Mannheim. In Wirtschaftsstrafverfahren geht es häufig um Geld, um sehr viel Geld. Aktuelles wie spektakuläres Beispiel: der Wirecard-Prozess. Die Höhe verhängter Strafen, sie sorgt bei Verurteilungen für Schlagzeilen. Hingegen ist noch wenig ins öffentliche Bewusstsein gedrungen, dass Gerichte zusätzlich das Abschöpfen von rechtswidrig erlangtem Vermögen anordnen können.
Was dies zu bedeuten vermag, offenbarte eindrücklich der am Mannheimer Landgericht verhandelte Prozess wegen Marktmanipulation in Zusammenhang mit kanadischen Billigaktien, sogenannten Pennystocks.
Es ist noch kein Jahr her, dass die vierte Große Wirtschaftsstrafkammer in diesem Verfahren die drei Angeklagten nicht nur zu Haftstrafen zwischen vier Jahren neun Monaten und sechs Jahren zwei Monaten verurteilte, sondern obendrein satte Vermögensabschöpfungen anordnete: in Höhe von 12,5 beziehungsweise 19,4 und 37,1 Millionen Euro.
Für Kriminelle soll sich die Tat finanziell nicht lohnen
Der Staatsanwalt hatte in seinem Schlussvortrag noch höhere Millionenbeträge als Werteersatz gefordert. Außerdem sollen jene zwei Unternehmen mit Sitz in Heidelberg und Walldorf, über welche die drei Finanzakteure ihre Geschäfte abgewickelten, 5,9 beziehungsweise 6,8 Millionen Euro abführen. Allerdings sind die Urteile noch nicht rechtskräftig.
Kriminelles Handeln soll sich nicht lohnen: Dieses Prinzip ist in der Rechtsprechung keineswegs neu. Es lag schon dem ursprünglichen Gesetz zugrunde, das noch zwischen Verfall und Einziehung von Taterträgen unterschieden hat. Allerdings gilt auch in diesem besonderen Bereich der Strafjustiz: Wo kein Kläger, da kein Richter beziehungsweise, wo keine spezialisierte Staatsanwaltschaft, dort auch keine Vermögensabschöpfung.
In Baden-Württemberg hat der Staat Millionenbeträge beschlagnahmt
Nicht von ungefähr haben Justizministerien Sonderabteilungen eingerichtet. Und so wurde die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe im Sommer 2019 – und damit zwei Jahre nach Inkrafttreten des Reformgesetzes – um eine Zentralstelle für Vermögensabschöpfung erweitert. Das dreiköpfige Team ist für das Beraten von Strafverfolgern und Gerichten zuständig, veranstaltet Fortbildungen, erstellt Infomaterial zu Fallgestaltungen und hält zu anderen Dienststellen Kontakt.
Oberstaatsanwalt Tobias Wagner, Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, nennt Zahlen: In Baden-Württemberg gab es im vergangenen Jahr 6124 Einziehungsentscheidungen mit einem Gesamtwert abgeschöpfter Vermögensgegenstände von knapp 140 Millionen Euro. Der Blick in die Statistik zeigt: Vom Staat zurückgeholte Taterträge haben an Umfang deutlich zugenommen. Waren es 2019 im Südwest-Bundesland noch um die 80 Millionen, so ist drei Jahre später die 100-Millionen-Marke überschritten worden – und dies mit weniger Einziehungsentscheidungen.
Was wenig bekannt ist: In Zusammenhang mit rechtswidrigen Taten darf der Staat schon während eines Ermittlungsverfahrens Vermögenswerte beschlagnahmen. Dies können gestohlene oder durch Betrug erlangte Gegenstände, Guthaben auf Bankkonten wie auch im Wege der Geldwäsche erworbene Grundstücke sein.
Auch bei Familienangehörigen von Kriminellen kann Vermögen beschlagnahmt werden
Möglich ist außerdem das Arrestieren von Werteersatz. Im Vorfeld des am Mannheimer Landgericht 75 Tage verhandelten Prozesses rund um beschönigende wie irreführende Bewerbung kanadischer Billigaktien hatte die Staatsanwaltschaft gemeinsam mit der spanischen Justiz nicht nur einen der drei Haftbefehle auf Mallorca vollstreckt. Darüber hinaus wurden auf der Mittelmeerinsel Vermögenswerte, insbesondere Immobilien und hochwertige Fahrzeuge, beschlagnahmt.
