Wertheim. Ihren Geburtstag am 28. Mai wird Renate Gassert so schnell nicht vergessen – nein, nicht wegen der Geschenke. Es war ein Ansinnen des Wertheimer Oberbürgermeisters Markus Herrera Torrez, das ihren 82. Geburtstag so besonders machte.
Man sei übereingekommen, dass Renate Gassert Ehrenbürgerin der Stadt Wertheim werden solle. „Ich war wirklich ganz schön überrascht und ein bisschen verunsichert“, sagt sie im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten.
„Ich habe meine Arbeit in den Gremien, in denen ich mitgewirkt habe oder immer noch mitarbeite, als etwas ganz Normales angesehen“, sagt sie und winkt fast verlegen ab. Inzwischen sind seit dem Gespräch mit dem OB ein paar Tage ins Land gegangen, der Gemeinderat hat zugestimmt und die ehemalige Kreistagsabgeordnete, Gemeinderätin und Stadtteilbeiratsvorsitzende konnte sich mit dem Gedanken dieser besonderen Ehrung anfreunden.
Nach ihrem Studium arbeitete Renate Gassert als Lehrerin. 1983 wurde sie Konrektorin an der heutigen Gemeinschaftsschule Alte Steige.
Noch heute wird sie von von ehemaligen Schülern angesprochen oder sie kommen beispielsweise als Handwerker ins Haus. „Ach, das ist doch schön. Dann merke ich, dass meine Arbeit als Lehrerin nicht ganz umsonst war“, freut sie sich.
Das erste Mal Verantwortung übernahm Gassert mit 16 Jahren. Sie leitete eine Jugendgruppe des CVJM. Die kirchliche Arbeit hat sie sehr lange begleitet, über Freizeitgestaltung in den Ferien bis hin zur Arbeit in der Bezirks- und Landessynode.
1989 ließ sie sich trotz Widerständen für den Wertheimer Gemeinderat aufstellen und wurde auf Anhieb gewählt. Als Grund für ihr gesellschaftliches Engagement gibt Renate Gassert heute noch ihr großes Interesse an Politik an und natürlich ein besonderes Familien-Gen, vererbt unter anderem von Leonhard Karl, ihrem Großvater.
Im Gemeinderat
Bis 2013 hat sie die Geschicke der Stadt mit geleitetet. Dass sie ein Jahr vor dem eigentlichen Ende ihrer Amtsperiode aufhörte, ist ihrer Weitsicht geschuldet. „Das habe ich gemacht, damit sich meine Nachrückerin Dorothea Meisinger einarbeiten konnte.“
24 Jahre Gemeinderat haben Höhen und Tiefen sowie viele interessante Diskussionen und Entscheidungen mit sich gebracht. So sind ihr der Verkauf des Krankenhauses, der Erwerb und die vielen Baumaßnahmen an der Burg noch sehr gut in Erinnerung. Der Anschluss an die Wasserversorgung Bodensee war eines der größeren Projekte, die Gassert mitgestaltete.
Eine wirklich große Errungenschaft, „die sich bis heute lohnt“, war für sie unterdessen die Einrichtung der ersten Stelle eines Schulsozialarbeiters in Wertheim. Gemeinsam mit Gemeinderat Jürgen Walter hatte sie mit viel Nachdruck um diese Stelle gekämpft. „Peter Götz als erster Schulsozialarbeiter bildete mit seiner Arbeit das Musterbeispiel für den ganzen Main-Tauber-Kreis“, sagt Gassert nicht ohne Stolz.
Im Kreistag
Ihr Engagement im Kreistag lag nicht unbedingt auf der Hand. Dennoch schiebt Gassert im Gespräch ein Aber nach: „Diese Arbeit im Kreistag hat mich gereizt, schon aufgrund der Größe des Kreises.“ Noch lebhaft erinnert sie sich an das „Umherziehen“ des Gremiums. „Die Arbeit hat mir einen ganz neuen Blick auf den Kreis und seine Herausforderungen ermöglicht“, sagt sie.
