Sommerinterview - Landrat Christoph Schauder spricht über den Klimawandel, das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern und über Chancen für ländliche Regionen

Main-Tauber-Kreis: Mehr Eigenverantwortung beim Bürger

Er sei ein bekennender Optimist, sagt Landrat Christoph Schauder von sich selbst. Bei den anstehenden Herausforderungen kann er diese Eigenschaft auch gut gebrauchen. Die FN führten ein Sommerinterview mit ihm.

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Heike von Brandenstein
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Landrat Christoph Schauder im Gespräch mit FN-Redakteurin Heike von Brandenstein. © Frank Mittnacht
Klimawandel, steigende Preise, hohe Sozialausgaben: Der Landkreis ist mit vielen Problemen konfrontiert. Doch Christoph Schauder blickt nach vorn und zeigt sich zupackend. Strukturiert die Dinge angehen, ist seine Sache. Und auch privat, das verrät er im Interview, stehen Veränderungen an, auf die er sich gemeinsam mit seiner Frau Kathrin freut.

Main-Tauber-Kreis.

Herr Schauder, es ist Sommer. Bereits im Mai hat die Sonne gebrannt und es wurden hochsommerliche Temperaturen gemessen. Die Klage, dass die Trockenheit die Natur belastet, ist groß. Wie geht es der Land- und Forstwirtschaft im Main-Tauber-Kreis?

Christoph Schauder: Der Klimawandel ist Realität. Wer ihn leugnet, hat den sprichwörtlichen Schuss nicht gehört. Die Lage ist sowohl für die Land- als auch für die Forstwirtschaft herausfordernd. Es ist wirklich knochentrocken. Das Getreide ist aufgrund des Hitzestresses notreif. Mit Sicherheit wird sich die Landwirtschaft mit Ernteeinbußen auseinandersetzen müssen. Wie hoch die tatsächlich sind, kann man noch nicht verlässlich sagen. Aber ich denke, ein Wert zwischen 20 und 30 Prozent ist schon realistisch. Im Wald ist es das gleiche Spiel. Man muss etwa im Bereich Apfelbach oder Igersheim einfach nur einmal in die Wälder hineinschauen, um zu sehen, was los ist. Zwar hatten wir im Winter erhebliche Niederschläge, aber aufgrund der Tatsache, dass es schon im Mai sehr heiß war, es jetzt schon seit Wochen kaum geregnet hat, macht sich dieser Wassermangel in den Wäldern dramatisch bemerkbar.

Wie kann man da gegensteuern?

Schauder: Mit dem weiteren konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir sind ein Landkreis, der schon seit Jahren die Energiewende lebt. Wir haben 145 Windenergieanlagen in Betrieb, sechs weitere sind genehmigt. Damit sind wir der Landkreis in Baden-Württemberg mit der größten Windkraftdichte. Gerade in der Forstwirtschaft werden wir uns aber langfristig mit der Frage auseinandersetzen müssen, neue Baumarten anzusiedeln, die mit Blick auf den Klimawandel auf größere Hitzeperioden besser reagieren als der jetzige Bestandswald.

Bei einer geringeren Ernte und einer hohen Inflation steht zu befürchten, dass die Lebensmittelpreise weiter steigen werden. Da wird die soziale Schere noch weiter auseinandergehen. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Schauder: Das Thema Versorgungssicherheit hat eine ganz andere Bedeutung als noch vor einem halben Jahr. Corona und jetzt der Krieg in der Ukraine haben die Schwierigkeiten der Lieferketten schonungslos offengelegt. Ich bin 100-prozentig davon überzeugt, dass wir in den nächsten Monaten und Jahren das Verhältnis Staat-Bürger grundlegend neu definieren müssen.

In welche Richtung?

Schauder: Wir müssen lernen, robuster zu werden. Die Haltung der kommunalen Spitzenverbände in diesem Punkt ist eindeutig. Corona, aber auch das Thema Ukraine haben die Bedarfe der nächsten Jahre komplett verändert. Wehrhaftigkeit, Energiesicherheit, Lebensmittelversorgung werden die großen Themen der nächsten Jahre sein. Und es wird auch nicht mehr möglich sein, dass der Staat alle Probleme, so wie es in den letzten zwei Jahren in der Bekämpfung der Pandemie war, umfassend wird finanziell abfedern können.

