Wertheim. Die Gaskrise hat auch für große Wertheimer Arbeitgeber teils dramatische Auswirkungen. Besonders gravierend ist die Situation bei Schuller.
Die deutsche Wirtschaft steht angesichts der Gaskrise infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der damit einhergehenden rasant steigenden Energiepreise vor großen Problemen. Angespannte Lieferketten und Fachkräftemangel trüben die Stimmung zusätzlich ein. Bei einer jüngst durchgeführten Umfrage des Bundesverbandes der deutschen Industrie schätzten 58 Prozent von 600 mittelständischen Betrieben die Situation als eine starke Herausforderung ein, für 34 Prozent gehe es sogar um die Existenz. Fast jedes zehnte Unternehmen hat demnach die Produktion schon gedrosselt oder sogar unterbrochen.
Die Fränkischen Nachrichten befragten beispielhaft drei Wertheimer Unternehmen, die zu den größten Arbeitgebern in der Wirtschaftsregion gehören: Warema, Gerresheimer und Johns Manville (ehemals Schuller). Die Situation in den Betrieben stellt sich zwar unterschiedlich dar, zeigt aber: Es ist ernst.
Auf Gas angewiesen
Wenn es zu einer Drosselung der Gaslieferung kommen sollte, müsste Johns Manville „zwangsläufig einige Produktionsanlagen am Standort Wertheim abschalten“, so Martin Kleinebrecht, Marketingleiter und Pressesprecher bei Johns Manville. Die Glas-Herstellung in Wertheim laufe mit Strom, erläutert Kleinebrecht, „aber andere Produktionsprozesse sind alternativlos auf Gas angewiesen, wie die Produktion von Glasfaser Filtermatten, die zum Beispiel für die Luftfiltration in Krankenhäusern benötigt werden“.
Auch die Trocknung der nass-gelegten Glasvliese für die Bauindustrie und die Verbundwerkstoffherstellung komme ohne Gas nicht aus. Die gasabhängigen Produktionsprozesse „können wir kurzfristig nicht auf alternative Energiequellen umstellen“.
Man prüfe aber, sich durch technische Entwicklungen langfristig von Erdgas unabhängiger zu machen. Das würde bedeuten, vermehrt Strom oder Biogas einzusetzen. Dafür wiederum wären „sehr große landwirtschaftliche Anbauflächen notwendig“, um den Bedarf am Standort zu decken.
Technisch gesteuerte Einsparungen des Gasverbrauchs könne man kurzfristig nicht erreichen, um der Abhängigkeit entgegenzusteuern. Gleichwohl habe man seit mehr als zehn Jahren ein Energiemanagement installiert, so dass durch vielfältige umgesetzte Maßnahmen pro Jahr ein bis zwei Prozent Energieeinsparungen erzielt würden. Johns Manville sei dementsprechend nach ISO zertifiziert.
Stromausfall wäre fatal
Bei einer schrittweisen Drosselung der Liefermenge könne Johns Manville nach und nach Produktionsanlagen aus der Gesamtproduktion herausnehmen und „einen kompletten Stillstand des gesamten Werkes relativ lange verhindern“, so Kleinebrecht. Irgendwann wäre allerdings die Aufrechterhaltung des Betriebes mit nur wenigen Anlagen „wirtschaftlich nicht haltbar“.
Ein Ausfall der Stromlieferungen wäre fatal: „Sollten wir die Glaswannen abschalten müssen, wären diese damit zerstört. Ein Neubau würde ein bis zwei Jahre dauern und zu einem hohen Kapitalbedarf führen“, berichtet er.
Die hohen Energiepreise haben jetzt schon betriebswirtschaftliche Konsequenzen für das Unternehmen: Man sei dauerhaft nicht in der Lage, die derzeit hohen Preise zu stemmen. „Wir haben nun einen Punkt erreicht, an dem unsere Kunden und die Endverbraucher auf die Kostensteigerungen mit einer deutlichen Reduzierung der Nachfrage antworten“, so Kleinebrecht. Dieser Effekt sei bereits seit einiger Zeit zu beobachten.
Nachfrage sinkt
Bis vor einigen Wochen habe es eine „ungebrochen hohe Nachfrage nach den Bau- und Filtrationsprodukten“ gegeben. Das sei nun nicht mehr der Fall. „Trotzdem sind wir gezwungen, die hohen Energiepreise weiterzugeben, um das Überleben unseres Standorts in Wertheim langfristig zu sichern“, so Kleinebrecht. „Man muss sich vor Augen führen, dass sich die Energiepreise für uns verzehnfacht haben“, schildert der Pressesprecher die dramatische Situation. Zu Auswirkungen auf das finanzielle Ergebnis des Unternehmens wollte Kleinebrecht keine Angaben machen.
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