Einstimmiger Beschluss des Gemeinderates - Der Name des ehemaligen KZ-Arztes Dr. Eduard Wirths wird in Kürze vom Kriegerdenkmal in Geroldshausen entfernt

Respekt und Anerkennung für Entscheidung

Der Name des KZ-Arztes Dr. Eduard Wirths wird vom Kriegerdenkmal in Geroldshausen entfernt. Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, und Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Auschwitz Komitees begrüßen dies.

Von 
Renate Henneberger
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Bürgermeister Gunther Ehrhardt (Zweiter von links) bespricht sich mit den Gemeinderäten Rainer Künzig, Dr. Petra Steinbach und Doris Krämer (von links) über das weitere Vorgehen. © Renate Henneberger

Geroldshausen. „Dr. Ed. Wirths † 20.09.45“ steht in heimischen Muschelkalk eingemeißelt zu lesen. Wie sich der Name eines NS-Verbrechers scheinbar harmlos und selbstverständlich unter die Namen von 25 gefallenen Soldaten einreihen konnte, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Auskunft könnten die Protokollbücher des Gemeinderats von Geroldshausen (Landkreis Würzburg) aus den Jahren 1951/52 geben. Doch dort findet sich lediglich der Hinweis, dass die Steinwerke Wirths mit der Erweiterung des Kriegerdenkmals um die Namen der Gefallenen und Vermissten des Zweiten Weltkriegs beauftragt wurden. Dass der Name Dr. Eduard Wirths eine gewaltige Menge Sprengstoff birgt, musste die Gemeinde in den vergangenen Wochen erfahren. „Anfang März ist über unseren Ort ein Sturm hinweggefegt“, berichtet Bürgermeister Gunther Ehrhardt.

Lawine ins Rollen gebracht

Bei der Themensuche zu seinem Geschichtsmagazin „Zeitreise“ stieß der MDR auf den Namen von Dr. Eduard Wirths, der 1937 als Assistenzarzt an der Universitätsklinik Jena beschäftigt war. Die Recherchen führten nach Geroldshausen, der Heimatgemeinde Wirths’. Die Sendung „Denkmal für einen SS-Arzt“ mit Interview des Bürgermeisters Gunther Ehrhardt vor laufender Kamera brachte eine Lawine von Berichten und Kommentaren der Presse in ganz Deutschland ins Rollen. Am 9. März stand das Thema ganz oben auf der Tagesordnung des Gemeinderats.

„Natürlich kennen wir die Geschichte von Dr. Eduard Wirths“, erklären drei Gemeinderäte und der Bürgermeister von Geroldshausen im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten. „Dass sich dieser Name auf unserem Kriegerdenkmal befindet, das war uns bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst“, versichern Doris Krämer und Rainer Künzig aus Geroldshausen sowie Dr. Petra Steinbach aus dem Ortsteil Moos. Eindeutig und klar habe bereits an diesem Abend der Gemeinderat Stellung bezogen: „Wir waren uns alle einig, dass dieser Name dort nichts zu suchen hat“, erklärt Dr. Petra Steinbach.

„Die Tatsache, dass der Name eines Massenmörders, der sich feige durch Selbstmord seiner Verantwortung entzogen hat, seit Jahrzehnten unbeachtet auf unserem Kriegerdenkmal steht, hat uns alle betroffen gemacht“, versichert der Bürgermeister.

„Auf die weitere Vorgehensweise wollten wir uns in dieser Sitzung nicht endgültig festlegen“, berichtet Rainer Künzig. „Wir brauchten etwas Zeit, um diese Nachricht zu verarbeiten. Wir wollten die richtige Entscheidung treffen und keinen ‚Schnellschuss’ machen.“

Zum Vorwurf gemacht

Diese Besonnenheit wurde dem Gemeinderat von der Presse teilweise zum Vorwurf gemacht. Es wurde ihm der Wille und die Konsequenz zum Aufarbeiten abgesprochen und gemutmaßt, man wolle in Geroldshausen das Problem nicht lösen, sondern aussitzen.

Zu Unrecht fühle sich die Gemeinde an den Pranger gestellt, erklären die Gemeinderäte. Vom „Verneigen vor einem Massenmörder“ über „Nazi-Schande auf Denkmal“ bis hin zu „Dem Gemeinderat fehlt in Sachen Dr. Wirths die Konsequenz“ hätten die Schlagzeilen gereicht, die teilweise jedes Maß an Respekt, Anstand und Sachlichkeit hätten vermissen lassen.

