Theaterabend

Weltenbrand in Wertheim

„Gewölbegaukler“ des Kleinkunstvereins Convenartis überzeugt mit Michael Endes Stück „Die Spielverderber“

Von 
Jens-Eberhard Jahn
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Beeindruckend ist die Aufführung des Stücks „Die Spielverderber“ von Michael Ende durch die „Gewölbegaukler“ des Wertheimer Kleinkunstvereins Convenartis, die am Samstag Premiere feierten. Am Ende der Handlung wird klar: Es gibt keinen Ausweg mehr. Die Spielverderber haben sich verzockt. © Jens-Eberhard Jahn

Wertheim. Die Laientheater-Gruppe „Gewölbegaukler“ des Wertheimer Kunstvereins Convenartis feierte am Samstag Premiere mit Michael Endes Stück „Die Spielverderber“.

Generationen von Leserinnen und Leser kennen Jim Knopf, Momo und die „Unendliche Geschichte“. Der Kinderbuchautor und Philosoph Michael Ende, geboren 1929 in Bayern, gestorben 1995 in Baden-Württemberg, war seit seiner Jugend fasziniert von magischen Weltbildern. Philosophie, Religion und die esoterische Anthroposophie Rudolf Steiners waren für ihn ein Steinbruch, aus dessen Geröll er Literatur formte.

In seinem Theaterstück „Die Spielverderber oder das Erbe der Narren“ verschmelzen Wahres und Falsches. Wahr ist die Welt, wenn das Urvertrauen der frühen Kindheit einem kritischen Blick Platz gemacht hat. Falsch ist die Welt, wenn allgegenwärtiges Misstrauen und allmächtige Missgunst Probleme schaffen.

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„Alle Probleme der Welt gelöst in einem Glas Wasser“, ruft der Diener des Hauses, in das zwölf Menschen wegen einer Testamentseröffnung eingeladen sind. Sie kennen den Erblasser nicht. Und je näher der fünfte Akt des Stücks rückt, desto mehr stellt sich die Frage, ob er überhaupt existiert.

Die Erben kennen auch einander nicht und könnten unterschiedlicher kaum sein: Eine zunächst idealistische Lehrerin, ein devotes Dienstmädchen, ein komischer Kleinkrimineller und – noch schlimmer – ein berechnender Versicherungsmakler. Dieser heißt Geryon, ebenso wie die Allegorie des Betrugs in Dantes „Göttlicher Komödie“. Und ebenso wie die Insassen von Dantes Hölle sind auch die Spielverderber ein Spiegel der Gesellschaft.

Alle Erben erhalten nur einen Teil des Testaments, der aber ohne die anderen Teile völlig wertlos ist. Die schlichte Hausangestellte weiß sofort, was zu tun ist: „Worauf warten wir eigentlich? Legen wir’s halt zusammen, oder?“ Doch niemand reagiert. Stattdessen versuchen alle, sich einen Vorteil zu verschaffen.

Die Sache geht schief. Wie ein heiliger Rufer in der Wüste mahnt der Diener des Hauses die Erben und erzählt fantastische Geschichten über den Erblasser. Das Haus ächzt und stöhnt unter den egoistischen Intrigen der Erben und übernimmt mehr und mehr die Hauptrolle. Wirklichkeit und Traum durchdringen einander bis zur Unkenntlichkeit.

Im dritten Akt schwinden die Farben, das Haus verdorrt und ein Glas Wasser zur Lösung der Probleme ist nicht in Sicht. Schlimmer noch: Die Auswege und Türen werden verschlossen. Nach fast fünf Akten Misstrauen, Betrug und Selbstbetrug sind die Erben schließlich vereint in der Sprachlosigkeit des Schlusschorals und ein großes Feuer verschlingt das gemeinsame Haus.

Rainer Dreikorn, im Stück Egon Geryon, erklärt das Finale: „Das ist wie der Weltenbrand in der Götterdämmerung“. Und tatsächlich bringt Regisseurin Bernadette Latka das Stück ungekürzt in der Länge einer Wagneroper auf die Bühne.

Für die Zuschauerinnen und Zuschauer wird dies im stickigen Kellergewölbe trotz der zwei Pausen zu einer Herausforderung. Tief beeindruckt spenden rund 150 Hände nach knapp vier Stunden überzeugenden Applaus.

Den Beifall hat sich die Laiengruppe verdient. Die Darstellerinnen und Darsteller beeindrucken sämtlich mit ihren schauspielerischen Leistungen und der verzaubernden Umsetzung der mitunter sperrigen Textvorlage. Niklas Brode, Irena Hofmogel und Beate Schindler gestalten bravourös die Verwandlung des Hauses. Besonderen Applaus Beifall verdienen Regina Szymber für die Darstellung des Kleinkriminellen Jakob Nebel, Nadine Schmidt als boshafte Blinde und Simone Becker als Dienstmädchen. Stefanie Kern wird der tiefgründigen Rolle des Hausdieners mehr als gerecht. Und nicht zuletzt gilt der Beifall Tommy Kies für das stimmige Bühnenbild und Bernadette Latka für Regie und Auswahl der Kostüme.

Und hier klatscht nicht nur Stammpublikum. Eine Zuschauerin verrät: „Ich bin das erste Mal hier, wegen Michael Ende. Das Haus sehe ich als Spiegel der Psyche.“ Ein Zuschauer interpretiert das anders: „Das Haus ist unsere Welt, die wir durch Habgier zerstören.“

Nach dem Finale treten die Darsteller aus ihren Rollen heraus und bieten dem Publikum wie im epischen Theater eine eigene Interpretation an.

Die anschließende Premierenfeier haben sich die Gewölbegaukler verdient. Die Regisseurin verrät: „Heute bei der Premiere haben wir das Stück zum ersten Mal vollständig gespielt“. Und eine Zuschauerin meint: „Die Zeit ist mir wie im Flug vergangen. Ich freue mich schon auf die nächste Aufführung.“ Über das nächste Stück wird Bernadette Latka ab Juni nachdenken. Zunächst folgen weitere Aufführungen der „Spielverderber“.

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