Im Regionalverband
Über den Kreistag kam die Wertheimerin 2009 in den Regionalverband Heilbronn-Franken. „Ich wusste zwar wo Brackenheim ist, war aber bis dahin noch nie dort“, scherzt sie rückblickend. Zehn Jahre hat sie im Regionalverband mitgewirkt. „Das sind ja noch mal ganz andere Gesichtspunkte, mit denen man sich auseinandersetzten musste.“ Windkrafträder, Grünzüge, ländliche Strukturschwäche, finanzielle Ausstattung der Kreise – mit jedem Thema hat sie sich intensiv auseinandergesetzt.
Dass sie eine ihrer politischen Tätigkeiten bevorzugt hätte, kann sie nicht sagen. „Jedes Gremium hat mir neue Erkenntnisse gebracht“, so Gassert. Und doch gibt es etwas, was sie aus vollem Herzen sehr gern gemacht hat: die Vertretung des Oberbürgermeisters als seine Stellvertreterin. Etwa einen Ausschuss zu leiten, das sei für sie eine Ehre gewesen. Auch das Wahrnehmen von Terminen habe ihr gefallen. „Da kommt man zu den Menschen. Da hört man wirklich was die Leute bewegt. Da sieht und spürt man sofort, was in den Vereinen läuft und wo der Schuh drückt.“
Im Stadtteilbeirat
Eine ihrer größten Herausforderungen, die sie mit Herzblut und viel Engagement bis heute betreibt, ist die Integration der verschiedenen Nationalitäten in ihrem Stadtteil Wartberg. Über die Kirche, die Jugendarbeit und den Sozialarbeiter wurden die Probleme gleich mehrfach an sie herangetragen, so dass sie genau wusste, wo sie anpacken musste. Gemeinsam mit weiteren Frauen ihrer Partei gründete sie eine Gruppe, die wöchentliche Treffen organisierte, beispielsweise mit den Frauen, die aus Russland oder dem Balkan zugezogen waren. Das war 1993 – noch bevor Gassert im Stadtteilbeirat aktiv wurde. Kleine Gespräche über alle möglichen Themen, einfach mal Zeitung lesen, gemeinsam ein Museum besuchen oder große Hilfe bei Behördengängen standen auf dem Programm im Vorläufer der „Willkommen in Wertheim“-Organisation (deren Gründungsmitglied sie dann auch war). Bis heute rufen Frauen bei ihrer „Renata“ an und brauchen ihren Rat. „Ich habe einfach gemerkt, da ist Not, da muss ich helfen.“ In ihren zwei Amtsperioden als Schöffin am Amtsgericht in Tauberbischofsheim habe sie die Auswirkungen einer fehlenden Integration immer wieder gesehen.
Dass die Integration auf dem Wartberg so unendlich langsam vor sich geht – befriedigt sie natürlich nicht. Die neue soziale Mitte dagegen ist für sie ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. „Das war ein sehr langes Bohren von sehr dicken Bretten bis diese Umgestaltung auf die Agenda kam“, erinnert sie sich. Doch die Arbeit habe sich gelohnt.
Natürlich trug Renate Gassert auch zur Gründung des Frauenvereins in Wertheim bei, der zu Beginn lediglich gesellschaftspolitisch aktiv war.
Unter Stefan Gläser war Gassert ab 1994 erste weibliche stellvertretende Oberbürgermeisterin in Wertheim und wird nun auch die erste Frau sein, der die Ehrenbürgerwürde zu Teil wird. Wenn man es sehr genau nimmt – die erste der Neuzeit (siehe Artikel von Jörg Paczkowski). In der Reihe der Ehrenbürger-Portraits im Treppenhaus hinauf zum Ratssaal hängt auch ein Foto von Gasserts Großonkel Hans Bardon. Die frühere Konrektorin und Gemeinderätin wird nun die Reihe der Ehrenbürger am kommenden Samstag komplettieren. Natürlich werden zur Feier ihre Familie und zahlreiche Wegbegleiter anwesend sein.
In der Begründung für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 2013 heißt es: „Renate Gassert lebe die Grundhaltung vor, dem Gemeinwohl den Vorrang vor Einzelinteressen zu geben.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert. „Ich will die Ehrung nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil meine Arbeit etwas für andere Menschen bewirkt hat“, sagt sie und knüpft daran die Hoffnung, dass sich Frauen in Zukunft einfach mehr zutrauen. Und ganz zum Schluss schiebt sie Gassert-typisch noch nach. „Ich bin ich – mit und ohne diese Ehrung.“
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