Ahrweiler. Die Einsatzzentrale der selbst ernannten Querdenker liegt in einer verdreckten Grundschule. Im Foyer liegen Umzugskartons auf einem Haufen, gefüllt mit Windeln, Toilettenpapier, Damenbinden. Handgeschriebene Schilder verweisen auf eine „Notfallambulanz“ im ersten Stock. Dort, vor dem Klassenraum der 4b der Aloisius-Schule in Bad Neuenahr-Ahrweiler, wartet ein Mann mit einem blutigen Verband am Knie darauf, dass er hineingelassen wird in den Behandlungsraum. Es riecht nach Desinfektionsmittel.
Video im Netz
Die improvisierte Krankenstation ist ein Vorzeigeprojekt der Szene im vom Hochwasser verwüsteten Katastrophengebiet. Menschen aus dem Ort können hier Wunden versorgen lassen, die sie sich bei den Aufräumarbeiten zugezogen haben. „Gestern haben wir 60 Patienten gehabt“, sagt ein Mann Anfang 50 aus Alzey, anderthalb Autostunden von Bad Neuenahr-Ahrweiler entfernt. Er trägt ein blaues Hemd, das ihn wie einen Krankenpfleger wirken lässt. Der Eindruck täuscht: Er sei „zertifizierter Datenschützer“, veranstaltet Reanimationskurse und hat mal Medizin studiert, jedoch abgebrochen.
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Mehr als eine Woche ist es her, dass Wassermassen im Westen Deutschlands Straßen, Brücken und Menschen weggerissen haben. Tausende Helfer sind vor Ort, Feuerwehrleute, Soldaten, Ehrenamtliche vom Technischen Hilfswerk und dem Roten Kreuz. Doch sowohl die etablierten Hilfsvereine als auch die Sicherheitsbehörden sind alarmiert: extreme Rechte, sogenannte Querdenker und Verschwörungsideologen sind in die Krisenregion gereist, teilweise mit gemieteten Bussen.
Teile der Bewegung werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Schon bei der Corona-Pandemie funktionierte laut Sicherheitsbehörden die Methode der Extremisten: Ängste und Wut unter den Menschen werden vereinnahmt, Corona wird geleugnet, Impfkampagnen mit Verschwörungsideologien torpediert, es gehe um „Völkermord“. Auch antisemitische Propaganda und Reichsbürger-Ideologie findet sich in der Szene.
Nun bringt die Hochwasser-Katastrophe wieder Angst, Wut und Unsicherheit in den Westen Deutschlands. Die Querdenken-Szene, so warnen Sicherheitsexperten, könnte in der Katastrophe neuen Aufwind wittern. Einer der führenden Köpfe, Bodo Schiffmann, ruft im Netz zu Spenden auf. Offenbar sammelte er in wenigen Tagen bereits mehrere Hunderttausend Euro.
Schon am Dienstag twittert die Polizei in Koblenz, dass sie Kenntnis von Rechtsextremisten habe, die sich als „Kümmerer vor Ort“ ausgeben würden. „Zahlreiche Polizisten“ seien im Einsatz. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (CDU), sagte dieser Redaktion: Die Flutkatastrophe zeige, „dass staatliche Stellen wie die Polizei, aber auch Hilfsorganisationen künftig sehr viel schneller auf Falschmeldungen und Desinformation in Ausnahmelagen reagieren müssen“.
Rechter Blogger mit dabei
Im Netz kursiert ein Video mit einem Bus, der auf den ersten Blick aussieht wie ein Polizeiwagen, blau und silbern gestreift. Erst auf dem zweiten Blick ist die Beschriftung zu erkennen: „Peace“ und „Friedensfahrzeug“ steht dort. Der Wagen rollt durch die zertrümmerte Gegend. Laut Polizei verbreiten Lautsprecherdurchsagen, dass Polizei und Rettungskräfte sich zurückziehen würden. Eine gezielte Falschmeldung.
Innenstaatssekretär Krings hebt hervor: „In einem Katastrophenfall sind gezielte Falschmeldungen besonders gefährlich, deshalb müssen wir ihnen auf professionelle Weise schnell mit gesicherten Fakten entgegentreten. Da reicht eben keine Pressemitteilung, sondern da muss in Echtzeit in den sozialen Netzwerken reagiert werden.“ Denn vor allem dort, etwa dem Messengerdienst Telegram, aber auch auf Youtube und eigenen Webseiten verbreiten Anhänger der Szene Videos von ihrem „Einsatz“ im Krisengebiet. Ein Verein inszeniert ein „Kinderzentrum“, setzt „Seelsorger“ ein. Es ist ein Verein, der in der Corona-Pandemie lautstark gegen das Impfen agitiert. Auch bekannte extreme Rechte sind offenbar im Hochwassergebiet unterwegs. Unter ihnen der rechte Videoblogger Nikolai N., der die Existenz von Corona leugnet. Und die des Holocaust.
Blogger N. tauchte immer wieder im Umfeld von Querdenken-Demonstrationen auf. Nun dreht er für seine Tausenden Anhänger Videos aus den überschwemmten Gebieten. Tenor: Der Staat habe die Lage nicht im Griff. Nebenbei wettert N. gegen die mobilen Corona-Impfungen in den Flutgebieten.
Wie viele Querdenker und Rechtsextremisten vor Ort sind, ist schwer zu ermitteln. Polizeibehörden lassen Anfragen dieser Redaktion unbeantwortet. Die Behörden vor Ort haben allerdings reagiert. Das Landesamt für Soziales hat das „Familienzentrum“ in der Schule in Ahrweiler verboten. „Zur Vermeidung einer im Raum stehenden Kindeswohlgefährdung“ sei das „Angebot durch den Verein ab sofort zu unterbinden“, heißt es. Die Behörde kritisiert die „schlechten Bedingungen“, unter denen die Kinder betreut würden: kein Strom, kein Wasser, Schlamm auf den Fluren.
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