Flächenversiegelung

Volksantrag fällt in Wertheim auf fruchtbaren Boden

Mit dem Volksantrag „Ländle Leben Lassen“ fordern Landwirtschafts- und Umweltverbände in Baden-Württemberg besseren Bodenschutz. In Wertheim und Tauberfranken hat man die Botschaft verstanden.

Von 
Jens-Eberhard Jahn
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Im Winterhalbjahr grasen auf dem Gelände, das der Natur auf dem Reinhardshof überlassen bleibt, etwa 800 Schafe. © Gerd Weimer

Odenwald-Tauber/Wertheim. Mit dem Volksantrag „Ländle Leben Lassen“ möchte ein breites Bündnis der Landesregierung Dampf machen. Im Koalitionsvertrag von 2021 hatte sich Grün-Schwarz zum Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch kurzfristig auf 2,5 Hektar pro Tag zu beschränken.

Flächenverbrauch bedeutet, dass Böden als Verkehrs- oder Siedlungsfläche versiegelt werden. Bis 2035, so das Ziel der Regierung, sollte „nettonull“ erreicht sein, also nicht mehr Fläche versiegelt werden, als woanders entsiegelt werden kann. Zurzeit seien aber eher Rückschritte zu beobachten, der Flächenverbrauch liegt laut Statistischem Landesamt bei fünf bis sechs Hektar pro Tag. Ein breites Bodenschutz-Bündnis fordert daher ein Gesetz, das den Flächenverbrauch im Sinne der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ziele regelt. Dort sollen unter anderem höhere Mindestbaudichten und überörtliche Gewerbeflächenpools, sowie ein wirksamer Schutz fruchtbarer Böden vor Überbauung vorgeschrieben werden.

Volksanträge, Volksbegehren und Volksabstimmung sind die drei Elemente direkter Demokratie

Für einen Volksantrag braucht man etwa 40 000 Unterschriften, das heißt von mindestens 0,5 Prozent der Wahlberechtigten. Wahlberechtigt in diesem Sinn ist, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat, seit mindestens drei Monaten in Baden-Württemberg wohnt und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Mit einem Volksantrag kann der Landtag gezwungen werden, sich mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen. An der Landtagsdebatte nehmen dann auch die Initiatoren des Volksantrags teil.

Wenn der Landtag die Vorschläge der Antragsteller nicht übernimmt, kann ein Volksbegehren gestartet werden. Dafür muss ein Gesetzentwurf geschrieben werden, der dann auf Rechtmäßigkeit geprüft wird und etwa 750 000 Unterstützungsunterschriften braucht. Erst dann folgt das Volksbegehren selbst.

Mindestens ein Fünftel aller Wahlberechtigten muss zur Abstimmung gehen, bei dieser muss der Gesetzentwurf eine Mehrheit finden. Sollte sich der Landtag dem Anliegen dann noch immer entgegenstellen, kann die Volksabstimmung zum Einsatz kommen.

Der Volksantrag „Ländle Leben Lassen“ läuft bis zum Jahresende. Bis dahin können Unterschriften gesammelt und abgegeben werden. Formulare gibt es online und bei den Initiatoren und Unterstützern des Volksantrags. jan

Naturnutzer und Naturschützer

Wenn es um Glyphosat oder Gründünger geht, sind die ökonomischen Interessen vieler Bäuerinnen und Bauern einerseits und die Anliegen des Naturschutzes andererseits nicht immer unter einen Hut zu bringen. Denn bei der Frage nach der Nutzung und Pflege von Böden stehen sich Naturnutzer und Naturschützer oft feindselig gegenüber.

Wenn es aber um Erhalt oder Vernichtung der endlichen Ressource Boden geht, sitzen sie im selben Boot. Schon vor über drei Jahren hatten sich sonst eher miteinander fremdelnde Akteure anlässlich des Volksantrags „Gemeinsam unsere Umwelt schützen“ angenähert.

Flächenkreislaufwirtschaft das Ziel

Einig sind sich nun Landwirtschafts- und Naturschutzverbände, Landfrauen und Landjugend in der Sorge um den Erhalt der Ressource Boden, um die Existenz landwirtschaftlicher Betriebe, die Ernährungssouveränität und den Artenreichtum in Flora und Fauna.

Juliane Senft, Referentin bei der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB), sorgt sich insbesondere um die landwirtschaftlich genutzten Flächen und erklärt gegenüber den Fränkischen Nachrichten: „Der Flächenverbrauch in Deutschland, insbesondere durch Versieglung durch zum Beispiel Siedlung, Verkehr, Industrie und Infrastruktur, muss reduziert werden. Die Flächeninanspruchnahme muss das Ziel Netto-Null erreichen und zu einer Flächenkreislaufwirtschaft führen.“

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Ausgleichsflächen dürften dabei nicht der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen werden. Boden dürfe nicht als Wertanlage von Investoren und Investorinnen dienen, sondern solle in den Händen vieler Landwirtinnen und Landwirte bleiben. Martin Schäfer sitzt im Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und ist Kreisrat im Hohenlohekreis. Gegenüber unserer Zeitung bedauert er die zähe Mobilisierung für den Volksantrag. Andere Probleme stünden derzeit im Mittelpunkt.

