Am Donnerstag (19 Uhr) steht Juri Knorr für die Rhein-Neckar Löwen gegen den VfL-Potsdam auf dem Feld. Es folgen noch fünf weitere Partien. Er will die Saison „mit ein paar schönen Momenten abschließen“, wie der 25-Jährige sagt.
Juri, das Kapitel Rhein-Neckar Löwen endet und ein neuer Lebensabschnitt in Aalborg beginnt bald. Was spüren Sie so kurz vor dem Abschied?
Juri Knorr: Natürlich freue ich mich auf Dänemark, aber die Gefühle sind momentan gemischt. Friederike und ich haben zuletzt ein paar Umzugskartons gepackt. Die Wohnung sieht also nicht mehr ganz so aus wie vorher – und das fühlt sich auch ein wenig traurig an.
Warum?
Knorr: Ich habe vier Jahre in Heidelberg gelebt. Die Zeit war sehr prägend und ich habe viele Dinge erlebt. Die Stadt und generell die Rhein-Neckar-Region sind wirklich schön und wir haben es genossen, hier zu leben. Deswegen ist jetzt beim Abschied auch Wehmut dabei.
In diesem Sommer werden Sie knapp sechs Wochen Pause haben. Das war 2024 wegen der Olympischen Spiele ganz anders. Haben Sie den Silbercoup von Paris mittlerweile vollständig realisiert?
Knorr: Im Profisport gibt es selten Gelegenheit, Dinge wirklich auszukosten, zu genießen oder zu feiern, weil es stets sehr schnell weitergeht. Aber ich probiere immer wieder, mir den Raum zu schaffen und mir die Zeit dafür zu nehmen, mich an so etwas zu erinnern. Genauso gibt es aber auch Momente, in denen ich spontan an diesen Erfolg denke, weil ich etwas sehe oder höre, was ich mit Olympia verbinde. Zum Beispiel ein Foto oder einen Song. Aber ob ich das wirklich vollständig realisiert habe? Wahrscheinlich nicht. Hin und wieder muss ich mich kneifen, weil es sich immer noch so surreal anfühlt. Und ich vermute, dass sich das auch nicht mehr ändern wird. Denn eine Olympia-Medaille ist und bleibt wirklich etwas Besonderes.
Mit Olympia-Silber wuchsen die Erwartungen an die Nationalmannschaft. Entsprechend galt das WM-Aus im Viertelfinale ein paar Monate später in der öffentlichen Wahrnehmung als Enttäuschung. Sehen Sie das auch so?
Knorr: Im Prinzip ist das Turnier genauso gelaufen, wie man es erwarten konnte. Wir waren leider noch chancenlos gegen Dänemark – das galt aber auch für alle anderen Mannschaften. Gegen die restlichen Gegner haben wir gewonnen und sind im Viertelfinale gegen Portugal auf einen Gegner getroffen, der Spanien und Schweden hinter sich gelassen hat. Das war ein 50:50-Spiel, so wie es das für jede Mannschaft bei einem großen Turnier ab dem Viertelfinale ist. Außer für Dänemark (lacht). Und dieses Viertelfinale haben wir sehr knapp und unglücklich in der Verlängerung verloren. So ist der Sport.
Was genau ist aber das deutsche Team – eher Viertelfinalist oder eher Olympia-Zweiter?
Knorr: Wir sind eine gute Mannschaft und werden immer besser. Dänemark steht über allen anderen Nationen und Frankreich ist meiner Meinung nach aktuell die Mannschaft, die Dänemark am ehesten schlagen kann. Dahinter kommen fünf, sechs Mannschaften auf Augenhöhe, zu denen wir auch gehören. Bei den Weltmeisterschaften 2023 und 2025 wurden wir Fünfter und Sechster, bei der EM 2024 Vierter und dazu kommt Olympia-Silber. Diese Konstanz sagt etwas aus.
Wenn die EM 2026 startet, wird das Turnier-Gastgeberland Dänemark Ihre neue Wahlheimat sein. Wie fällt Ihr Fazit nach vier Jahren bei den Rhein-Neckar Löwen aus?
Knorr: Die Löwen waren für mich der perfekte Ort. Ich hätte in den vergangenen vier Jahren nirgendwo lieber gespielt. Ich habe in dieser Mannschaft sehr viel Spaß gehabt und es ist sehr viel entstanden, das ich vermissen werde – gerade die Atmosphäre bei den Heimspielen. Die ganze SAP Arena in Gelb zu sehen, das war etwas, was ich als Kind schon cool fand, wenn ich die Andy-Schmid-Löwen gesehen habe. Und jetzt ein Teil von diesem Verein gewesen zu sein, der in meinen Augen wirklich sehr groß ist und hoffentlich wieder ganz nach oben kommt – das macht mich stolz. Deswegen sage ich: Für mich persönlich ist es besser gelaufen, als ich es mir erhofft habe.
Ich ärgere mich darüber, dass wir in dieser Saison so viel Pech mit Verletzungen und Erkrankungen hatten
Und wenn Sie das große Ganze sehen?
