Sonderriet. Das Dorf liegt idyllisch gelegen in einer Senke. Der Verkehr auf der Ortsdurchfahrt und in den Wohngebieten hält sich in Grenzen. Die Ruhe ist ein großer Pluspunkt Sonderriets. Doch dass manche der rund 500 Einwohner ein Haus in vergleichsweise gehobener Lage auf Wertheimer Gemarkung besitzen, mag man auf den ersten Blick kaum annehmen.
Hintergrund: Klagen gegen Grundsteuer
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es Klagen gegen das Grundsteuermodell in Baden-Württemberg geben wird.
Gemeinsam mit betroffenen Eigentümern wird eine Verbände-Allianz mehrere Musterklagen gegen die neue Landesgrundsteuer in Baden-Württemberg führen.
In der Allianz haben sich der Bund der Steuerzahler Baden-Württemberg, die Verbände Haus & Grund Württemberg, Haus & Grund Baden und der Verband Wohneigentum Baden-Württemberg zusammengeschlossen.
Damit sollen grundsätzliche Fragen zur Verfassungsmäßigkeit des neuen Landesgrundsteuergesetzes geklärt werden. „Grund für die Musterklagen insgesamt sind gravierende verfassungsrechtliche Bedenken der vier Verbände hinsichtlich der Grundsteuer B im neuen Grundsteuergesetz Baden-Württemberg“, heißt es in einer Erklärung.
Kern der Klage ist die Bewertung im Rahmen der Feststellungserklärungen zur Ermittlung des Grundsteuerwertes.
Die Verbände haben die Finanzverwaltung aufgefordert, bis zur rechtskräftigen Entscheidung alle Grundsteuerwertbescheide nur vorläufig zu erlassen.
Ein Muster für einen generellen Einspruch gibt es unter www.steuerzahler.de/musterbriefe. wei
Was den Bodenrichtwert für einige Grundstücke in Wohngebieten, die vor mehr als 30 und 40 Jahren entstanden sind, angeht, trifft dies aber offenbar zu. So hat es der zuständige Gutachterausschuss Main-Tauber-Nord beschlossen und jüngst bestätigt. 139 Euro pro Quadratmeter sollen demnach als Basis für die Berechnung der Grundsteuer dienen (Stichtag 1.1.2022). Als Anhaltspunkt für diesen Wert diente dem Gutachterausschuss der Verkaufspreis für Parzellen im neuen Wohnbaugebiet Hofäcker.
In Sonderriet staunten einige Eigenheimbesitzer nicht schlecht, als sie von der Entscheidung des Gutachterausschusses erfuhren. Ihre Grundstücke sollen genauso viel Wert sein wie jene, die erst vor Kurzem erschlossen wurden. Denn das entspricht nicht der Vorgehensweise, wie sie in anderen Ortschaften zur Anwendung kam. Zum Beispiel im benachbarten Nassig: Für das relativ junge Neubaugebiet Müllerswiesen wurden dort 120 Euro angesetzt. Bei älteren, beispielsweise im Brüchertsweg und Klingenhub, sind es um die 95 Euro.
Unterschiedliche Einstufungen
Auch in den Ortschaften des Wertheimer Ostens gab es unterschiedliche Einstufungen von älteren und neueren Wohngebieten. In Dietenhan wurden für Grundstücke im älteren Gebiet nur 65 Euro angesetzt, bei der Erweiterung Röte II sind es 119 Euro.
Alle diese Werte, die auf der Internet-Plattform Boris-BW (Bodenrichtwertportal) hinterlegt sind, haben eines gemeinsam: Sie liegen unter dem Bodenrichtwert, der für die Sonderrieter Gebiete Steinwiesen, Am Steinernen Zaun und Hofäcker angesetzt wurde.
Den Betroffenen blieb dieser Umstand nicht lange verborgen. Bei der Gemeinderatssitzung am 19. Dezember vergangenen Jahres bezeichnete Klaus Kempf in der Bürgerfragestunde die ungleiche Behandlung als „unverhältnismäßig“ und „nicht begründet“. Die „erhöhte Festsetzung“ in den älteren Wohngebieten in Sonderriet bedürfe „dringend einer Berichtigung, und zwar von Amts wegen“ und nicht wie vom Gutachterausschuss aufgetragen, indem die Eigentümer kostenpflichtige Gutachten erstellen sollen, um „damit den Nachweis zu führen, dass die festgesetzten Bodenrichtwerte falsch sind“, trug Klaus Kempf vor.
