Lindelbach. Auch nach fünf Jahrzehnten hat der Jugendraum in Lindelbach nichts vom typischen Charme alter Tage verloren. Es gibt Sofas, dazu eine Theke, einen Fernseher und einen Tischkicker. Seit 1979 dient der Keller im Gemeinschaftshaus der Dorfjugend als Unterkunft. In den Anfangstagen hat sich die damalige Konfirmandengruppe aus Bettingen, Urphar und Lindelbach dort getroffen. Den Stein ins Rollen brachte der Bettinger Pfarrer Thoball. Er wollte die Jugendarbeit in den drei Ortschaften forcieren. Das Ganze hat sich schnell verselbstständigt.
Zu den Mitgründern der Jugendgruppe gehört der Lindelbacher Hans Diehm. Die Jugendlichen strebten nach Selbstverwaltung und wollten einen Raum in Eigenregie betreiben. Von der Gemeinde erhielten sie einen Gewölbekeller in der „Alten Schule“ zugewiesen, den sie nach ihren Vorstellungen einrichteten. Auch nach der Konfirmation diente der Raum ihnen weiterhin als Treffpunkt. Die maßgeblichen Kräfte kamen aus Lindelbach. Doch auch Jugendliche aus Bettingen und Urphar waren willkommen.
Leute aus verschiedenen Schulen wieder zusammengebracht
Die früheren „Boomer“-Jahrgänge – in diesem Fall hauptsächlich die von 1956 bis 1958 – waren auch im Wertheimer Osten sehr zahlreich. „Das Schöne war, dass wir die Leute aus den verschiedenen Schulen wieder zusammengebracht haben“, erklärt Diehm rückblickend. Denn zum ersten Mal sei ein „größerer Schwung“ auf die weiterführenden Schulen nach Wertheim gegangen. Der Kontakt in die Stadt und zur „Aktion Jugendhaus“ habe sich auch nach Lindelbach ausgewirkt. In den Wertheimer Dörfern jedoch sei eine derartige Bewegung einmalig gewesen. Zu anderen Jugendhausinitiativen habe es eine lockere Verbindung gegeben.
Die erste Fete fand an Silvester 1974 statt. „Da war die Farbe noch gar nicht ganz trocken“, schmunzelt Diehm. Mitten in die Party hinein habe der damalige Ortsvorsteher eine Spende von 1000 Mark verkündet. Auch das musikalische Angebot sei gewachsen. Besonders die Platten von den Beatles, Rolling Stones oder Manfred Mann waren beliebt.
Politisches Bewusstsein ist gewachsen
Wie andere Jugendliche verbrachten Diehm und Kraft fast jeden Abend im Jugendraum. „Wir haben so manche Nacht hindurch diskutiert“, sagt Diehm. Und auch wenn sich die politischen Ansichten bei dem ein oder anderen Alteingesessenen im Laufe der Jahre deutlich verändert haben, waren die Jugendraumjahre doch auch prägend auf dem Weg zum Erwachsenwerden. „Unser politisches Bewusstsein ist deutlich gewachsen“, bilanziert Kraft. Die 1970er seien ein sehr hoffnungsvolles Jahrzehnt gewesen. „Da hatte man noch Utopien und sich erträumt, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse sich immer weiter verbessern“, ergänzt Diehm.
Besonders viel Betrieb herrschte am Wochenende. Zu den Discos kamen bis zu 40 Gäste. Die Nachbarschaft sei aber sehr tolerant gewesen. Auch ein Zeltlager im Himmelreich und eine Reise nach Rom im Jahr 1975 blieben in Erinnerung. „Das war eine meiner gigantischsten Reisen“, blickt Diehm zurück – vielleicht auch wegen der verbotenen nächtlichen Ausflüge ins benachbarte Mädchenzimmer.
Von der Bevölkerung sei die neue Gruppe durchaus mit Vorbehalten beobachtet worden. Es habe Befürchtungen gegeben, die Jugendlichen sich selber zu überlassen. Die Strukturen waren konservativer. „Und dann kommen wir und machen unser eigenes Ding“, blickt Diehm zurück. Der „Hauptverantwortliche“, Horst Weimann, habe dank seiner natürlichen Autorität aber viel belegt.
