Herr Professor Scholz, haben Sie bei Ihrem Besuch in Mannheim die künftige Charité am Neckar gesehen? Immerhin hätte Mannheim-Heidelberg dann ja mehr Betten als Berlin.
Jens Scholz: Ob es so kommt, liegt ja nicht an mir, sondern an den Entscheidern. . . Aber es gibt gute Beispiele für gelungene Fusionen. In Berlin zum Beispiel haben sich drei Standorte zur Charité zusammengeschlossen, bei uns in Schleswig-Holstein waren es die beiden Standorte Kiel und Lübeck. Auch die Situation in Mannheim und Heidelberg bietet sich für eine Fusion an. Denn im Moment gibt es bei Ihnen zwei medizinische Fakultäten, zwei Standorte, aber nur eine Universität.
Warum sollte man das ändern?
Scholz: Das kann ich Ihnen sagen. Wir konnten mit der Fusion in Schleswig-Holstein wahnsinnig viel Geld heben und uns dadurch stärken. Einer allein ist nun mal nicht so leistungsfähig wie mehrere zusammen. Man kann nicht für zwei Standorte die weltbesten Geräte kaufen. Wenn diese sich aber bündeln, dann geht das schon. Was allerdings wichtig ist: Man muss die Synergien auch heben, also: nur noch eine Verwaltung haben, einen Einkauf, eine Apotheke, ein IT-Zentrum.
Das heißt, in der Medizin gilt weniger und größer ist gleich besser?
Scholz: Nicht immer.
Wann nicht?
Scholz: Wir dürfen den persönlichen Kontakt nicht reduzieren. Mein Anliegen ist: Jedes klinische Fach muss es an jedem Standort geben – die Patientinnen und Patienten wollen verständlicherweise die behandelnden Ärztinnen oder Ärzte sehen. Aber wenn die Laborprobe an einen anderen Standort geschickt wird, ist das egal.
Experte für Fusionen
- Jens Scholz ist Erster Vorsitzender des Verbands der Universitätskliniken Deutschlands und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein mit den Standorten Lübeck und Kiel.
- Jens Scholz hat zwei Brüder – der älteste von ihnen ist Bundeskanzler Olaf Scholz.
- In Baden-Württemberg gibt es vier vom Land finanzierte Universitätsklinika in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm. Beim Mannheimer Uniklinikum trägt die Stadt die Krankenversorgung, das Land Lehre und Forschung.
In der baden-württembergischen Landesregierung gibt es sehr deutliche Vorbehalte gegen eine Fusion von Mannheim und Heidelberg. Stattdessen deutet alles auf einen Verbund hin. Was sagen Sie dazu?
Scholz: Wenn man die Strukturen so lässt, wie sie sind, und ein bisschen auf Kooperation und nette Gespräche setzt, dann ändert das leider nichts.
Auch Forschungsinstitute wie das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg machen sich für die Fusion stark.
Scholz: Im Grunde ist das eine Steilvorlage für die Politik, ein Glücksfall. Beide Vorstände, beide Dekane, alle sagen, sie wollen die Fusion zu einer Fakultät und einem Klinikum. Im Grunde muss die Landespolitik den Elfmeter nur noch versenken. Das wäre jedenfalls meine Empfehlung.
Dann wäre da noch das Geld. Im Moment scheint das Klinikum ein Fass ohne Boden zu sein.
Scholz: Richtig, es ist kein Geld da. Deswegen glaube ich auch, es sind finanzielle Argumente und keine Sachargumente, die gegen die Fusion sprechen. Das Problem ist, dass Heidelberg komplett vom Land bezahlt wird, während Mannheim teilweise Mittel der Stadt erhält. Da bräuchte man die kraftvolle Entscheidung des Landes zu sagen: Dann wird Mannheim zu 100 Prozent Universitätsstandort und wird genauso gefördert wie die anderen.
Bleiben wir beim Thema Geld. In Nordrhein-Westfalen streiken die Beschäftigten der Unikliniken seit fast drei Monaten. Pflegern und Pflegerinnen geht es vor allem um bessere Arbeitsbedingungen.