Werden die Bürger stärker belastet?

Schauder: Die Bürger müssen wieder mehr Eigenverantwortung übernehmen, denn sonst stehen die öffentlichen Haushalte vor dem Kollaps. Viele Bereiche kennen seit Jahren nur eine Richtung, nämlich stetig nach oben. Bei allen Stadt- und Landkreisen ist das im Sozialbereich der Fall, weil wir ein gutes und engmaschiges System der Hilfeleistung haben, zu dem wir auch stehen. Aber vor allem der Bundesgesetzgeber ist in den nächsten Jahren gefragt, Schwerpunkte zu definieren. Denn es wird nicht funktionieren, in Berlin schöne Gesetze zu machen und die dann an die kommunale Ebene weiterzureichen. John F. Kennedy, den ich sehr verehre, hat im Frühjahr 1961 etwas sehr Kluges gesagt: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern frage, was du für dein Land tun kannst.“ Dieser Satz ist heute aktueller denn je.

Dabei geht es letztlich auch um die Verteilungsgerechtigkeit bei Steuern und Abgaben.

Schauder: Wenn wir zumindest Steuergerechtigkeit innerhalb der Europäischen Union hätten, wären wir schon einen großen Schritt weiter, denn die wäre für den gesellschaftlichen Frieden unglaublich wichtig. Das Grundthema ist, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann.

Bedeutet das für Sie, dass sich Europa noch enger zusammenschließen müsste?

Schauder: Nicht nur Europa, sondern die freie Welt muss stärker zusammenrücken. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs waren wir alle zu blauäugig. Jetzt muss man Lieferketten und Produktionsstätten hinterfragen und wir werden auch nicht umhin kommen, in den nächsten Monaten und Jahren wieder verstärkt zur Lagerhaltung zurückzukehren. In den vergangenen Jahren lief alles just in time. Aber das funktioniert nicht mehr, wenn die Produktionsstandorte wegfallen.

Das heißt im Umkehrschluss eine Abkehr vom Prinzip des stetigen Wachstums?

Schauder: In den letzten Jahren lautete die Devise höher, schneller, weiter. Das wird es in diesem Umfang in den nächsten Jahren nicht mehr geben. Aber ich bin überzeugt, dass unser Mittelstand, der das Rückgrat unseres Wohlstandes ist, die Herausforderungen gut meistern wird.

Kehren wir wieder in den Main-Tauber-Kreis zurück, der stark vom demografischen Wandel betroffen ist. Wie begegnen Sie dieser Herausforderung?

Schauder: Die Zahl der über 65-Jährigen nimmt bei uns im Landkreis seit Jahren zu. Dieser Trend wird anhalten. Corona bringt zwar viel Leid über die Menschen, hat aber auch einige Dinge positiv angestoßen. Vor der Pandemie hatte man den Eindruck, dass in ländlichen Räumen der Letzte das Licht ausmacht, weil alles in die Ballungsräume strebt. Die Pandemie hat vielen Menschen vor Augen geführt, dass es auch sinnvoll sein kann, in einer ländlich geprägten Gegend beheimatet zu sein. Nicht umsonst sind wir einer der familienfreundlichsten Landkreise in ganz Deutschland. Dies gepaart mit der Tatsache, dass wir auch eine sehr hohe Weltmarktführerdichte, einen pumperlgesunden Mittelstand und eine hervorragende Breitbandinfrastruktur haben heißt, dass wir hier beste Voraussetzungen haben. Corona hat auch gezeigt, dass es in vielen Bereichen mittlerweile von nachrangiger Bedeutung ist, von wo aus jemand arbeitet. Ich bin überzeugt, wir werden davon profitieren.

Der Ausbau erneuerbarer Energien liegt Ihnen am Herzen. Wie sehen Sie die baden-württembergische Vorgabe, dass zwei Prozent der Landesfläche für erneuerbare Energie bereitgestellt werden soll?

