Main-Tauber-Kreis/Heidelberg. Von „Long-Covid“ spricht man, wenn eine akute symptomatische Covid-19-Infektion nach Ablauf von vier Wochen seit Beginn immer noch Beschwerden verursacht. Um „Post-Covid“ handelt es sich bei Beschwerden, die nach zwölf Wochen, also einem Vierteljahr noch vorhanden sind, oder auch wieder auftreten und durch anderweitige Ursachen nicht zu erklären sind.
Johannes Jeschke ist Leitender Arzt für Kardiologie in den Kliniken Vötisch in Bad Mergentheim und als solcher mit den Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung vertraut. Er erklärte unserem Reporter die Begriffe und sagte weiter: „Im Prinzip geht es eigentlich nur um eine unterschiedliche Definition auf der zeitlichen Achse, (fast) jeder ,Post-Covid’-Patient war demnach mal ,Long-Covid’-Patient, wobei davon auszugehen ist, dass nicht nur quantitative Unterschiede zwischen den Gruppen bestehen, sondern auch qualitative. Es liegt auf der Hand, dass die Prognose bei ,Post-Covid’, was die Heilungschancen angeht, deutlich schlechter ist als bei ,Long-Covid’.“
Primär behandeln die Kliniken Vötisch nicht Covid-Patienten, es kommt aber nicht selten vor, dass Patienten aus den drei Hauptindikationen (Orthopädie, Gastroenterologie und Kardiologie) nebenbefundlich noch unter den Folgen einer Corona-Infektion leiden, die bei der Rehabilitation mitberücksichtigt wird.
Johannes Jeschke sagt weiter: „Nach unserer Beobachtung sind die Zahlen eher stabil, wobei die Situation schwer einzuschätzen ist, da gegensätzliche Entwicklungen zu beobachten sind: Das Risiko eines Post-Covid war zu Beginn der Pandemie mit den ursprünglichen Virusvarianten sehr hoch – die statischen Schätzungen liegen bei zehn bis 15 Prozent, teilweise bis 30 Prozent – dafür die Zahl der Infektionen vergleichsweise niedrig, betrachtet man die um ein vielfaches infektiöseren Omikron-Varianten, die zu Beginn 2022 praktisch die ,Herrschaft’ komplett übernommen haben.
Die Infektionen mit Omikron verlaufen bekanntermaßen deutlich milder und haben auch deutlich seltener – etwa fünf bis zehn Mal niedriger – Long- oder Post-Covid zur Folge als die Ursprungsvarianten. Dieser Vorteil kann durch die schiere Zahl der Infektionen wieder aufgehoben sein, wobei als gesichert gelten kann, dass leichte Verläufe der akuten Erkrankung auch ein geringeres Risiko für Long/Post-Covid bedeuten, was wiederum Hoffnung auf absehbar sinkende Zahlen machen könnte.
Leider hat uns das Virus nicht nur einmal eines Besseren belehrt, so dass solche Prognosen mit Vorsicht zu genießen sind.“
Welche Krankheitsbilder finden sich bei Long-Covid beziehungsweise Post-Covid? Noch einmal dazu der Kardiologe: „Mittlerweile werden bereits um die 200 Symptome dem Long/Post-Covid zugeordnet. Die häufigsten und wichtigsten sind Müdigkeit, Erschöpfung und eingeschränkte Belastbarkeit (so genannte Fatigue), Kurzatmigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme (so genannte ,brain fog’), Schlafstörungen, Muskelschwäche und -schmerzen, psychische Probleme, wie zum Beispiel depressive Stimmung und Angstsymptome, sowie Riech- und Schmeckstörungen.