Scholz: Wir haben dort an sechs Universitätskliniken Streik – da sind 2000 Betten vom Netz. Das ist schon eine schwierige Situation. Denn neben den berechtigten Schilderungen von Pflegerinnen und Pflegern gibt es auch Schilderungen von Patientinnen und Patienten, die einfach nicht behandelt werden. Da gibt es Krebskranke, die auf einer Warteliste stehen und nicht therapiert werden. Das sind dramatische Zustände.
Aber wie kann es sein, dass es noch immer keine Einigung gibt?
Scholz: Alle sagen inzwischen: Für die Pflege muss etwas getan werden. Und wir sind auch alle der Meinung, dass wir mehr Pflegekräfte brauchen. Doch die gibt es zurzeit nicht auf dem Arbeitsmarkt, sie sind einfach nicht verfügbar. Aber deswegen kann man doch nicht Patientinnen und Patienten ablehnen.
Das heißt, die Kliniken sollen dauerhaft mit zu wenig Pflegekräften arbeiten?
Scholz: Nein. Denn im Vergleich der europäischen Ländern liegt Deutschland an der Spitze, was die Zahl der Pflegekräfte angeht. Sie sind aber an den falschen Orten tätig.
Wie meinen Sie das?
Scholz: Wir haben einfach zu viele Krankenhäuser in Deutschland. Bei uns gibt es 2000 Krankenhäuser, in Schleswig-Holstein sind es 92. Hätten wir das dänische System, wären es nur acht. Wahrscheinlich ist acht nicht die richtige Antwort, aber 92 ist es auch nicht.
Aber dann werden sehr viele Menschen im Notfall nicht mehr innerhalb kürzester Zeit ein Krankenhaus erreichen können. Das können Sie doch nicht wollen?
Scholz: Das Ziel ist ja immer, innerhalb von 30 Minuten ein Krankenhaus zu erreichen. Das erreichen Sie auch mit 1400 Krankenhäusern – von kleinen Lücken einmal abgesehen. Aber die Wahrheit ist: Die Lücke ist bei 2000 die gleiche. Wenn Sie auf einer Hallig oder in einem abgelegenen bayerischen Bergdorf wohnen, dann wissen Sie das.
Sie behaupten, 600 Krankenhäuser weniger verschlechtern die Versorgung nicht?
Scholz: Es gibt ein Gutachten der Leopoldina, die das untersucht hat. Demnach ist die Notfallversorgung dann nicht schlechter. Und schauen Sie mal. Wenn Sie einen Kreißsaal haben wie wir in Eckernförde, der hatte nur 250 Geburten im Jahr. Da müssen Sie Hebammen im Drei-Schicht-Betrieb einplanen, außerdem Gynäkologen, obwohl es nicht mal täglich eine Geburt gibt. Das meine ich mit Fehlverteilung. Das Personal wird an anderen Orten dringender gebraucht. Der richtige Weg heißt deshalb: Wir machen eine Krankenhausreform.
Damit beenden Sie aber nicht den aktuellen Arbeitskampf in Nordrhein-Westfalen.
Scholz: Ein bedingungsloser Streik auf dem Rücken der Bevölkerung ist natürlich eine schwierige Sache. Alle sechs Uniklinik-Vorstände in NRW wollen ja eine Lösung – und es wird sie geben. Momentan wollen aber beide Seiten noch Recht behalten. Ich glaube, dass die Sommerferien ein guter Zeitpunkt sind, aufeinander zuzugehen. Allerdings muss man wissen: Verdi ist immer da, wo Wahl ist. Meine Prognose lautet: Als nächstes werden Hannover und Göttingen bestreikt.
Muss man die Pläne der Bundesregierung so deuten, dass kleine Krankenhäuser finanziell ausbluten sollen?
Scholz: Was so dramatisch klingt, ist es oft nicht. Noch mal zum Beispiel aus meiner Region: In Eckernförde wurde die Geburtshilfe schließlich geschlossen, weil die Einnahmen nicht stimmten. 90 Prozent der Hebammen sind zu uns an die Universitätsklinik nach Kiel gewechselt. Das ist keine Verschlechterung, im Gegenteil: Die Versorgung, auch durch Kinderärzte, ist besser.