Immer wieder auch Anlass zu Ärger
Auch die Feiern mit teils Auswärtigen sorgten gelegentlich für Zündstoff. „Wir boten eigentlich immer wieder Anlass zu Ärger“, gesteht Diehm heute. Andererseits habe man sich aber auch sehr bemüht, sich in die Dorfgemeinschaft einzubringen. So habe man regelmäßig die Straße gekehrt und sich in „alte Gepflogenheiten“ eingefügt, beispielsweise das Eiersammeln an Fasching. Auch eine Bastelgruppe und eine Theater-AG gab es.
Nach der „wilden“ Anfangszeit verflachte das Treiben im Jugendraum etwas. Es gab auch einige „unschöne“ Vorfälle. Von einer ersten „schweren Krise“ 1976 ist in der Jubiläumsschrift von 1999 zu lesen. Fünf Jahre nach der Gründung folgte 1979 die große Wiedereröffnung unter neuer Leitung in den jetzigen Räumen. Damals gab es noch keinen eingetragenen Verein. Der „1. JULI“ wurde erst 1999 zum 25-jährigen Bestehen gegründet. Über 100 Mitglieder hat der Verein heute. Auch ein Büchlein zur Geschichte Lindelbachs sei Anfang der 80er, initiiert durch den Verein „Traumaland“, durch die Jugendlichen entstanden.
Konflikte immer konstruktiv bewältigt
„Das Schöne ist, dass es eine kontinuierliche Geschichte gibt“, betont Kraft und lobt: Konflikte seien immer konstruktiv bewältigt worden. Auf die dauerhafte Selbstverwaltung sind alle Vier noch heute stolz. Nicht wenige Jugendliche hätten hier prägende Erfahrungen von Gemeinschaft und Demokratieerlebnis erworben. Viele haben später auch an anderer Position Verantwortung übernommen. „Ich habe mein Fundament hier im Jugendraum gelernt“, sagt Diehm.
Profitiert hat auch Holger Götzelmann, der heute im Ortschaftsrat sitzt. Der frühere Vorsitzende erinnert sich gut an den sehnsuchtsvollen Moment, als er endlich 14 Jahre alt wurde. Denn ab da durfte man in den Jugendraum. „Das war für uns ein Paradies. Wir durften machen, was wir wollten“, erinnert er sich an viele unbeschwerte Stunden. Bis zu zehn Jugendliche verbrachten hier ihre Freizeit. Durch viele öffentliche Veranstaltungen belebte das Jugendraum-Team das Dorfleben – bis zu elf waren es pro Jahr. Zurzeit gibt es davon noch das Maifeuer und eine Halloween-Feier. Es sei jedoch wieder mehr geplant, sagt Julian Kuhn. Er ist aktuell stellvertretender Vorsitzender des Vereins. Als Treffpunkt die Dorfjugend habe der Jugendraum seine Funktion bewahrt: Als Ort, an dem die Jugend der drei Ortschaften den Tag bereden oder sich einfach entspannen kann.
Integrationskraft des Jugendraums
Darüber freut sich auch der Altvordere Hans Diehm: „Es ist schön, dass Leute da sind, die für die Zukunft stehen und mit Elan dabei sind.“ Damals habe er nicht damit gerechnet, dass der Jugendraum so lange überdauert. Maßgeblich dafür ist für SPDler Thomas Kraft auch die Integrationskraft des Jugendraums: „Hier trifft sich einfach alles. Es gibt keinen Standesunterschied.“ Die Jugendgruppe hat sich fest im Dorfleben etabliert.
Bei der Jubiläumsfeier am 13. Juli gibt es nachmittags Kaffee und Kuchen, abends Unterhaltung mit dem Alleinunterhalter Mike Hempel. Und es wird auch genug Zeit geben, um sich über die bewegte Geschichte und Geschichten der „1. JULI“ auszutauschen. Und über deren Gegenwart und Zukunft.
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