Main-Tauber-Kreis. Leserlich und flüssig schreiben – spätestens ab der dritten Klasse sollte das jeder Schüler können. Was mit einzelnen Buchstaben, Hilfslinien und Bleistift beginnt, endet manchmal in einem fast unleserlichen Gekritzel.
Dazu kommt, dass im digitalen Zeitalter die Menschen immer mehr ihre Schreibkompetenz verlieren. Es ist inzwischen so viel einfacher, einen Text per Tastatur und Schreibhilfe im SMS-Stil zu verfassen, als zum Stift zu greifen und ganze Sätze aufs Papier zu bringen. Texte mit der Hand zu schreiben, fördert laut der Initiative „Schreiben“ die Persönlichkeit, die Kreativität, das Denkvermögen und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Denn: Wer freut sich nicht über eine handgeschriebene Grußkarte oder gar einen Brief?
Stiftung Handschrift
Im Jahr 2009 gründeten Personen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft die Written Art Foundation als gemeinnützigen Verein. Aus ihr ging die Stiftung Handschrift hervor.
Ziel der Stiftung ist es, mit unterschiedlichsten Mitteln die Freude am Schreiben wieder zu wecken.
Der „Tag der Handschrift“ ist ein Teil davon.
„Das Ausmaß der Kommunikation mithilfe digitaler Medien und das damit verbundene Schreiben mit der Tastatur ersetzen zunehmend die flüssige Schreibschrift. Die Stiftung Handschrift will für den Erhalt der Schreibschrift und ausreichendes Training der Handschrift werben“, ist auf der Homepage zu lesen.
Übrigens: In Deutschland gelten rund 7,5 Millionen Menschen als Analphabeten, können weder schreiben noch lesen. hei
An diesem Sonntag ist der „Tag der Handschrift“. Er soll den Spaß und das Interesse am Schreiben neu wecken.
Nichts ist so individuell wie die Handschrift. Ob große schwungvolle Bögen, oder steile enge Schrift. Sagt sie wirklich etwas über den Schreiber aus? Menschen, die sich damit von Berufswegen beschäftigen (Graphologen) bejahen diese Frage. So würden Schriftzeichen in normaler Größe auf einen ausgeglichenen, anpassungsfähigen Menschen hinweisen.
Viel mit Handschriften zu tun hatten bis vor kurzem alle Mitarbeiter in den Apotheken.
Auf dem Rezept
Die angeblich unleserlichsten Handschriften haben Ärzte. Lioba Zäuner ist Inhaberin einer Apotheke in Tauberbischofsheim. Sie hat so ihre Erfahrungen damit gemacht: „Früher war das ganz schlimm. Wir waren oft am Rätseln, was da aufgeschrieben wurde. Zum Teil haben wir uns richtig in die Handschrift einlesen müssen“, sagt sie. Wenn es gar nicht anders ging, gab es auch mal einen Rückruf in der Praxis, um genau abzuklären, was auf dem Rezept stand.
Noch gut erinnert sie sich an einen niedergelassenen Arzt in Tauberbischofsheim, der heute nicht mehr praktiziert. „Seine Schrift war wirklich nie zu lesen. Immer wenn wir uns trafen, versprach er mir, sich einen PC zuzulegen“, lacht sie. Den Namen will die Apothekerin natürlich nicht verraten. Inzwischen, so schätzt Lioba Zäuner, werden 99,9 Prozent aller Rezepte am Computer ausgestellt. Das Entziffern der Hieroglyphen entfällt somit.
Wenn h und k gleich aussehen
Wer viel schreibt, der entwickelt, wenn er nicht gerade stenografiert, in der Regel eine recht effiziente Handschrift. Buchstaben gehen ineinander über. Oft sind nur der Anfang und das Ende vom Wort wirklich lesbar. Weil es meist recht schnell gehen muss, kann man das Niedergeschriebene manchmal selbst kaum noch entziffern. Und dann kommt es zu kleinen Peinlichkeiten, wie eine Redakteurin der Fränkischen Nachrichten erzählt.
Sie hatte sich vor längerer Zeit notiert, dass ein Ehepaar eine Backpatenschaft übernommen habe. Um ein Interview zu machen, rief sie bei ihm an und fragte nach, wie man denn auf die Idee gekommen sei, eine Backpatenschaft zu übernehmen. Die beiden waren doch sehr verwundert und grübelten kurz, bis es sich aufklärte. Sie hatten keine Back- sondern eine Bachpatenschaft übernommen, kümmerten sich also liebevoll um einen kleinen Bach im Ort.
E-Mail fürs Rathaus
Sicherlich erkennt Angela Steffan die Handschrift ihres Chefs sofort. Steffan ist Pressesprecherin im Wertheimer Rathaus. „Der Anteil der handschriftlichen Schreiben ist bei uns in den vergangenen Jahren sehr deutlich zurückgegangen. Wir klären sehr vieles telefonisch und auch per E-Mail, erst recht in Zeiten der Pandemie“, sagt sie.
Notiz per Handy
Emma Engert wird in wenigen Tagen 16 Jahre alt. Die Niklashäuserin besucht in Bad Mergentheim die Mädchen- und Jungenrealschule St. Bernhard. Den Stift zum Schreiben hält sie nur noch in der Schule oder beim Erledigen der Hausaufgaben in der Hand. Alles andere macht sie auf ganz moderne Weise: per Handy. Selbst die Geburtstagskarte für Freund oder Freundin gibt es oft nur digital. Kommuniziert wird mit Smileys und Abkürzungen – für Erwachsene kaum deutbar. Selbst den Einkaufszettel tippt sie in ihr Handy. „Den handgeschriebenen Zettel könnte ich ja zuhause vergessen und hätte dann Pech. Aber mein Handy habe ich immer dabei“, erklärt sie völlig logisch.
Etwas anders läuft es bei Lilly Deufel. Die Schülerin geht in die vierte Klasse der Welzbach Grundschule und schreibt sehr flüssig Texte. Lilly kann sich inzwischen aussuchen, ob sie in Schreib- oder Druckschrift schreiben will. Für die Zehnjährige gar keine Frage, sie mag lieber Druckschrift. Das würde leichter gehen, sagt sie. „Es stimmt, dass es sich die Kinder in der vierten Klasse aussuchen können“, sagt ihre Schulleiterin Ulrike Münkel. Sie bestätigt Lilly eine sehr schöne Handschrift. Sie weiß aber auch, dass sich das bei etwas älteren Kindern recht schnell ändert. „Die Kinder haben durch die Benutzung der Medien, wie Tablet und Handy, nicht mehr so viele Schreibanlässe wie früher. Da hatte man sich ja noch Briefe und Postkarten und gegenseitig Zettelchen geschrieben“, erinnert sich Münkel, die seit 1999 Schulleiterin ist. Seit die Kinder in der Freizeit technische Hilfsmittel zum Schreiben benutzen, habe sich das Schriftbild verändert. „Meiner Meinung nach leider nicht zum Besseren. Heute tun sich viele Kinder sehr schwer mit dem Schriftbild.“
Druck- oder Schreibschrift
Angefangen wird im ersten Schuljahr inzwischen mit Druckbuchstaben. Dann folgt die verbundene Schreibschrift. „Die Kinder müssen diese verbundene Schreibschrift lernen, aber dann auch ihre eigene Schrift entwickeln“, sagt Münkel. Und die sieht ihrer Meinung nach bei den Mädchen oft besser aus als bei den Jungs.
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