Dertingen.
Wie in jeder Gemeinschaft gibt es auch in der Evangelischen Kirche unterschiedliche Ansichten über die Art und Weise, wie die eigenen Ziele erreicht werden können. Ländliche Regionen haben naturgemäß teils andere Vorstellungen als jene in urbanen Gebieten. Konservative Kräfte setzten auf das Althergebrachte, progressivere Strömungen gehen neue Wege. Das erzeugt mitunter Konflikte, wie sie sich aktuell einmal mehr am Verhältnis zwischen der Dertinger Kirchengemeinde und dem Wertheimer Dekanat sowie der Badischen Landeskirche zeigen.
In Dertingen ist man offenbar abermals unzufrieden mit den übergeordneten Institutionen, wie ein Bericht über die Gemeindeversammlung zeigt, der den Fränkischen Nachrichten von Kirchendiener Steffen Baumann zugesandt und dann auch veröffentlicht wurde. Wolfgang Stein, Vorsitzende des Kirchengemeinderats und früherer Bürgermeister der Stadt, fährt darin schwere Geschütze auf.
Stein beklagte bei der Versammlung, man werde den spirituellen Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht, „indem man Cocktail-Nächte mit Diskobeleuchtung, Wasser- und Fesselspiele in der Stiftskirche abhält oder mit politischen Demonstrationen die Präsenz der Kirche zeigt“. Er wünsche sich eine „Rückbesinnung auf das Kerngeschäft“.
Die Aussage Steins bezieht sich einerseits auf die „Lange Nacht“ in der Stiftskirche, anderseits auf die Verabschiedungsfeier für den Bezirkskantor Carsten Wiedemann-Hohl. Bei diesem Anlass wurde der Kirchenmusiker symbolisch an die Kanzel gefesselt, weil man ihn ungern ziehen ließ, wie die FN im Juli berichteten. Dass Wolfgang Stein bei seiner Kritik einen Begriff aus der sadomasochistischen Sexualpraktik gebrauchte, möchte Dekanin Wibke Klomp nicht kommentieren. „Ich halte den Ball flach, lasse mich nicht darauf ein“, sagt sie im FN-Gespräch.
Neue Formate für „Gottesdienste mit Profil“
Der von Wolfgang Stein geäußerte Kritik an politischen Demonstrationen wie der Aktion gegen das rechtsradikale „Volksfest“ im Mai entgegnet die Dekanin, dass die Wertheimer Stadtgesellschaft traditionell aktiv auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert hat. Schon bei der Reformation sei man von Anfang an dabei gewesen. Die Stadt habe sehr viel Wert auf Bildung gelegt. „Wir sehen uns besonders in der Innenstadt in dieser Tradition.“
Mit neuen Formaten möchte man „Gottesdienste mit Profil“ entwickeln, so Wibke Klomp, die als zusätzliches Beispiel die gut besuchten Familiengottesdienste auf dem Wartberg anführt.
Andererseits hätten auch traditionelle Formen weiterhin ihren Platz. „Im Kirchenbezirk greift niemand in das kirchliche Leben vor Ort ein.“ Die Gemeinden könnten „ihr eigenes Ding machen“.
Klar sei allerdings, dass wegen der sinkenden Mitgliederzahlen und der damit einhergehenden schwindenden Einnahmen strukturelle Veränderungen notwendig seien. „Im Rahmen dessen versuchen wir, das bestmögliche für unsere Grundstruktur herauszuholen“, erklärt Wibke Klomp.
Als besonders frustrierend empfindet die Dertinger Gemeinde die Vakanz der Pfarrstelle seit dem Weggang von Bernhard Ziegler, der jüngst nach 18 Jahren das Dorf verlassen hat, um eine Stelle als Militärseelsorger anzutreten. Wolfgang Stein bezweifelte, ob man wirklich alles versucht habe, den beliebten Pfarrer zu halten. In der Neuausschreibung der Stelle sei das Aufgabengebiet um Tätigkeiten im Kooperationsraum und Schulstunden erweitert worden. Die Pfarrstelle sei im Vergleich zu anderen mit Aufgaben überfrachtet und deswegen für potenzielle Bewerber weniger attraktiv.
Wibke Klomp entgegnet, dass die Position nicht wie vorher das Deputat für das Krankenhaus enthält. „Wir werden die Stelle wieder besetzen“, versichert die Dekanin. Die Mitarbeit im Kooperationsraum sei bei allen Kolleginnen und Kollegen enthalten. Das werde von diesen auch begrüßt, weil so alle ihre individuellen Stärken einbringen können.
„Dertinger Gemeinde gut aufgestellt“
Klomp verweist zudem auf den üblichen Stellenschlüssel, nach dem eine Pfarrstelle pro 1800 Gemeindemitgliedern vorgesehen ist. Im Wertheimer Bezirk stelle man eine Position pro 1600 Mitglieder zur Verfügung. Man müsse wegen der schwindenden Finanzmittel „mit dem umgehen, was wir haben, um die Kirche für die kommende Generation gut aufzustellen“, sagt die Dekanin. Dertingen habe dafür die „allerbesten Voraussetzungen“. Die Dertinger Gemeinde sei zudem gut aufgestellt, weil die örtliche Wehrkirche im Rahmen des Strategieprozesses von der Landeskirche „auf grün gesetzt“ worden ist. Man könne also weiterhin mit Mitteln aus Karlsruhe für den Erhalt des Gebäudes rechnen. Wibke Klomp verweist auch auf die im Sommer in Betrieb genommene neue Orgel.
Generell gebe es, wie in vielen anderen Bereichen auch, in der Evangelischen Kirche einen Fachkräftemangel. Die Gemeinden konkurrierten untereinander um die Pfarrer, die sich im Gegensatz zu früher ihren Arbeitsort aussuchen könnten. Der Wertheimer Bezirk sei wegen der tollen Landschaft, den Angeboten für Familien und den relativ günstigen Mieten allerdings durchaus attraktiv.
Die Dekanin korrigiert die Aussage Steins, der Dertinger Kirchengemeinderat und die Kirchendiener hätten eine Ausbildung zu Lektoren absolviert, um Gottesdienste selbst feiern zu können. Es sei lediglich eine Schulung gewesen. Kursleiter Professor Mautner habe dies den Teilnehmern deutlich gemacht.
Den Vorwurf aus Dertingen, die Wertheimer Vertreter in der Synode würden die Interessen des Bezirks gegenüber der Landeskirche nicht ausreichend kommunizieren, hält Wibke Klomp für abwegig. Die beiden Landessynodalen Helmut Wießner und Cornelia Wetterich leisteten hervorragende Arbeit in verantwortlichen Positionen. „Sie vertreten uns mit aller Kraft und großem Engagement.“ Es seien zudem Vertreter der Landeskirche in Dertingen gewesen, „um die Dinge zu erklären“.
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