Schauder: Das klingt gut und ist auch sinnvoll. Zwei Prozent erscheinen zunächst niedrig. Für den Main-Tauber-Kreis bedeuten zwei Prozent zwischen 2600 und 2700 Hektar. Das ist eine gewaltige Fläche. Die Frage landesweit ist aber, wo die zwei Prozent erbracht werden. Sicher nicht in der Landeshauptstadt Stuttgart oder in urbaner geprägten Landkreisen, sondern in ländlichen Regionen. Bei einer landesweiten Umsetzung bedeutet dies, dass ländliche Regionen mehr Prozentpunkte einbringen müssen. Wir als Main-Tauber-Kreis sind grundsätzlich bereit dazu.

Zu welchen Konditionen?

Schauder: Nur, wenn es einen Ausgleich gibt. Ich erwarte dann, dass ich mit Stuttgart nicht diskutieren muss, wenn es um die Ausweisung von neuen Gewerbe- oder Wohngebieten geht und möchte auch bei anderen Themen wie dem ÖPNV Entlastung erzielen. Wenn wir die fehlenden Prozentpunkte bringen müssen und gleichzeitig bei anderen Fragen wie urbanere Strukturen behandelt werden, haben wir ein Problem. Dann wird es nicht gelingen, die Energiewende auf eine breitere gesellschaftliche Basis zu stellen. Ich kann in aller Deutlichkeit sagen: Da werden wir, wenn es kein Entgegenkommen gibt, den Finger ganz tief in die Wunde legen.

Wie weit sind Sie bei der Digitalisierung der Landkreisverwaltung, damit der Bürger seine Anliegen online auf den Weg bringen kann?

Schauder: Wir sind auf einem sehr guten Weg. Durch Corona hat unsere Kundschaft den Wunsch, zeit-, raum- und papierlos mit uns zu kommunizieren. Das geht nicht von heute auf morgen. Nicht, weil wir das nicht auf die Reihe bringen, sondern weil wir auf die Hilfe anderer auf Landesebene angewiesen sind. Was bei uns konsequent ausgebaut wird und auch funktioniert, ist die Online-Terminvereinbarung. Vor allem bei der Zulassungsstelle, die bei weitem den größten Kundenverkehr hat, ist das wichtig. Wir haben uns jetzt in der ruhigeren Corona-Phase entschieden, die Terminvereinbarung zu belassen, um größere Warteansammlungen zu vermeiden. Das wird von unseren Kunden gut angenommen, weil sich der Sachbearbeiter gezielt auf das jeweilige Anliegen vorbereiten kann. Digitalisierung bedeutet aber auch die konsequente Digitalisierung unseres Aktenbestands. Und das sind Berge, die gescannt werden müssen. Ich bin guter Dinge, dass wir in einem Jahr viele große Schritte weiter sein werden.

Das bedeutet vielleicht auch mehr Homeoffice. Ihr Vorgänger im Amt hat gern von einem Verwaltungscampus mitten in der Kreisstadt gesprochen und da auch die frühere Post einbezogen. Brauchen Sie überhaupt noch mehr Platz?

Schauder: Ich habe mit den Fraktionen bereits im Vorfeld meiner Wahl vereinbart, dass größere räumliche Umstrukturierungen nur dann erfolgen, wenn zuvor ein ganzheitliches Gebäudekonzept erstellt wird. Das sehe ich frühestens für das Jahr 2024 vor, weil unsere Großprojekte Berufliches Schulzentrum Wertheim und Straßenmeisterei Külsheim die ganze Aufmerksamkeit unserer Hochbauverwaltung erfordern. Danach müssen wir an das Berufliche Schulzentrum Tauberbischofsheim, das bei mir eine höhere Priorität besitzt als ein Gebäudekonzept für die Verwaltung.

Die Ferien stehen bevor. Wie sieht Ihr Sommer aus?

Schauder: Wir waren vor Pfingsten zehn Tage im Allgäu und sind viel gewandert. Das war toll. Aktuell stehen bei uns einige Veränderungen an. Deshalb haben wir in diesem Sommer keine Reise geplant. Wir werden in den Main-Tauber-Kreis, konkret nach Tauberbischofsheim, übersiedeln. Ich hatte ja schon vor meiner Wahl gesagt, dass es für meine Frau und mich zur regionalen Identität gehört, in den Kreis zu ziehen, in dem man Landrat ist. Wir haben ein Haus gekauft und werden voraussichtlich im August umziehen. Darauf freuen wir uns. Eine weitere Veränderung, über die wir uns sehr freuen ist, dass wir in der zweiten Septemberhälfte Nachwuchs erwarten.

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

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