Und was geschieht, wenn Taterträge längst verschoben sind? In solchen Fällen, so Staatsanwalt Wagner, ist bei Dritten Abschöpfung möglich: beispielsweise bei einer Ehefrau, die von ihrem Mann einen gestohlenen Porsche „geschenkt“ bekommen hat. Eine weitere Fallkonstellation: Ein mittels Ertrag aus Betrügereien gekauftes Haus erben zwei leibliche Kinder, die möglicherweise gar keine Ahnung haben, mit welch krummen Geschäften ihr verstorbener Vater die Immobilie finanziert hat. Eine Einziehungsentscheidung, so Wagner, könne sich auch gegen die beiden Erben richten.
Inzwischen haben Rechtsanwaltskanzleien bundesweit die juristischen Veränderungen und ihre Folgen bei der Vermögensabschöpfung als neues Beratungsfeld entdeckt. Freilich müssen sich auch Anwälte jenseits solcher Spezialisierungen mit dem komplexen Thema auseinandersetzen. „Es hat sich schon einiges verändert“, kommentiert der Mannheimer Strafverteidiger Edgar Gärtner. Früher sei es hauptsächlich darum gegangen, wie hoch eine Strafe ausfällt und ob noch Bewährung möglich ist. Inzwischen treibe beschuldigte beziehungsweise angeklagte Mandanten um: „Kann ich meine Existenz retten?“ Insbesondere, wenn vor einem Schuldspruch eingefrorene Konten für Liquiditätsengpässe sorgen.
Auch Geschäftspartner können zur Rechenschaft gezogen werden
Sobald bei einem Insolvenzverfahren die Staatsanwaltschaft mit im Spiel ist, führt der Wirtschaftsanwalt und Insolvenzverwalter Peter Depré aus, dann gelte es zentrale Fragen zu klären: Was gehört zur Masse, aus der Ansprüche bedacht werden? Welche Opfergruppe kommt zum Zug? „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst beziehungsweise sichert sich den Zugriff“ – dieses Motto funktioniere nicht, betont der Präsident des Mannheimer Anwaltsvereins Depré. Man müsse sich manchmal pragmatisch arrangieren.
Auch korrekt agierende Geschäftsleute können aufgrund einer Vermögensabschöpfung finanziell in die Bredouille geraten, wenn ein Vorstandsmitglied oder Partner eine Straftat gegangen hat. Folgende Fallkonstellation veröffentlicht eine Anwaltskanzlei: Einer von zwei GmbH-Geschäftsführern hat im Alleingang ein schadstoffbelastetes Grundstück günstig gekauft, um es mittels gefälschter Gutachten teuer weiter zu veräußern. Nun droht ihm eine Verurteilung wegen Betrugs. Darüber hinaus ist möglich, dass die Summe, die der geprellte Käufer bezahlen musste, bei der Gesellschaft eingezogen wird.
Vermögenswerte können auch ohne strafrechtliche Verurteilung abgeschöpft werden – bei unklarer Herkunft. Staatsanwalt Wagner nennt ein Beispiel: Bei einer Flughafenkontrolle werden in der Tasche eines ins Ausland reisenden Passagiers bündelweise nicht angegebene Euro gefunden. Woher das Geld stammt, kann oder will der von Soziallhilfe lebende Mann nicht erklären. In solch einem Fall, so Wagner, ist gesetzlich möglich, das entdeckte Bargeld zu „kassieren“. Und zwar dann, „wenn nach Ermittlungen davon auszugehen ist, dass dieses aus Straftaten stammt“. Eine konkrete Tat wie Geldwäsche müsse nicht nachgewiesen werden. Das Instrument zur Einziehung von Vermögenswerten unklarer Herkunft, international „non-conviction-based confiscation“ genannt, soll auch helfen, Clan-Kriminalität zu bekämpfen. Wenn bei unübersichtlichen und sich abschottenden Großfamilien eine Verurteilung nicht möglich ist, sollen zumindest rechtwidrig beschaffte Werte entzogen werden können.
„Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren“, lautet ein altes Sprichwort. Allerdings kann eine per Urteil, Strafbefehl oder Beschluss angeordnete Werteersatzeinziehung zehn Jahre lang im Wege der Zwangsvollstreckung betrieben werden. Beispielsweise wenn jemand, der vorübergehenden Pleite war, nach einem Insolvenzverfahren, durch Erbschaft oder Lottogewinn wieder zu Vermögen gekommen ist. Allerdings lässt sich die Spur (wieder erlangten) Geldes nicht immer verfolgen – besonders dann, wenn es in Kryptowerte investiert wird. Staatsanwalt Wagner: „Dann sind aufwändige und schwierige Ermittlungen notwendig.“
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