Fassungslos äußerte sich auch Familie Wirths: „Als Nachkommen von Dr. Eduard Wirths trifft uns die öffentliche Diskussion persönlich. Die Familie Wirths hat nichts vertuscht, sondern alles ihr Mögliche zur Aufklärung der historischen Tatsachen beigetragen. Die Art und Weise des Umgangs mit lebenden und mittlerweile verstorbenen Familienmitgliedern bis hin zur öffentlichen Bloßstellung können wir nicht nachvollziehen“, heißt es unter anderem in einem Schreiben an den Bürgermeister.

Keine Alternative

„Auschwitz Komitee fordert Namensentfernung“, berichtete der Bayerische Rundfunk in seinem BR24-Newsletter. „Wir haben uns an das Komitee gewandt, nicht umgekehrt“, stellt Gunther Ehrhardt klar. Sachlich, ohne Vorurteile habe sich Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK), der Angelegenheit angenommen. Er stehe der Gemeinde beratend zur Seite. Von Anfang an habe er keinen Zweifel daran gelassen, dass er keine Alternative zur Entfernung des Namens von Dr. Eduard Wirths sehe.

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Steinmetz steht bereit

In gleicher Weise habe sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, geäußert. „Als wir am 13. April einstimmig beschlossen, den Namen vom Kriegerdenkmal entfernen zu lassen, nahmen beide diese Entscheidung mit Respekt und Anerkennung für unsere Gemeinde zur Kenntnis.“ Weiter lässt der Bürgermeister wissen: „Sobald das Landesamt für Denkmalpflege seine Genehmigung erteilt, wird ein Steinmetz die Arbeit fachmännisch vornehmen. Bis dahin informiert ein Hinweis am Kriegerdenkmal über den Sachverhalt.“

„Wir gehen in Geroldshausen offen miteinander um“, versichert Gunther Ehrhardt. „Ich habe zahlreiche Gespräche geführt und die Gemeinde miteinbezogen.“ Von vielen Seiten habe er Zustimmung für die Entscheidung des Gemeinderats erfahren. „Es ist gut, dass die Gemeinde diese Entscheidung mitträgt.“ Dr. Petra Steinbach bestätigt: „Diese Sache hat die Gemeinde nicht gespalten, sondern näher zusammengebracht.“

Der Bürgermeister versucht Licht ins Dunkel zu bringen: „Natürlich habe ich vor allem bei älteren Bürgern nachgefragt, ob sie etwas von der Inschrift auf dem Kriegerdenkmal wüssten. Die Reaktionen waren ungläubiges Staunen und ratloses Kopfschütteln.“

Gunther Ehrhardt sucht nach einer Erklärung: „Es ist wohl die Zeit, die darüber hinweggegangen ist.“ In nahezu allen Ortschaften fände man ein Kriegerdenkmal. Fast täglich liefen die Menschen daran vorbei. „Aber Hand aufs Herz“, fragt der Bürgermeister, „wer kann schon von sich sagen, dass er die Inschriften kennt, dass er die Namen bewusst gelesen hat?“ Hinzu komme, dass nur noch wenige Zeitzeugen am Leben seien. Den nachfolgenden Generationen fehle zunehmend der Bezug.

Erinnerung hat kein Verfallsdatum

„Keine gute Entwicklung“, findet Rainer Künzig. „Kriegerdenkmäler gewinnen gerade in unserer Zeit an Bedeutung.“ Nach heutigem Verständnis seien sie keine Stätten der Verherrlichung von Krieg und fragwürdigem Heldentum, sondern vielmehr Orte des Erinnerns und Mahnens. „Denn unsicher und brüchig ist unser Friede geworden, beunruhigende nationalsozialistische Tendenzen gefährden unsere Freiheit.“ Man müsse alles dafür tun, dass die Vergangenheit lebendig bliebe, dass sich Unrecht nicht wiederhole.

„Die Erinnerung ist wie Wasser: Sie ist lebensnotwendig und sucht sich ihren eigenen Weg in neue Räume und zu anderen Menschen. Sie hat kein Verfallsdatum, und sie ist nicht per Beschluss für bearbeitet oder für beendet zu erklären“ – weise Worte von Noach Flug, dem ehemaligen Präsidenten des IAK und Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz.

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