalpolitik

Fertility Benefits - mit Firmenbonus zum Baby?

In den USA übernehmen viele Unternehmen die Kosten für Kinderwunschbehandlungen. Was regionale Konzerne wie der Walldorfer Softwarekonzern SAP davon halten

Von 
Bettina Eschbacher und Alexander Jungert
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Eine eigene Familie zu gründen, ist der Lebenstraum vieler Menschen. © picture alliance/dpa/dpa-tmn

Rhein-Neckar. Jobticket, Sportpass, Weiterbildung, Einkaufsrabatte, Kinderbetreuung und nun das Einfrieren von Eizellen? In den USA bieten immer mehr Unternehmen sogenannte Fertility Benefits an - und übernehmen damit die Kosten für Kinderwunschbehandlungen. In Deutschland hingegen ist dies bislang noch eine Nische. Doch Experten zufolge steigt der Druck auf Unternehmen.

Vor rund zehn Jahren sorgte die Nachricht für Aufruhr, dass die IT-Konzerne Meta und Apple Mitarbeiterinnen in den USA das Einfrieren ihrer Eizellen zahlten. Man befürchtete, Frauen könnten gezwungen werden, sich nur auf den Beruf zu konzentrieren und den Kinderwunsch auf Eis zu legen.

„Das ist Nonsens. Mindestens 80 Prozent der Frauen, die sich die Eizellen einfrieren lassen, tun das und das zeigen alle Studien, weil sie nicht den richtigen Partner zum richtigen Zeitpunkt haben“, sagt Julia Reichert, Gründerin von Onuava. Das Heidelberger Start-up hat eine Plattform entwickelt, über die Unternehmen ihren Mitarbeitern Zugang zu einer breiten Angebotspalette rund um die Familienplanung bieten können.

Zu Beginn waren Fertilitätsleistungen eine Möglichkeit für das Silicon Valley, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und sich attraktiver zu machen. „Die Unternehmen haben dies nicht aus Gutmütigkeit oder Großzügigkeit getan, sondern weil es sich für sie auszahlt“, sagt Reichert. Angestellte können bei Unternehmen etwa Kosten für In-vitro-Fertilisation, Adoptionsverfahren oder eben die Entnahme von Eizellen einreichen.

Pharmakonzern Merck macht hierzulande den Anfang

Auch Hannah Zagel, die sich am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung auch mit dem Thema beschäftigt, erklärt, der Fokus liege auf der Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen, der Steigerung von Produktivität und womöglich auch der Mitarbeiterzufriedenheit. Der Trend, Kinderwunschbehandlungen zu fördern, dürfte in Deutschland Einzug halten, glaubt Start-up-Unternehmerin Reichert. „Unternehmen müssen sich auch in puncto Fachkräftemangel immer mehr Neues einfallen lassen.“

Als Dax-Konzern machte Merck aus Darmstadt den Anfang. Seit diesem Jahr werden Beschäftigte bei ihrem Kinderwunsch unterstützt. Bis August seien knapp 200 Anfragen gestellt worden, sagt eine Sprecherin. Die Nachfrage, ob man nicht mithelfen könne, sei auch ein Wunsch aus der Belegschaft gewesen.

Voraussetzung für die Leistungen ist, dass einer der Partner während der Behandlung bei Merck beschäftigt sein muss. Das Chemie- und Pharmaunternehmen sichert den Mitarbeitenden Vertraulichkeit zu. „Der oder die Vorgesetzte wird nichts von diesem Antrag oder dieser Anfrage erfahren“, erklärt Katharina Schiederig, Leiterin der Abteilung für Diversitäts-, Gleichstellungs- und Inklusionsstrategie bei der Merck-Gruppe. Merck sehe sich lediglich als „Abrechnungsstelle“, das Höchstbudget sei „immer eine fünfstellige Summe.“

Das Thema werde nicht besonders hervorgehoben. „Es geht uns gar nicht darum, das zu pushen, sondern wir möchten ein breites Angebot der Unterstützung bei Kinderwunsch machen“, betont Schiederig. Ziel sei, den Frauen die Wahlfreiheit zu lassen.

