Zeugnis der Geschichte

Gang über Wertheims jüdischen Friedhof

Selbst viele Wertheimer wissen kaum etwas über ihn. Dabei ist der jüdische Friedhof in ihrer Stadt der älteste in ganz Baden. Dessen Zeugnisse zu bewahren und seine Bedeutung bekannt zu machen, war das Ziel einer Führung.

Von 
Kai Grottenthaler
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Wertheim. Hocherfreut über diese große Beteiligung zeigten sich Gerhard und Ursula Kohout. Ihr gesamtes Wissen über den jüdischen Friedhof haben sich der ehemalige Gemeinderat und die Stadtführerin selbst angeeignet, wie sie sagten. Bis zu 300 „jüdische Stadtführungen“ gebe es jährlich. Die allermeisten der bisher rund 30 000 Gäste seien aber Touristen, vor allem Amerikaner, Kanadier und Australier. Bei der einheimischen Bevölkerung dagegen sei nicht nur das Wissen, sondern auch das Interesse an dem Friedhof sehr gering, stellte Ursula Kohout nüchtern fest. „Dabei sollten wir stolz darauf sein, dass wir so ein Kulturdenkmal in Wertheim haben.“ An diesem Nachmittag zumindest kamen die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer aus dem Wertheimer Raum.

Stichwort: Die Datenbank „epidat“

Ein Forschungsschwerpunkt des Salomon-Ludwig-Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen ist schon seit Jahrzehnten die Erforschung jüdischer Friedhöfe in Deutschland.

Dazu gehört auch die epigraphische Datenbank „epidat“. In dieser sollen jüdische Grabsteine online für die Öffentlichkeit zugänglich sein.

Die Grabsteine auf dem Wertheimer Friedhof werden zur Aufnahme in die Datenbank noch einmal neu fotografiert. Zwar gibt es bereits Fotos aus den 1990er Jahren, die in einer 1998 veröffentlichten Grunddokumentation des jüdischen Friedhofs im Auftrag der Stadt Wertheim und in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg enthalten sind.

Neben einer besseren Fotoqualität sollen nun zu jedem Grabstein aber auch die Übersetzung der Inschriften sowie teilweise weitere Informationen enthalten sein.

Der Vorsitzende des Historischen Vereins Wertheim, Dr. Frank Kleinehagenbrock, äußerte sich am Montag vorsichtig optimistisch: „Das Projekt läuft und kommt vielleicht in den nächsten zwölf Monaten zum Abschluss.

Er wies zudem darauf hin, dass Spenden für das Projekt an den Historischen Verein überwiesen werden können. kg

Der erste Nachweis jüdischen Lebens in der Main-Tauber-Stadt lasse sich auf das Jahr 1230 datieren, erklärten die Kohouts. Im 13. Jahrhundert seien 16 Familien jüdischen Glaubens gezählt worden. Der älteste Grabstein stamme aus dem Jahr 1405. Auf das 15. Jahrhundert werden allein 70 der insgesamt 498 Grabsteine datiert. Seinen quantitativen Höhepunkt habe das jüdische Leben 1880 mit 221 Mitbürgern erreicht.

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Deutschlandweit umfasste die jüdische Gemeinschaft zum Ende des Ersten Weltkrieges mehr als 600 000 Personen. Mit einem Prozent sei sie damit fester Bestandteil der deutschen Bevölkerung gewesen – bis zu den Gräueln des Nationalsozialismus. Die letzte Bestattung auf dem Wertheimer Friedhof fand 1938 statt.

Dessen Aussehen habe sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. Im ältesten Teil, am unteren Ende Richtung Straße gelegen, befinden sich heute relativ wenig Grabsteine. Dies sei wohl auch darauf zurückzuführen, dass während mehrerer Pogrome im Laufe der Jahrhunderte Grabsteine immer wieder beschädigt oder „verschwunden“ seien. Während man manche einige Meter weiter wieder aufstellte, wurden andere zerstört – oder sogar in katholische Kirchen eingebaut, um den vermeintlichen „Sieg des Christentums über das Judentum“ darzustellen. Manches bliebe jedoch im Unklaren, da Grabungsarbeiten auf jüdischen Friedhöfen verboten seien.

Äußerlich sind die Grabsteine eher schlicht gehalten und ähnlich gestaltet. „Man war überzeugt davon, dass alle Menschen gleich sind“, erklärte Ursula Kohout. Die meisten Grabsteine haben eine meist zweisprachige Inschrift und Ikonographien. An einer Urne könne man beispielsweise gut die zunehmende Assimilierung an die christliche Tradition erkennen.

Die Grabsteine mussten im Mittelalter von christlichen Steinmetzen hergestellt werden, weil für Juden ein Handwerksverbot bestand. Während das Sterbedatum in jüdischer Zeitrechnung angegeben wird, sucht man sowohl das Geburtsdatum als auch den Nachnamen des Verstorbenen vergeblich.

Zu einem einschneidenden Jahr für die Wertheimer Ruhestätte wurde 1714, als der gebürtige Wormser Rabbiner Samson Wertheimer dem Grafen einen oberen Teil des Friedhofs abkaufte. Daraufhin wurde die seitliche Mauer samt Eingang errichtet. Der heutige Eingang an der Eichelsteige entstand erst 1961.

Heutzutage sei die Dokumentation der Grabsteine ein Wettlauf gegen die Zeit. „Es verschwindet immer mehr“, bedauerte Gerhard Kohout. Umso dringlicher erscheint das „epidat“-Projekt (siehe Infobox).

Ursula Kohout machte keinen Hehl daraus, dass auch sie lange Jahre kaum etwas über das bedeutende Kulturdenkmal in ihrer unmittelbaren Nähe wusste: „Erst vor 15 Jahren wurde mir bewusst, was wir hier haben.“ Ihre seitdem erworbenen Kenntnisse an einen möglichst breiten Kreis gerade der einheimischen Bevölkerung weiterzugeben, ist den Kohouts ein Herzensanliegen. Hier sehen sie noch viel Verbesserungsbedarf – und das wohlgemerkt auch bei Politik und Verwaltung. Fortschritte wie die zwei Jahre bis vergangenen August andauernden Sanierungsmaßnahmen in sechsstelliger Höhe seien oftmals „ein Bohren sehr dicker Bretter“ gewesen. Das hätten sie sowohl bei ihrer Quellenrecherche als auch bei ihrem Einsatz in den vergangenen Jahren immer wieder festgestellt.

Dies bestätigten auch Dr. Monika Schaupp vom Staatsarchiv sowie Dr. Frank Kleinehagenbrock vom Historischen Verein Wertheim. Die Quellen gerade aus der Nachkriegszeit würden deutlich zeigen, dass dieser Friedhof „sicher kein Herzensanliegen der Stadt“ gewesen sei, kritisierte Kleinehagenbrock. Insofern sah er in der Veranstaltung einen „wichtigen Beitrag, dass die Geschichte der Menschen jüdischen Glaubens, die über die Jahrhunderte Teil dieser Stadt waren, wieder stärker ins Bewusstsein gerät. Vielleicht ist es jetzt spät, aber es muss anders werden.“ Ziel des Historischen Vereins sei, „etwas ins Rollen zu bringen, damit wir in 20 Jahren mehr wissen und sich mehr Leute für diesen Teil der Wertheimer Geschichte interessieren“. Denn dieses Erbe jüdischen Lebens für künftige Generationen zu bewahren und lebendig zu halten, werde sowohl für die Politik als auch die Gesellschaft eine dauerhafte Aufgabe sein – gerade auch für die Wertheimer.

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