Kempf und weitere fünf Mitstreiter hatten im Vorfeld beim Gutachterausschuss vergeblich darum gebeten, die Entscheidung zu überdenken und den Wert auf 109 Euro festzusetzen. In dem entsprechenden Schriftverkehr mit dem Leiter der Gutachterausschuss-Geschäftsstelle bei der Stadt Wertheim, Hubert Burger, schien im Oktober eine Lösung in Sicht. Man rege an, so Burger an Kempf, in der Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwerts dem Finanzamt gegenüber „von Ihnen genannten Wert von 109 Euro pro Quadratmeter anzugeben“ und gleichzeitig anzumerken, dass eine „nochmalige Betrachtung“ des Richtwerts durch den Gutachterausschuss erbeten worden sei.
Im Dezember, kurz vor der Gemeinderatssitzung, teilte Burger in einem weiteren Schreiben indes mit, dass der Ausschuss an den 139 Euro festhalten werde. Für Sonderriet sei durch die Neuausweisung des Baugebiets samt Erschließung (gemeint ist das Gebiet Hofäcker) der Wert von 139 Euro anzunehmen. Dieser Wert entfalte für vergleichbare Wohnbauflächen eine „Ausstrahlungswirkung“.
Top-Lage in Wertheim?
Die Tatsache, dass der hohe Sonderrieter Wert die Baugebiete in dem Höhendorf steuerrechtlich zu Toplagen in Wertheim macht, war bisher noch gar nicht Gegenstand der Diskussion. Erich Kempf, einer der Betroffenen, beschreibt im Gespräch mit den FN die ziemlich absurde Situation: „Wir haben in Sonderriet keinen Metzger, keinen Bäcker oder andere Einkaufsmöglichkeiten. Auch keine Schule. Die Infrastruktur ist ziemlich schwach, auch was die Anbindung an den ÖPNV angeht – zumindest im Vergleich zu Nassig, wo all dies vorhanden ist.“ Trotzdem würden höhere Bodenrichtwerte angenommen. Erich Kempf hat die Bodenrichtwerte auf Wertheimer Gemarkung verglichen. Ergebnis: Nur in der Kernstadt sowie in den Stadtteilen Bestenheid und Eichel/Hofgarten liegen sie auf höherem Niveau. Für die Mittlere Flur, die Leberklinge, die Bromberg- und Föhlischstraße werden beispielsweise 159 Euro aufgerufen, in der Mühlenstraße sind es 110 Euro pro Quadratmeter Wohnbaufläche.
Ein Gespräch zwischen Betroffenen, Hubert Burger und weiteren Mitgliedern des Gutachterausschusses Anfang vergangener Woche ergab keine einvernehmliche Lösung, wie Klaus Kempf berichtet. Wie schon vorher berief sich Burger auf das sogenannte Vergleichswertverfahren. Das ist laut den gesetzlichen Vorschriften anzuwenden und bezieht sich auf Kaufpreise, die bei Immobiliengeschäften durch den Verkauf ähnlicher Immobilien und Grundstücke realisiert wurden.
Keine Verkäufe
Knackpunkt: Im Laufe des Jahres 2021 – das ist der relevante Zeitraum – gab es solche Geschäfte nicht. Niemand verkaufte seine Scholle in Sonderriet. Deswegen sei der Preis des Neubaugebiets Hofäcker zugrunde zu legen, argumentiert der Gutachterausschuss.
Allerdings, so erwidern die Sonderrieter, habe es 2021 zahlreiche Verkäufe in den anderen Ortschaften gegeben, die dort zu geringeren Bodenrichtwerten geführt hätten. Diese Kaufverträge, seien „der beste Nachweis dafür, dass bei älteren Baugebieten weitaus geringere Preise erzielt worden seien als bei den neu erschlossenen Grundstücken.
In der aktuellen Immobilienwertermittlungsverordnung des Bundes heißt es: „Für die Bodenrichtwertermittlung in Gebieten ohne oder mit geringem Grundstücksverkehr können Kaufpreise und Bodenrichtwerte aus vergleichbaren Gebieten oder aus vorangegangenen Jahren herangezogen werden.“
Spielraum nicht genutzt
Klaus Kempf sieht in dieser Vorschrift einen Ermessensspielraum und stellt die Frage, warum der Gutachterausschuss „nicht von seinem Ermessen Gebrauch macht, und auf die Bodenrichtwerte vergangener Jahre zurückgreift.“ Erich Kempf schlägt alternativ vor, vom Alter her vergleichbare Wohngebiete in Nachbarortschaften bei der Einschätzung zu berücksichtigen.
Zudem beklagt Klaus Kempf nochmals, dass man laut Gutachterausschuss „nur im Einspruchsverfahren und mit kostenpflichtigen Gutachten“ seine Rechte durchsetzen könne.
Er hofft trotz allem auf die Einsicht des Ausschusses, „denn die aktuellen Festsetzungen in Sonderriet widersprechen jeglicher Vernunft und jedem gesunden Menschenverstand.“
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