Main-Tauber-Kreis. Handwerks- und Baubetriebe in Baden-Württemberg haben zunehmend Probleme, an Baumaterial wie Stahl, Kunststoff oder Holz zu kommen. Kleinteile und Dämmmaterialien sind ebenfalls betroffen. Die Lage hat sich in den vergangenen Monaten zugespitzt, bestätigen Experten. Die Redaktion hat sich in der Branche umgehört. Ein Igersheimer Paar, das vor drei Wochen ins lang ersehnte Eigenheim eingezogen ist, berichtet ebenfalls von seinen Erfahrungen und gibt Tipps.
Not wächst
Die Not am Bau wächst. Nicht nur die Bauindustrie klagt über fehlendes Material, sondern auch Handwerksbetriebe mit vollen Auftragsbüchern und inzwischen ebenso die Möbelindustrie. Die Lieferengpässe verzögern Baustellen massiv und verteuern viele Projekte
Philipp Oberst (38), kaufmännischer Angestellter in Bad Mergentheim, und seine Frau Daniela (34) – sie arbeitet in einem Architektenbüro – haben sich ihren Traum erfüllt. Am Kirchberg in Igersheim sind sie vor knapp drei Wochen in ihr neu gebautes Einfamilienhaus eingezogen.
Sie kennen sich also aus, mit der schwierigen Bauplatz-Suche in der Region – unsere Redaktion berichtete dieser Tage ausführlich über 1300 Interessenten für Baugrundstücke im Landkreis und den anhaltenden Bau-Boom. Sie wissen zudem, um die Fallstricke bei der Finanzierung und sind selbst knapp am Baumaterialmangel vorbeigeschrammt, während Bekannte und Freunde jedoch von handfesten Problemen berichten.
Wochenlanges Warten
Wochenlang warten Bekannte von ihnen schon auf lange bestellte Türen. Freunde erzählen vom Architektengespräch bei dem Preise mittlerweile von diesem nur noch grob geschätzt werden, weil sich die Kostenangebote für die Baustoffe ständig ändern. Von Preisaufschlägen bis zu 30 (!) Prozent ist hier und da die Rede, schütteln Daniela und Philipp Oberst den Kopf.
Ihr Innenausbau ist auch noch nicht abgeschlossen, aber das nötige Holz liegt schon vor Ort bereit. Ihr Haus steht. Sie sagen aber auch ohne Umschweife: „Wir sind froh, vor der Krise weitgehend fertig geworden zu sein, wenn wir jetzt erst anfangen würden mit dem Bauen, wäre dies für uns definitiv auch ein Problem.“
Immer informiert sein
Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, weiß um die erheblichen Engpässe bei einzelnen Baumaterialien seit Jahresbeginn und bestätigt, dass es teilweise zu „exorbitanten Materialpreissteigerungen“ kommt. Er sagt: „Die Preise für Bitumen aus Erdöl und Betonstahl lagen im Mai 2021 um 64 Prozent beziehungsweise 44 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Der Preis für Bauholz hat sich in den vergangenen Monaten zum Teil verdoppelt. Auch die Preise für Dämmstoffe sind nach oben geschnellt.“
Doch was sind die Gründe? Dazu Möller: „Grund für den unerwartet deutlichen Anstieg der Stahlpreise sind offenbar begrenzte Lieferkapazitäten der Hersteller, nachdem die Produktion 2020 coronabedingt reduziert worden war. Auch die wieder anziehende Nachfrage im Automobilsektor und im Maschinenbau lässt den Stahlpreis steigen. Ursache für die Verteuerung von Bitumen sind hingegen die gestiegenen Preise für das Ausgangsmaterial Erdöl. Bei Bauholz hat der spürbar gewachsene Schnittholzexport in die USA zur Preissteigerung beigetragen. Keine außergewöhnlichen Preiserhöhungen weisen die regionalen Baumaterialien Kies, Sand, Zement und Beton auf.“
Hohes Risiko
Der erhebliche Materialpreisanstieg treibt auch die Baupreise in die Höhe. Allerdings hätten die Bauunternehmen oft nicht die Möglichkeit, kurzfristige Preissteigerungen an die Kunden weiterzugeben. „Damit tragen sie ein hohes Risiko“, so Möller.
„Sicher ist, dass die Preissteigerungen bald auch den Endverbraucher erreichen werden, wenn sich die Kostenspirale bei Baumaterialien so weiter dreht wie in den zurückliegenden Monaten“, ist der Experte überzeugt. Laut einer Verbandsumfrage unter baden-württembergischen Baubetrieben im April kündigen 56 Prozent an, dass sie gezwungen seien, die Preissteigerungen künftig auch an ihre Auftraggeber weiterzugeben.
Sorge bereiten der Branche laut Möller die teils gestörten Lieferwege für Baumaterialien. Zahlreiche Baubetriebe klagen laut Umfrage über zunehmende Lieferschwierigkeiten, wodurch es immer öfter zu Bauverzögerungen kommt. Die Bauwirtschaft fordere Land und Kommunen auf, die regionalen Lieferketten für Baumaterialien sicherzustellen. Dazu gehöre, „dass heimische Bauprodukte wie beispielsweise Holz nicht nur in den Export gehen, sondern auch dem hiesigen Markt in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Zudem müssen lokale Abbaustellen für mineralische Baustoffe wie etwa Steine und Kies erhalten bleiben beziehungsweise ausgeweitet werden. Zusätzlich sollten Recyclingprodukte bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand stärker zum Einsatz kommen“, betont Möller und er fügt noch an: „Gravierend ist, dass die Bauunternehmen bei Materialengpässen oft nicht weiterbauen können. Immer mehr Firmen und ihren Mitarbeitern droht deshalb Kurzarbeit. Dadurch verzögert sich für viele Bauherren auch ihr Bauprojekt. Wir hoffen, dass sich die Lage bis spätestens Ende des Sommers beruhigt, sonst geraten unsere Betriebe in eine ernsthafte Schieflage.“
Kurzarbeit im Handwerk nötig?
Ulrich Bopp, Präsident der Handwerkskammer Heilbronn-Franken, erklärt auf Anfrage der Redaktion: „Die Lieferengpässe sowie die massiven Preiserhöhungen bei Baustoffen und Bauelementen sind derzeit eine Gefahr für die eigentlich gute Geschäftslage im Bauhandwerk. So mancher Handwerksmeister wird seine Mitarbeiter trotz guter Auftragslage in Kurzarbeit schicken müssen, wenn sich daran nichts ändert. Ich hoffe, dass es in den kommenden Monaten wieder zu einer Beruhigung kommen wird und geplante Baumaßnahmen mit einer vernünftigen Preisgestaltung umgesetzt werden können. Sollte dies nicht der Fall sein, dann ist auch im Bau- und Ausbaubereich mit einem stärkeren Rückgang der Bautätigkeiten zu rechnen.“
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