Knorr: Als Verein hatten wir richtig coole Höhen dabei. Wir sind Pokalsieger geworden. Das können nicht so viele Mannschaften über sich behaupten und darauf bin ich sehr stolz. Auch die Europapokalsaison war eine Mega-Erfahrung, als wir es bis ins Final Four geschafft haben. In der Liga hat die Konstanz gefehlt, aber auch dafür gibt es Gründe. In meinem ersten Jahr gab es zwei Trainer mit Klaus Gärtner und Ljubomir Vranjes. Erst danach kam Sebastian Hinze. Im Kader gab es Umstrukturierungen – und wenn Kontinuität fehlt, wird alles ein bisschen schwieriger. Ich ärgere mich darüber, dass wir in dieser Saison so viel Pech mit Verletzungen und Erkrankungen hatten. Sonst wäre viel mehr möglich gewesen.
Sie haben eben Andy Schmid angesprochen, mit dem Sie ein Jahr zusammengespielt haben. Wie sehr hat er Ihre Karriere beeinflusst?
Knorr: Als ich 2021 zu den Löwen kam, war ich ein Talent. Ich hatte bis dahin in Minden gezeigt, dass ich ein guter Spieler sein kann. Aber ich war kein gestandener Bundesligaspieler auf dem Niveau, auf dem sich die Löwen bewegt haben. Ich war sportlich nicht reif genug und dieser Aufgabe auch mental noch nicht gewachsen. Und in dieser Phase hat Andy mir als Mensch extrem geholfen. Es tat einem jungen Spieler wie mir sehr gut, zu wissen, dass auch eines meiner größten Idole ein ganz normaler Typ ist, der auch mal hadert, der auch mal zweifelt, der auch seine Themen hat – und der trotzdem über solch einen langen Zeitraum so phänomenal gespielt hat und auf der Platte einfach extrem cool war. Andy hat mir sehr viel Mut zugesprochen und ist auf eine andere Art und Weise noch einmal zu einem Vorbild für mich geworden. In dem einen Jahr mit ihm bin ich als Mensch gewachsen. Natürlich hat er mir auch sehr viel mitgegeben, was das reine Handballspielen betrifft. Aber das andere hänge ich noch deutlich höher.
Sie sagten, die Löwen seien ein „sehr großer Verein“. Ich halte dagegen und stelle die These auf: Es ist umgekehrt. Der Spieler Juri Knorr ist für die Löwen zu groß geworden und dem Verein entwachsen.
Knorr: Da muss ich widersprechen. Das sehe ich ganz anders. Es war mein Wunsch, etwas Neues zu machen. Und als ich das Angebot aus Aalborg bekommen habe, war mir relativ schnell klar, dass ich das machen möchte. Das Gesamtpaket stimmt einfach: Ich möchte zurück in den Norden und näher bei meiner Familie sein. Jetzt kann ich in einem anderen Land spielen, muss eine neue Sprache lernen. Das reizt mich. Mit Aalborg werden wir hoffentlich in der Champions League dabei sein, was für mich seit Kindheitstagen ein großer Traum ist – noch dazu mit der Aussicht auf das Final Four in Köln, wo ich als Kind ebenfalls oft gewesen bin und das mich immer begeistert hat. All diese Gründe haben zu meiner persönlichen Entscheidung geführt. Und trotzdem sind die Löwen ein großer Verein.
Das müssen Sie mir dennoch erklären. Denn die Tabelle gibt das nicht her.
Knorr: Jedes Mal, wenn ich zum Heimspiel fahre, spüre ich, was für ein großer Verein die Löwen sind. Die SAP Arena ist voll, im Schnitt kommen 8.000 Fans. Und das zeichnet einen großen Verein auch aus. Natürlich steht der Club in rein sportlicher Hinsicht jetzt gerade nicht dort, wo er einmal war. Aber die Konkurrenz ist auch nicht schlechter geworden und die Bundesliga bewegt sich generell auf einem deutlich höheren Niveau als noch vor acht Jahren. Das alles macht es schwieriger, auch für andere Vereine. Deswegen gilt: Die Löwen sind und bleiben ein großer Verein – und sie sind natürlich deutlich größer als meine Person.
Aber wie kommen die Löwen auch in der Tabelle wieder nach oben ?
Knorr: Zur neuen Saison steht wieder ein Umbruch im Kader an, ein neuer Trainer kommt. Die zentrale Frage lautet für die Löwen: Werden sie diese Mannschaft mal über ein paar Jahre zusammenhalten können und sie zusätzlich ein bisschen verstärken? Wenn das gelingt, werden die Löwen wieder ganz oben angreifen.
Nach ganz oben wollen viele Vereine. Eine Champions-League-Teilnahme kann ohnehin kein deutscher Club mehr garantieren. Doch die Topspieler wollen in der Königsklasse am Ball sein. Ist die Leistungsdichte auch ein Problem für die Bundesliga, weil sich Spitzenspieler nicht sicher sein können, in der Champions League zu spielen und deswegen lieber in ein anderes Land wechseln?