„Lösung des Problems wird auf die einzelne Frau abgeschoben“

Zumindest unter den großen Konzernen aus der Region bleibt Merck allein auf weiter Flur. Bei SAP werde es so schnell keine Fertility Benefits für die rund 23 000 Beschäftigten in Deutschland geben, erklärt Nina Straßner, zuständig für Initiativen der globalen Personalabteilung und mittlerweile Aufsichtsratsmitglied beim Walldorfer Softwarehersteller.

In der Zeitschrift „Brigitte“ hat Straßner auch erklärt, warum. zumindest das Einfrieren von Eizellen hält sie für einen Fehlanreiz, auch wenn Eltern und speziell Mütter im Jobs immer noch oft benachteiligt werden. „Damit wird die Lösung des Problems auf die individuelle Ebene ausgelagert und auf die einzelne Frau abgeschoben.“ Stattdessen sollten Firmen die Bedingungen am Arbeitsplatz besser strukturell ändern. Frauen sollte immer Karriere machen können - unabhängig, ob sie einen Kinderwunsch haben oder nicht.

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Diese Ansicht teilt auch Soziologin Zagel am Wissenschaftszentrum Berlin. Man könnte Kinderbetreuung anbieten oder mehr betriebliche Leistungen für Erziehungszeiten, sagt sie. Zudem könnten Unternehmen flexible Arbeitszeiten einführen und die Arbeit von zu Hause aus erleichtern. „Es muss immer klar sein, was es für Alternativen gibt. Es darf auch keinen Druck geben, diese Dienste in Anspruch zu nehmen.“ Doch genau das fürchtet die Expertin, wenn „eine Kultur der Leistung und des Lieferns“ herrscht - wie so oft bis Ende 30.

Mannheims größter Arbeitgeber Roche bietet zwar nach Angaben einer Sprecherin seinen Mitarbeitenden eine ganze Reihe an Benefits im Gesundheitsbereich an. Darunter sind auch Vorträge zum Themenfeld Frauengesundheit - und auch zum Thema Fertilität. Aber: „Die Kosten für das Einfrieren von Eizellen oder für eine Behandlung zur künstlichen Befruchtung übernehmen wir nicht, auch nicht teilweise“, so die Roche-Sprecherin.

Konzept verbreitet sich in den Vereinigten Staaten stärker

Das BASF-Werk in Ludwigshafen - größter Arbeitgeber in der Region mit allein 33 500 BASF-SE-Beschäftigten - fährt gerade einen massiven Sparkurs, weil der Standort Verluste schreibt. Da verwundert es nicht, dass eine BASF-Sprecherin auf Anfrage erklärt: „Bei BASF SE ist derzeit keine Einführung eines Budgets zur Kinderwunschbehandlung für Mitarbeitende geplant.“ Auch Daimler Truck mit Standorten in Mannheim und Wörth bietet keine entsprechenden Leistungen an. Eine Begründung liefert der Nutzfahrzeughersteller nicht.

Inzwischen unterstützen etwa 40 Prozent der Unternehmen in den USA ihre Beschäftigten, wie eine Auswertung der US-Stiftung für betriebliche Leistungen aus dem Jahr 2022 zeigt. Nach eigenen Angaben hat die gemeinnützige Organisation mehr als 31 000 Mitglieder aus Unternehmen und dem öffentlichen Sektor. An den Kosten für das sogenannte Social Freezing - der vorsorglichen Entnahme von Eizellen - beteiligten sich 14 Prozent. 2016 waren es lediglich zwei Prozent.

Auf Anfrage geben US-Unternehmen wie Google, Meta, Apple, Microsoft oder Salesforce entweder an, dass sie die Vorteile in Deutschland nicht anbieten oder sie keine Informationen dazu liefern können. Das Beratungsunternehmen McKinsey bietet „grundsätzlich auch in Deutschland“ unter anderem „Familienplanung, einschließlich Unterstützung bei Adoption und Leihmutterschaft und Konservierung von Eizellen“ an, so eine Sprecherin.

Dem Deutschen IVF-Registers zufolge sind seit 1997 fast 390 000 Kinder nach In-vitro-Fertilisation geboren. Je nachdem, für welche Behandlung sich Patienten entscheiden, liegen die Kosten bei bis zu 10 000 Euro. Längst nicht alle Leistungen davon übernehmen Krankenkassen. (mit dpa)

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

Redaktion berichtet aus der regionalen Wirtschaft

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