Schäfer beklagt die Untätigkeit der Landesregierung beim Flächenschutz: „Ein Eingrenzen des Flächenverbrauches ist bisher fast nirgends erkennbar. Wenn zurzeit nicht gebaut wird, liegt das eher an gestiegenen Zinsen und Baukosten.“ Der angestrebte Stopp des Flächenverbrauches bis 2035 sei aber allen klar.

Elf Prozent der Landkreisfläche versiegelt

Dies kann Markus Moll, Sprecher des Landratsamtes Main-Tauber im Grunde bestätigen. Etwas vage heißt es dazu aus dem Landratsamt: „Der Landkreis berücksichtigt bei eigenen Bauvorhaben das Gebot des sparsamen Umgangs mit der Fläche“. Allerdings waren im Jahr 2020 nach Angaben des Statistischen Landesamtes elf Prozent der Landkreisfläche versiegelt, gegenüber 10,2 Prozent zehn Jahre zuvor.

Beispiel Wertheim

Das Gebiet der Stadt Wertheim besteht zu über 85 Prozent aus Wald, Landwirtschafts- und Grünflächen. In den vergangenen vier Jahren wurden laut Angaben der Stadtverwaltung immerhin über zehn Hektar Fläche neu versiegelt. Stadtsprecherin Angela Steffan betont gegenüber den FN, dass es sich bei dieser Angabe um eine Schätzung handele.

Laut Stefan nutze die Stadt bereits verschiedene Instrumente, um den Flächenverbrauch einzudämmen: „Bei der Ausweisung von Bebauungsplänen werden Festsetzungen zum Beispiel zu Dach- und Fassadenbegrünung, Grundflächenzahl und Biodiversität getroffen. Nach Vorgaben des Regionalverbands Heilbronn-Franken wird bei Neuausweisung eines Wohngebietes eine Dichte von 60 Einwohnern/Hektar vorgeschrieben. Die Stadt Wertheim wird dem durch kleinere Grundstücksgrößen sowie durch Konzeptausschreibungen für Mehrfamilienhäuser in Neubaugebieten gerecht“.

Ortsteile erhalten und stärken

Auch außerhalb der Neuentwicklung von Baugebieten achte die Stadt auf sparsamen Umgang mit Flächenressourcen durch die Stärkung der Innenentwicklung in nahezu allen Ortsteilen. „Vor allem die dörflichen Ortsteile sollen so erhalten, gestärkt und damit auch die Inanspruchnahme neuer Flächen reduziert werden. Wo immer möglich, reaktiviert die Stadt zuvor bebaute Flächen, anstatt neue Flächen zu versiegeln“, so Steffan weiter.

Franz Saur von der Wertheimer Ortsgruppe des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) wendet sich grundsätzlich gegen den Verkauf von Außenflächen: „Einerseits haben wir in der Orten Leerstand, andererseits werden neue Baugebiete geplant. Davon müssen wir wegkommen, wir können nicht ewig in die Natur hinaus, denn die ist endlich. Wir brauchen eine Bündelung von Fördermitteln für Altbau-Sanierungen und neue Formen des Zusammenlebens.“ Die derzeit große Wohnfläche pro Person müsse auf den Prüfstand.

Runder Tisch findet Kompromiss

Doch nicht nur Wohngebiete, sondern auch Gewerbeflächen stehen auf dem Prüfstand. Stadtsprecherin Steffan nennt dazu eine beispielhafte Konfliktlösung. Im Jahr 2020 konnte für die Entwicklung des Gewerbegebiets Reinhardshof ein Kompromiss gefunden wurde. Steffan erzählt: „Zuvor waren jahrelang die Interessen des Naturschutzes und der wirtschaftlichen Entwicklung in Konkurrenz zueinandergestanden. Ergebnis eines Runden Tisches war ein Kompromiss, nach dem die Ausweisung von Gewerbeflächen deutlich reduziert wird und Teile des ursprünglich geplanten Areals unter Naturschutz gestellt wird“.

Auch Ekkehardt Ebert, der die weit über 300 Mitglieder der Wertheimer Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) vertritt, bewertete das gegenüber unserer Zeitung als Erfolg.

Anzahl der benötigten Unterschriften erreicht

Landesweit ist die für den Volksantrag benötigte Anzahl 40.000 Unterschriften bereits erreicht, einige hundert davon kamen aus Wertheim. Franz Sauer gibt sich kämpferisch: „Das war mir klar. Es wäre sonst ja eine Schande gewesen. Bis zum Jahresende müssen wir aber weitersammeln, um den Druck auf die Landesregierung zu erhöhen.“

Mit der Frage, ob Photovoltaikanlagen auf Ackerflächen entstehen sollen, steht ein künftiger Streitpunkt im Raum. Wertheim zeige sich laut Steffan sehr offen dafür. KLJB, AbL und Naturschützer warnen vor der Zweckentfremdung fruchtbarer Böden und verweisen auf Dächer und versiegelte Flächen, die für Photovoltaik zur Verfügung stünden. Schließlich gehe es auch beim Flächenverbrauch für Energiegewinnung nicht allein um ökologische Fragen, sondern um die wirtschaftliche Basis der Landwirtschaft und die Grundlagen unserer Ernährung.

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