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Ursächlich für diese Symptome sind mindestens drei unterschiedliche Mechanismen: Erstens durch das Virus selbst verursachte Organschäden, zweitens durch unser Immunsystem verursache ,Kollateralschäden’, drittens eine psychosomatische Erkrankung, die sich sekundär aus der virusbedingten Erkrankung entwickelt hat.“
1200 Patienten behandelt
Nur wenige Kliniken in Bad Mergentheim sind mit dem Thema befasst. Trotz der relativ hohen Zahl an Kliniken behandeln nur sehr wenige diese Patientengruppe. In der Klinik ob der Tauber der Deutschen Rentenversicherung verweist man an eine angeschlossene Klinik, die viele Erfahrungen mit Long- und Post-Covid-Erkrankten gesammelt hat. Die Rehaklinik Heidelberg-Königstuhl biete spezielle Reha-Programme für Post- und Long-Covid-Patienten an und wurde mit dem Gütesiegel „Post-Covid-Check“ ausgezeichnet. Seit Beginn der Corona-Pandemie wurden hier ca. 1200 Patienten nach einer Corona-Infektion in verschiedenen Behandlungsstadien behandelt. Oberarzt Dr. Uiker berichtet: „Der Anteil der Patienten mit Long-Covid war naturgemäß am Anfang der Pandemie eher gering und ist in den letzten zwölf Monaten angestiegen. Es verharrt seit einigen Monaten auf relativ hohen Niveau.“
Trotz großer Erfahrung sei die richtige Diagnose nicht einfach: „Es handelt sich um ein komplexes, individuell sehr stark unterschiedlich ausgeprägtes Krankheitsbild, welches von sehr milden Symptomen bis hin zur schwersten Beeinträchtigung des Lebens führen kann. Problematisch ist hierbei insbesondere die schwierige Diagnosestellung, es gibt zum Beispiel keine biochemischen Marker oder einheitliche Diagnose-Algorhythmen um eine sichere Diagnose zu stellen. Wahrscheinlich ist auch, dass es nicht das ,eine’ Long-Covid-Symptom, sondern unterschiedliche Varianten mit möglicherweise auch unterschiedlichsten Behandlungsnotwendigkeiten gibt.“
Die Diagnose „Long-Covid“ sei nicht nur für den betroffenen Menschen gegegebenenfalls ein schwerwiegendes Problem, sondern auch von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung bei lange fortbestehenden Arbeitsunfähigkeitszeiten, Erwerbsminderungsrenten-Ansprüchen und dies bei einer sehr hohen Zahl von Betroffenen, welche in die Hunderttausende gehen könnte, so der Experte. Wie sein Kollege in Bad Mergentheim erlebt er oft ähnliche Krankheitsbilder: „Regelhaft finden sich Symptome wie eine ausgeprägte Fatique, ein Erschöpfungssyndrom bei kleinster körperlicher Belastung, eine inadäquate Belastungs-Luftnot, generell eine Belastungs-Intoleranz, neurologische Probleme wie Wortfindungsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen, Konzentrationsstörungen, Störung des Kurzzeit-Gedächtnisses, ferner auch eine Aggravierung (Verschlimmerung) von psychiatrischen Problemen, wie zum Beispiel einer Depression.“
Aufgrund seiner Erfahrung teilt Dr. Uiker zu den Prognosen nach vollständiger Genesung mit: „In einer nur dreiwöchigen Rehamaßnahme verbessern sich viele subjektive Parameter beziehungsweise Einschränkungen der Leistungsfähigkeit leichtgradig. Bei einem kleineren Teil der Patienten wird jedoch nach einem oder 1,5 Jahren nach der Corona-Infektion und Reha nur ein äußerst geringes oder kein Verbesserungspotenzial mehr wahrgenommen.“ Aufgrund des neuen Krankheitsbildes seien Langzeitbeobachtungen natürlich nicht vorhanden, „realistischer Weise ist bei den allermeisten Patienten mit einer möglicherweise langsamen, aber dennoch stattfindenden Besserung und Ausheilung der Problematik zu rechnen“.
Bei einem prozentual geringen Anteil der Patienten seien jedoch langwierige, jahrelange Verläufe wahrscheinlich möglich. Diese stellten, wie bereits erwähnt, aufgrund der zahlenmäßig doch erheblichen Anzahl von betroffenen Menschen eine persönliche aber auch eine gesellschaftliche Herausforderung dar.
Die medizinische Forschung bemühe sich das Krankheitsbild „Covid“ und seinen Verlauf umfassend aufzuklären, wie der kürzlich stattgefundene Kongress zu „Long-Covid“ in Jena dokumentiere. „Es werden dann zukünftig wohl Untergruppen von Long-Covid charakterisiert werden können, denen hoffentlich eine spezifischere Therapie angeboten werden kann“, wagt Dr. Uiker einen Blick in die Zukunft.
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