Knorr: Diese Diskussion sollte man so nicht führen. Es geht doch eher darum: Warum hat die Bundesliga nur zwei Startplätze in der Champions League? Nehmen wir die Leistungsstärke als Kriterium, wären vier deutsche Starter in der Champions League gerechtfertigt. Mit Magdeburg und Berlin stehen jetzt wieder zwei deutsche Mannschaften im Final Four, sogar drei Bundesligisten haben das Halbfinale der European League erreicht. Man sollte also nicht darüber diskutieren, ob es ein Problem ist, dass kein deutscher Verein die Champions League garantieren kann, sondern die Debatte muss anders und größer geführt werden. Die besten europäischen Mannschaften sollen in der Champions League spielen. Und da gehören mehr als zwei deutsche Teams zu.
In Aalborg werden Sie ziemlich sicher jedes Jahr in der Champions League am Ball sein. Von den Rhein-Neckar Löwen weiß ich, wie außergewöhnlich es ist, etwas zum ersten Mal zu gewinnen. Der erste Titel der Vereinsgeschichte, die erste Meisterschaft, der erste Pokalsieg. Das sind Meilensteine für die Ewigkeit. Sind Sie also froh, dass Aalborg die Champions League in dieser Saison nicht mehr gewinnen kann und diese Trophäe dem Club somit weiterhin fehlt?
Knorr: Ich glaube, ein Sportler hätte nicht das richtige Mindset, wenn er so denken würde. Diesen Titel zu gewinnen, ist unglaublich schwer. Und wenn es dann gelingen sollte, wird es immer etwas Besonderes sein und dieser Erfolg seine eigene Geschichte haben – egal wie häufig ein Verein diesen oder jenen Titel schon gewonnen hat. Sonst könnten wir ja auch aufhören. In diesem Jahr ist Aalborg verdient gegen Berlin im Viertelfinale ausgeschieden. In der vergangenen Saison war der Verein im Finale gegen Barcelona nah dran. Ich freue mich darauf, mit Aalborg ab Sommer einen neuen Angriff zu starten und natürlich ist es ein Traum, diesen Titel zu gewinnen. Aber erst mal freue ich mich darauf, an diesem Wettbewerb teilzunehmen und hoffentlich mal das Final Four zu erreichen.
Juri Knorr
Juri Knorr wurde am 9. Mai 2000 in Flensburg geboren . Er ist der Sohn des früheren Handball-Bundesliga- und Nationalspielers Thomas Knorr, der seinen Junior in zahlreichen Jugend-Mannschaften trainierte.
2018 wechselte Knorr zum FC Barcelona . Dort wurde er überwiegend in der zweiten Mannschaft eingesetzt, spielte aber auch im ersten Team.
2019 schloss sich der Mittelmann dem Bundesligisten GWD Minden an, 2021 folgte der Wechsel zu den Rhein-Neckar Löwen . Mit den Mannheimern wurde Knorr 2023 Pokalsieger. Ab Juli schließt sich der 25-Jährige dem dänischen Spitzenclub Aalborg an.
Knorr hat bislang 79 Länderspiele bestritten und gewann mit der deutschen Nationalmannschaft 2024 Olympia-Silber .
Ist Ihr Wechsel nach Dänemark ein Abschied für die Ewigkeit oder werden wir Sie noch einmal in der Bundesliga sehen?
Knorr: Ich bin noch jung und schließe nichts aus. Deutschland ist meine Heimat. Aber momentan verschwende ich daran keinen Gedanken, sondern konzentriere und freue mich ausschließlich auf Aalborg.
Als wir im Herbst gesprochen haben, sagten Sie, dass Ihnen ein „bisschen weniger Rampenlicht auch mal ganz guttun“ und der Hype um ihre Person in Dänemark vielleicht doch etwas kleiner sein werde. Gilt das nun immer noch?
Knorr: Ich habe für mich mittlerweile einen besseren Umgang mit dem öffentlichen Interesse an meiner Person gefunden. Gerade auch zuletzt bei der WM im Januar ist mir das gut gelungen. Ich habe die Berichterstattung nicht verfolgt. Ohnehin habe ich aber das Gefühl, dass sich das Interesse – insbesondere im Kreise der Nationalmannschaft – mehr verteilt. Wir haben ein sehr talentiertes Team mit starken Spielern und interessanten Charakteren. Es freut mich, dass mittlerweile mehr das gesamte Team in der Öffentlichkeit im Vordergrund steht. Für mich ist das auch ganz gut (lacht).
Werden Sie in Aalborg denn wirklich mehr Ruhe haben?
Knorr: Ich möchte dieses Thema gar nicht zu hoch hängen. Denn es war nicht so ein großer Grund für diesen Wechsel. Zumal der Druck in Aalborg auch hoch sein wird. Von dieser Mannschaft wird erwartet, jedes Spiel zu gewinnen. Das finde ich spannend – und diese Herausforderung nehme ich gerne an.
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