Wertheim. Das Wertheimer Publikum vermag einen doch immer wieder zu überraschen: Wer erwartet hatte, dass das Orgelkonzert in der Kirche St. Venantius am Sonntag wegen des frühsommerlichen Wetters oder wegen des am Tag vorher stattgehabten Eröffnungskonzerts der „Orgelmusik zur Marktzeit“ schlecht besucht sein könnte, sah sich aufs Angenehmste enttäuscht. Nahezu vollbesetzt waren die Reihen, über die Pfarrer Jürgen Banschbach bei seiner Begrüßung und seiner Rückschau auf die Orgelrenovierungsarbeiten blicken durfte.
Nach ihm gab Gerhard Maier, seit etwa einem Jahr Organist an St. Venantius, eine kurze Einführung in sein Programm. Daran schloss sich Orgelbaumeister Vleugels an, der seine persönliche Geschichte mit der Klais-Orgel der Venantiuskirche erzählte und berichtete, welche Arbeiten seine Firma an der Orgel in den vergangenen Wochen vorgenommen hat.
Sanfter Einstieg
Nach diesen Vorreden dann die mit Spannung erwarteten ersten Klänge des ausgereinigten und überarbeiten Instruments. Der 1978 in Heidelberg geborene und in Wertheim aufgewachsene Gerhard Maier überraschte mit einem eher sanften Einstieg in Johann Sebastian Bachs D-Dur-Präludium, das vor allem wegen seiner aufsteigenden Pedalsololäufe am Beginn einen besonders österlichen Charakter hat.
Gleich zu Beginn machte Maier damit den zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern eine besondere Stärke des 1984 von der Bonner Orgelbaufirma Klais erbauten Instruments deutlich: Die Venantius-Orgel kann zwar auch laut, aber ihre besonderen Stärken liegen in den zahlreich zur Verfügung stehenden leisen und zarten Klangfarben.
„Ver“-Stimmung
Diese wurden nun von der Firma Vleugels durch eine wirklich sehr schöne „Voix celeste“ ergänzt.
Das besondere an diesem Register ist die ganz leichte „Ver“-Stimmung nach oben, wodurch im Zusammenklang mit den anderen Registern eine wunderbar zarte und weiche Schwebung – technisch würde man sie als „Interferenz“ bezeichnen – entsteht. Eben eine „himmlische Stimme“.
Diesem ganz neuen Klang „seiner“ Orgel hat Maier eine kleine Hommage gewidmet, ein sich aus einer pentatonischen Zelle entwickelndes Stück, das mit Terzverwandtschaften und tonal angereicherten Klängen spielt.
Zweite Eigenkomposition
Mit der zweiten kurzen Eigenkomposition des Abends stellte Maier den Prospektprinzipal vor. Das sind die zirka 70 Pfeifen, die sozusagen das Antlitz des Instruments bilden, auch wenn sich die weitaus größere Anzahl der insgesamt etwa 1500 Pfeifen hinter diesen Prospektpfeifen verbirgt.
Maiers an eine Gavotte erinnernde Eigenkomposition stellte die Qualitäten des Klais’schen Prinzipals vor, der bei ganz kurzen Tönen sofort anspricht und den Raum füllt, aber auch kantable Linien lebendig werden und singen lässt.
Hauptwerk des Abends war die 6. Orgelsymphonie von Charles Marie Widor, der seine Musik für seine Orgel in der Pariser Kirche St. Sulpice komponierte. Auch bei diesem fünfsätzigen und spieltechnisch sehr anspruchsvollem Werk waren es vor allem die leisen Klangfarben der drei Mittelsätze, die besonders überzeugten. Eindrucksvoll auch die Schwellwirkung, also die Möglichkeit, die Lautstärke stufenlos zu verändern, des zweiten Manuals. Diese kam sowohl in Verbindung mit dem Oboenregister im Cantabile als auch in den Rahmensätzen, in denen das Schwellwerk manchmal fast wie ein Fernwerk wirkte, zur Geltung.
Ein wenig getrübt wurden diese Rahmensätze leider durch die deutlich verstimmten Töne der Trompete – ausgerechnet bei einigen der harmonisch zentralen Töne des g-Moll-Werkes. Davon lies Maier sich jedoch in seiner musikalischen Ausgestaltung der ihm hörbar sehr nahen Musik des französischen Orgel-Romantikers nicht beeinträchtigen.
Applaus als „Lohn“
Den Abschluss bildete Edwin Lemares Bearbeitung des berühmten „Pomp-and-Circumstances“-Marsch von Edward Elgar. Die Zuhörenden nahmen erfreut zur Kenntnis, dass es nun in Wertheim zwei Orte für schöne Orgelkonzerte gibt und dankten mit lang anhaltendem Applaus.
Der Rezensent selbst, der in der Wertheimer Orgelszene ein wenig „mitmischt“, nahm erfreut zur Kenntnis, dass sich diese beiden Konzertorte offensichtlich ihr Publikum nicht gegenseitig wegnehmen, sondern im Gegenteil eher zuspielen. Und so wird Gerhard Maier am übernächsten Samstag als der dritte Wertheimer Organist der diesjährigen Reihe sein Debüt bei der „Orgelmusik zur Marktzeit“ in der Stiftskirche geben.
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