Köln. Als das Erwartbare zur Gewissheit wurde, blickten die deutschen Handballer auf die steilen Ränge der Kölner Lanxess-Arena. Die Enttäuschung stand ihnen ins Gesicht geschrieben, da half auch der aufmunternde Applaus der 19750 Zuschauer nichts. Er war ein schwacher Trost. Denn im Halbfinale der Heim-EM endete die Traumreise durch ein einzigartiges Turnier. Allerdings mit einer überragenden Leistung. Mit einem Auftritt, den man lange nicht mehr von der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) gesehen hatte.
Die Mannschaft lieferte dem Weltmeister Dänemark einen heroischen Kampf, war insbesondere in der ersten Halbzeit besser als der Titelfavorit. Doch am Ende stand eine 26:29 (14:12)-Niederlage, die schmerzt, aber auch kein Drama ist. Denn wenn eine Mannschaft gut spielt und trotzdem verliert, hat sie ihre Grenze erreicht. Und diese Mannschaft erreichte nun ihre Grenze.
Torwartwechsel und Sieben-gegen-Sechs machen Unterschied
Am Sonntag (15 Uhr/live in der ARD) kann sich das Team von Bundestrainer Alfred Gislason aber noch für ein unvergessliches Turnier belohnen. Im Spiel um Platz drei geht es gegen Schweden um die Bronzemedaille und den größten DHB-Erfolg seit dem dritten Platz bei den Olympischen Spielen 2016.
„In der zweiten Halbzeit hatten wir nicht mehr den Zugriff in der Abwehr und haben dann auch einige Möglichkeiten ausgelassen“, sagte der deutsche Kapitän Johannes Golla zu den Gründen für die Niederlage, in die er auch den Torwartwechsel und das Sieben-gegen-Sechs-Spiel der Dänen einbezog. „Trotzdem bin ich sehr stolz auf den Kampf, den wir heute geliefert haben. An einem perfekten Tag ist gegen Dänemark etwas drin - aber das war eben nicht der perfekte Tag“, sagte Golla.
Starke Abwehrleistung der deutschen Mannschaft
Die deutsche Mannschaft musste in ihrem größten Spiel seit vielen Jahren kurzfristig auf den erkrankten Rechtsaußen Timo Kastening und Rückraum-Stammkraft Kai Häfner verzichten. Wie der DHB mitteilte, reiste der Linkshänder aus privaten Gründen aus dem Kölner Teamquartier ab. Der 34-Jährige hatte schon in der Vorrundenpartie gegen Nordmazedonien gefehlt, weil er Vater geworden war, und hinterließ eine Lücke.
Getragen von den Emotionen auf den Rängen starteten die Deutschen aber stark. Sie legten ein 3:1 (6.) vor. Das Publikum feierte nicht nur jeden Treffer frenetisch, sondern auch jeden gewonnenen Zweikampf, jede gelungene Abwehraktion. Keiner saß, alle standen. Und staunten.
Denn dass die DHB-Auswahl dem Goldfavoriten auf Augenhöhe begegnete, durfte wirklich nicht erwartet werden. Doch der Plan ging erst einmal auf: Die Deutschen zwangen dem Weltmeister einen intensiven Abnutzungskampf auf, verteidigten mit aller Macht und eisernem Willen. Dänemarks Trainer Nikolaj Jacobsen schimpfte und gestikulierte, ließ Dampf ab. Und es war ja auch Dampf drauf auf diesem Spiel, in dem Torwart Andreas Wolff zum Faktor wurde. Er zeigte spektakuläre Paraden und lachte. Hatte Spaß an diesem Duell. Weil er herausragend hielt. Weil seine Kollegen herausragend spielten. Und weil den Deutschen bewusst war, dass es für sie nichts zu verlieren und alles zu gewinnen gab.
Hochverdiente Pausenführung: DHB-Team nimmt 14:12 mit in die Pause
Die befreit, ja sogar entfesselt aufspielende DHB-Formation nahm nach einer packenden ersten Halbzeit ein 14:12 mit in die Pause. Der Vorsprung war hochverdient, vielleicht sogar ein wenig zu klein angesichts der Abwehr- und Torwartleistung. Dass Lukas Zerbe eine freie Chance ausließ, Rune Dahmke im erweiterten Gegenstoß ein Offensivfoul unterlief und Juri Knorr einen Siebenmeter vergab, schmerzte. Aber auch nur ein bisschen.
Wie schon Ende der ersten Halbzeit griffen die Dänen nach dem Seitenwechsel in Ballbesitz mit sieben Feldspielern an. Ein verstecktes Kompliment an die deutsche Deckung, aber eben auch ein taktisches Mittel, das nahezu keine Nationalmannschaft besser beherrscht als der Weltmeister. Die Dänen fanden nun immer wieder einen freien Mann und kamen zu klaren Torchancen, Wolff verhinderte vorerst noch Schlimmeres.
Ideen im Angriff gehen aus
Doch beim 15:16 (36.) lag die DHB-Auswahl erstmals an diesem Abend zurück und nutzte ihre eigenen Möglichkeiten nur unzureichend. Dahmke scheiterte erneut ganz unbedrängt von der Außenposition. Golla leistete sich in Überzahl ein Offensivfoul und schon waren die Dänen zwei Treffer weg - 17:19 (42.). In großen Spielen entscheiden häufig Kleinigkeiten. Kleinigkeiten wie diese.
Den Deutschen gelang nach dem immensen Kraftaufwand in der ersten Halbzeit nun nicht mehr alles, gerade im Angriff gingen die Ideen aus. Julian Köster verlor in Überzahl den Ball, der Weltmeister zog auf drei Treffer (18:21/47.) davon.
Es zeigte sich in diesen Minuten die ganze Reife des Goldfavoriten, der jeden Fehler bestrafte und seinen Vorsprung ausbaute (22:26/54.). Die Dänen sind eben eine absolute Spitzenmannschaft. Die Deutschen befinden sich noch auf dem Weg dorthin.
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