Der Weg wird weiter zur Entbindung...
Scholz: Der Weg ist weiter. Aber mit Blick auf die Qualität ist das kein echter Nachteil. Grundsätzlich laufen wir in einen Fachkräftemangel, die Babyboomer gehen in Rente. Es drohen ungeplant Klinik-Standorte geschlossen zu werden, weil schlicht zu wenig Personal vorhanden ist. Dann ist mir eine geplante Strukturveränderung innerhalb von Regionen lieber, bei der sogenannte Medizinische Versorgungszentren – die MVZ – einen entscheidenden Teil der Behandlungen einnehmen. Nur für die Operationen muss man dann ein paar Kilometer mehr fahren. Wir brauchen eine Krankenhausreform, damit wir das vorhandene Fachpersonal richtig einsetzen können. Wir brauchen keine 2000 Kliniken.
Sind die Kliniken gewappnet für den Corona-Herbst?
Scholz: Schwierige Frage. Es gibt einen Expertenrat der Bundesregierung, der drei Szenarien geprüft hat – eines davon wird eintreten. Mir ist klar: Wir müssen weg von der Corona-Hysterie. Wir haben momentan viele Fälle, aber die schweren Krankheitsverläufe sind minimal, weil wir viel geimpft haben. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Impfquote von bislang 77,8 Prozent weiter steigern. Dabei ist mit Blick auf weitere Mutationen sekundär, ob der aktuelle oder der modifizierte Impfstoff zum Einsatz kommt. Wir müssen akzeptieren, dass wir krank werden können. Aber wir müssen endlich aufhören mit diesem wilden, massenhaften Testen.
Warum?
Scholz: Wenn Sie die Grippe haben, gehen Sie dann zum Hausarzt und lassen sich auf Grippe testen? Das macht keiner. So müssen wir auch mit Corona umgehen. Wer sich nach einer Corona-Infektion wieder gesund fühlt, sollte sich auch nicht mehr freitesten, sondern könnte einfach noch ein paar Tage eine FFP2-Maske tragen. Die Ärzte sollten künftig festlegen, wer getestet werden muss.
Was wohl Herr Lauterbach zu dieser Haltung denkt...
Scholz: Wir haben mit Herrn Lauterbach erstmals einen Gesundheitsminister, der sehr belesen ist. Er ist in der Lage, einen englischen Fachartikel zu verstehen. Er ist ein gut ausgebildeter Professor und bringt eine hohe Fachexpertise mit. Aber anders als ein Wissenschaftler muss er als Minister auch gute politische Entscheidungen treffen können. Ich nehme ihm ab, dass er die Bevölkerung schützen will, ohne dass wir wieder über Lockdowns reden.
Lauterbach hat auch die Anhebung um 0,3 Prozent beim Krankenkassen-Zusatzbeitrag verkündet – und das in einer Zeit dramatischer Wohlstandsverluste.
Scholz: Jede Strom-, Gas-, Tank- und Lebensmittelrechnung steigt. Es gibt keinen Lebensbereich, der nicht teurer wird. Der Marburger Bund fordert für die Ärzte an den Universitätsklinika 8,9 Prozent mehr Gehalt. Diese Steigerung wird so nicht kommen. Aber irgendwer muss Gehälter und teurere medizinische Produkte bezahlen. Offenbar gibt es im Bundestag keine Bereitschaft, all das mit Steuergeld zu finanzieren. Also bleibt der Kassenbeitrag.
Sie sind der Bruder von Bundeskanzler Olaf Scholz. Finden Sie trotz Ihrer Jobs noch Zeit, miteinander zu sprechen?
Scholz: Mein Bruder und ich reden miteinander – aber wir haben die Verabredung, dass wir in der Öffentlichkeit nicht übereinander reden. Aber um sie zu beruhigen: Wir sind im guten Austausch miteinander. Gerade heute haben wir telefoniert.
Worum ging‘s?
Scholz: (lacht) Tut mir leid. Er macht seinen Job, ich mache meinen Job.
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