FN-Interview

Sylvia Gerasch: Verband komplett umkrempeln

Die ehemalige 100-Meter-Brust-Weltrekordlerin kritisiert die Zerrissenheit innerhalb des Deutschen Schwimm-Verbandes

Von 
Klaus T. Mende
Lesedauer: 

Von Klaus T. Mende

Als Sylvia Gerasch noch aktiv war, gehörte Deutschland weltweit zu den führenden Schwimm-Nationen. Dies hat sich mittlerweile ganz gewaltig geändert. Im FN-Interview anlässlich ihrer Visite in Bad Mergentheim kritisiert die Ex-Weltrekordlerin über 100 Meter Brust die Zerrissenheit innerhalb des Verbandes. „Es ist traurig, dass die Leistungen im Schwimmsport zuletzt immer schlechter geworden sind.“

Frau Gerasch, ganze zwei Jahre hat Sie der Schwimm-Weltverband aufgrund Ihrer Vorliebe für das Kaffee trinken wegen eines erhöhten Koffeinwertes im Körper gesperrt. Wie gehen Sie heute damit um?

Sylvia Gerasch: Das hört sich immer so extrem negativ an, wegen des Kaffees gesperrt zu werden. Damals hieß es, dass man die Werte allein mit Kaffee trinken nicht erreicht. Dabei ist es erwiesen, dass es schnell geht – bereits ab drei Tassen Kaffee. Heute schmunzle ich darüber, weil das eine Lebenserfahrung war, die man gesammelt hat. Bloß damals war es so, dass mich das ganz schön mitgenommen hat.

Wie sind Sie dieser Sperre, die viele Experten als ungerecht empfanden, als Aktive umgegangen?

Gerasch: Wenn man so eine Sperre bekommen hat, hegt man immer den Gedanken aufzuhören, denn man trainiert – und weiß nicht wofür. Man macht automatisch eine Pause, fängt an zu überlegen, ob es noch Sinn hat. Aber ich dachte mir dann, ich mache weiter, denn Sport war auch nach 1990 immer mein Hobby gewesen. Ich hatte gearbeitet und kam dennoch zu dem Schluss, ich versuche es noch einmal. Denn einmal wollte ich noch an Olympischen Spielen teilnehmen.

Mehr als 20 Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften, dazu der Weltrekord über 100 Meter Brust – sind Sie heute mit Ihren sportlichen Erfolgen im Rückblick auf Ihre Karriere zufrieden?

Gerasch: Zufrieden bin ich mit meinen sportlichen Erfolgen durchaus. Ich hätte mir allerdings auch eine olympische Medaille gewünscht. Das hat leider nicht geklappt, aber damit kann ich dennoch gut leben.

Blicken wir mal auf die derzeitige Situation im deutschen Schwimmsport. Wie fällt denn Ihr Urteil über dessen aktuellen Zustand aus?

Gerasch: Es ist für mich schwer, darüber zu urteilen. Denn was den DSV angeht und wie er geführt wird, da habe ich mich immer rausgehalten. Es ist traurig, dass die Leistungen im Schwimmsport aus meiner Sicht zuletzt immer schlechter geworden sind. Aber ich denke, die Probleme sind anders gelagert, das hängt damit zusammen, dass der Sport in Deutschland ohnehin einen geringen Stellenwert hat.

Seit Jahren hinkt der Deutsche Schwimm-Verband seinen eigenen Erwartungen im internationalen Vergleich hinterher. Was sind die Hauptgründe für diese Entwicklung?

Gerasch: Das ist schwer zu sagen. Aber ich denke, es hängt damit zusammen, dass der Nachwuchs nicht mehr so gegeben ist. Die Interessen der Menschen in Deutschland sind mittlerweile unterschiedlich, der Sport kann die jungen Menschen nicht mehr motivieren.

Wo müssten denn die Hebel angesetzt werden, um nach und nach wieder den Anschluss an die Topnationen zu schaffen?

Gerasch: Hierzu müsste die gesamte Organisation umgeändert werden – das ganze Prinzip des Leistungssports. Dabei müsste allerdings ganz unten angefangen werden bei der Jugendarbeit und bei den Sport geförderten Schulen. Denn oben etwas zu verändern, das macht keinen Sinn.

Wenn ich sage, der DSV war und ist intern ziemlich zerrissen – stimmen Sie mir zu?

Gerasch: Vollkommen.

Sehen Sie beim DSV ein Machtvakuum, in dem jeder sein eigenes Süppchen kocht?

Gerasch: Ich denke, das ist nicht nur beim DSV so, das ist überall in den Sportverbänden der Fall. Wer so eine Funktion innehat, der will sie nicht aufgeben. Man versucht immer, etwas zu schützen. Es geht dabei auch stets ums Geld, etwa bei den Vereinsbeiträgen, von denen prozentual etwas an den DSV abgegeben wird. Sollen sie erhöht werden, dann wird diskutiert, dann wird sich gestritten, selbst wenn es nur um zehn Cent geht.

Wieso baut der Deutsche Schwimm-Verband im Funktionärsbereich denn nicht auf die Unterstützung ehemaliger Aktiver, die genau wissen, wie es läuft und die das Erfolgsgen in sich haben?

Gerasch: Weil viele ehemalige Leistungssportler ganz genau wissen, was abläuft beim DSV, halten sie sich zurück. Denn wenn einer reinkommt und etwas ändern will – es geht nicht so schnell. Es ist ein Verband, das heißt, es müssen zunächst einmal Sitzungen einberufen werden, dann gibt es Machtkämpfe, denn der eine will den Platz nicht aufgeben, obwohl man ihm sagt, es wäre für einen Neuanfang besser. Und da hält man sich lieber heraus, weil dies ein Strukturwandel ist, der über zehn Jahre geht. Man kann damit auch seinen Namen kaputtmachen.

Demzufolge sitzen beim DSV teilweise die falschen Leute an der verkehrten Stelle?

Gerasch: Manchmal mögen es auch die richtigen Leute sein. Aber sie können nichts ändern, weil zu viele etwas zu sagen haben. Und bevor etwas geändert wird, müssten Beschlüsse gefasst, tausend Formalitäten eingehalten werden. Und wer kann so lange kämpfen?

Wären Sie bereit, sich in irgendeiner Form beim Verband mit einzubringen?

Gerasch: Es hängt von vielen Faktoren ab, wie die Struktur geändert werden soll und welche Aufgabe man hat.

Wie geht Ihr Blick bezüglich des Schwimmens in Deutschland in die Zukunft?

Gerasch: Wenn es im Schwimmverband ein paar Talente gibt, die Medaillen erringen, freue ich mich natürlich. Aber eigentlich sehe ich die Zukunft des Verbandes momentan nicht positiv.

Redaktion Mitglied der Main-Tauber-Kreis-Redaktion mit Schwerpunkt Igersheim und Assamstadt

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten